ein bild

Wieder rauscht das Meer


Rauscht das Meer


Schon seit vielen Nächten rauscht das Meer nun wieder
leicht im Auf und Ab, gleitet über das Gestade,
Echo einer fernen Stimme, von Erinnerung umschlossen,
Klang aus längst vergangner Zeit; und auch
dieser schrille Schrei der Möwen: oder der Falken vom
Turme, die der April in die Ebene treibt.
Nah, ganz nah schon warst du mir wieder mit
jener Stimme; und ich möchte, daß auch dich
der Erinnerung Echo träfe, wie der dunkle Ruf des Meeres.

-Salvatore Quasimodo-

12.05.2006 10:28:41 

Goldmarie


Ein Schatten hätte es sein können, die Narbe auf deinem Bauch. Jetzt ein Fuchteln. Als würden sie Motten zwischen den Fingern zerdrücken, flattern ihre Hände um dein Gesicht herum. Nur eine Hand legt sich kühl auf deine Stirn: Es ist die eigene, die Hand mit der rissigsten Lebenslinie von allen. Und jetzt (schnell): Den Staub, das Goldene, von den Kuppen wischen, heimlich (hast diese Tür schon wieder berührt). Du ringst nach Worten, aber es kommt nur ein Keuchen.
Und jetzt: wird die Bauchdecke mit einem Faden aus blauem Nylon genäht. Selbst schuld, hättest du dich bei Zeiten bewegt, hättest du dir das Fett absaugen lassen. Hättest du dir die Lippen noch am Ende, in der letzten Nacht noch und am letzten Tag geschminkt: nichts wäre, alles wäre. Geliebt hätten sie dich, dich in deinem roten Kleid. Niemand hätte später an deinem Bett gestanden, das Kopfteil gehässig hoch und runter gestellt, mit dem Fuß gegen den Rahmen getreten, daß der Riß im Bauch sich weitete. Dabei den Kopf zu schütteln und zu sagen: Ach, hättest du bei Zeiten. Jetzt: Die Motten in den Händen längst zerdrückt, den feinen Staub dir auf die Lippen gerieben. Goldmarie, mein Kind, schlaf doch!
Die Narbe auf deinem Bauch, nichts weiter als ein Schatten. In den Fingerspitzen rasselt es noch leise.

13.04.2006 12:25:53 

Vor deinen Schritten


Wenn du die Haustür abschließt, kommen die Freier nicht mehr raus. Sie verkriechen sich in den Ecken des Treppenhauses. Sie bitten nicht um Hilfe. Einer saß in einem schwarzen seidenen Hemd an der Kellertür. Das Gesicht war ihm verfroren, daraus schwammen die stechenden Augen. Die Knie angewinkelt und ein offener harter Kragen zeigte einen langen, dünnen und sehr weißen Hals. Die Mundwinkeln glänzten dunkelrot und feucht. Die Asche und die Glut der Kippen unter dem Winkel seiner Knie. Oder einmal der Greis, den man an den Türrahmen gelehnt fand. Er hielt einen Stock und trug den besten Anzug. Auch: der fiese Dicke mit dem schwammigen Gesicht. Der vergrub das Gesicht in viel zu großen Händen. Ihre Beine und Füße dämmerten unter den Körpern. Aus Blei, aus Blei, klangen die Stimmen hinter den Türen. Aber nein, aber nein, echote es. Die Treppe war hohl und stöhnte. Man trug die Einkaufstüten an ihnen vorbei. Hinter den Türen sangen vergessen die Huren. Du drehtest die Zunge in deinem Mund. Ein Knallen, wenn die Tür ins Schloß fiel.
Wenn um zwölf Uhr Mittags die Glocken läuten, kommen die Ehefrauen zum Suchen. Sie suchen in den Ecken und unter den Treppen, sie wischen die Männer mit dem Staub auf. Es brechen die stechenden Augen. Es schwitzt das frierende Gesicht. Es zerfällt der maßgenommene Anzug. Der Stock des Greises auf den Fliesen schlägt, tock, tock. Im Hof kann man die Elstern hören. Die feine Hure trägt ein Tuch aus Tüll um die Schultern. Sie grüßt nicht, wenn du vorüber gehst. Das Lächeln hängt ihr von den Mundwinkeln. Ihre Arme sind stark. Sie hätte alle Männer tragen und nach draußen setzen können. Vor die vergitterten Kellerfenster, an die Bushaltestelle, in das Licht der Tankstelle. Das sagst du später. Du ziehst die Haustür hinter dir zu. Drehst den Schlüssel im Schloß, knallst mit der Zunge im Mund.

15.01.2006 17:58:48 

Neue Jahre


Wir könnten uns zueinander beugen, die Stirn an die Stirn der anderen legen, die Augen blicken lassen in die anderen Augen. Immer sehen, was die andere sieht. Sehen, wie die Lippen rufen, aber keinen Ton hören, nur der stummen Bewegung folgen, wie sich die Lippen öffnen und schließen und öffnen und schließen, und trotzdem wissen, es ist ein lautes Rufen, das da gerufen wird, es hallt zwischen den Wohnungen und Straßen und Balkonen, Zwischen Stränden und Hafenmauern, es tönt zwischen den Zeiten. „Schau“, sage ich, „hier stehe ich“, aber sie blickt nicht auf, ich bin zu leise, ich bin viel zu leise. Sie macht einen Schritt nach dem anderem, sagt: „Sieh, so weit bin ich gekommen“, aber ich höre nichts und die Taubheit liegt in unseren Gesichtern, Auge an Auge, die Lippen geschlossen, darum ein sehr kleines Lächeln, das verschwindet bevor es die andere gesehen hat.

