Ich kann die Straße hören. Auch von hier aus noch. Vor allem den Schotter unter dem Asphalt. Den Schotter, über den ich als Kind zur Nachhilfe trottete. Um zu lernen, wie man aus Füllern Parallelogramme macht.
Die Straße als Stimme
die in ihrem Dia
lekt fortwährend „Draußen“ sagt.
27.11.2007 08:52:33
GADDHAFI ÜBER DEN MALEDIVEN
Ein Jahr Zeit hatte er zwischen seinem Segelzeug verstaut, als er die Inseln erreichte. Und einen der einheimischen Einmaster gechartert, als Gaddhafis Flaute ausbrach. Erst drei Monate vorher nämlich hatte die Revolution sämtliche Winde aufgekauft. In den Segeln der Fischerboote waren sie unterwegs zurück nach Libyen. Er musste sein Boot also mit den eigenen Fürzen antreiben.
09.05.2007 17:33:44
COURBET IM KITTCHEN
I.
Zu deinen Äpfeln hat man dich gesperrt, gleich nach der Kastration des Obeliskes:
Ein Plebiszit der mineralisierten Erektion.
Zu Anfang durftest du die Früchte nicht mal malen.
II.
Du bist es also selbst: Dieser gelöschte Reiter deines durchgehenden Pferdes.
Ein falscher Galopp: So jedenfalls behaupten es