05.01.2006 10:41:03 

Niemand wäscht zwischen den Jahren, weil dann der Tod kommt


Überallhin folgen einem die Augen. Man leuchtet im Schnee. Der grüne Schal, man wäscht ihn mit kalten, steifen Fingern. Diese Schritte werden die anderen blenden, das Licht, das ihnen dann durch die Scheiben in die Augen fällt, und hinein in die Stuben, dort flackert an den Wänden und hin und her läuft. Das liegt an dieser Haut und an den Fingern im Schnee, die jeder sehen kann. Wie man dann versucht, niemand zu sein und nicht zu weinen. Um nicht zu schreien, sich Schnee in den Mund zu stopfen und Wasser zu spucken, die dunklen Augen schließen und immer noch gesehen werden bei jedem Schritt. Und dieser Körper, der von allen Waffen die Schlimmste wählte. Eine Narbe aus Schrei auf dem Bauchfell. Ihre Augen dann wieder blenden hinter den Fenstern, das Flackern in ihren Gesichtern. Wie man die reflektierende Scheibe wird, aus Gold oder Silber. Wie dann der Tod kommt, wenn sie in die Wunden hacken, daß Blut da auf der Stirn bleibt, daß der Körper nur aus Lehm ist, aus dieser Erde unter dem Schnee. Wie man lächeln will dabei, aber Wasser spuckt aus Versehen, sich zwischen den Jahren nicht das Gesicht wäscht. Nie.

29.12.2005 22:59:48 

Genäht


Die Kopfwunde wurde wieder genäht. Beim Fallen auf die Zunge gebissen. Es war Bitter, sagte er. Aber du bist aus Lehm, vielleicht. Deine Knochen längst vom Wasser geschliffen, rauh, wenn man darüber streicht. Die Lungen rasseln und das Fieber steigt. Das Knochenmark aus den Knochen verschwunden. War das ein Tier? Eine Rippe? Etwas sickert durch die letzten Atome deines linken Daumens. Es heißt, das man am längsten noch hört, wenn man bewußtlos ist.

28.12.2005 00:04:53 

Genäht


Die Kopfwunde wurde wieder genäht.
Beim Fallen auf die Zunge gebissen. Es war
Bitter, sagte er. Aber du bist aus Lehm,
vielleicht.
Deine Knochen längst vom Wasser geschliffen,
rau, wenn man darüber streicht.
Die Lungen rasseln und das Fieber steigt.
Das Knochenmark aus den Knochen verschwunden.
War das ein Tier? Eine Rippe?
Etwas sickert durch die letzten Atome deines linken Daumens.
Es heißt, das man am längsten noch hört, wenn man bewusstlos ist.

17.06.2005 14:45:41 


Der Text wurde autorisiert gelöscht am 24.04.2010 15:57:02.

10.06.2005 13:09:33 

1.


„Ich weiß, wo man schnell schwanger wird“, sagte sie. „Immer noch links an der Pension vorbei, die Hauptstraße ein Stück runter, da stehen Männer. Eigentlich hübsch, eigentlich sogar alle hübsch. Du musst ihnen nichts dafür geben. Ich meine, jetzt, da bin ich schon alt und fertig. Man beäugt sich ja schon gegenseitig, heimlich natürlich, aber man guckt doch, die anderen Frauen und so, verstehst du? Aber damals, da ging das ganz leicht. Ein paar Schritte nur bis zur Pension und dann nach links, dann gelehnt an eine Hauswand. Und schnell wieder nach Hause. Niemand hat dich gesehen, keiner hat geguckt. Nur am nächsten Tag haben sie die geschminkten Augen angesehen und manchmal vielleicht gesagt: „Da, guck mal die.“ Aber gewusst haben die nichts. Und wenn das Kind dann kam, dann waren die sich einig, dann haben sie alles gewusst, vorher schon, dann haben sie es immer schon geahnt, dass es seinen krummen Gang gehen würde, dass man vom Weg abkommen würde. Als würde man das ablesen können, vom Körper oder so. Als wäre das was ganz natürliches, dass man es ablesen könnte, dass man bewegt wird, sozusagen von außen, dass man zwischen Erdoberfläche und Atmosphäre immer nur in einem Zyklus wandelt von Paarung und Schwängern und geschwängert werden. Verrückt, was? Aber so haben die gedacht, damals.“

06.06.2005 21:27:38 

Rasseln mit dem Kranz aus weißen Steinen


Lichterkette

14.02.2005 13:12:16 

ein anderes


Im Hotelzimmer, den Blick über Genua.
An den Adern frieren die Gassen.
Geh rüber ans andere Ufer. Schiffe treiben
vom Kontinent. Du darfst erst,
wenn du weinst, nach Hause gehen.
Das Autokennzeichen drei mal TFA Genua.
Die Zeichnung an der
Wand (support your –und dann verwischt)
wiederholt sich. Die Lippen im Honig.
Eine eingetretene Tür. Das zerfleischte Herz
einer lächelnden Maria
am Kopfende.

03.02.2005 11:59:33 


Der Text wurde autorisiert gelöscht am 24.04.2010 15:57:53.

30.01.2005 11:24:52 

SMS


Gezählt die Perlen einer billigen Kette Im Hotel ein Kleiderschrank mit hohen Schuhen zur Probe Niedergekommen ein Kussmaul Dass in deinen Händen die Zigarette einschläft Liegt auf deinen Lippen Glut Eine Kurznachricht Das Löschen der Nummer vom Display Mit der linken Hand, die rechte ist belegt

19.07.2004 21:46:40 


Der Text wurde autorisiert gelöscht am 24.04.2010 15:58:36.

19.04.2004 20:37:26 


Der Text wurde autorisiert gelöscht am 30.01.2005 11:26:12.

14.03.2004 20:35:23 

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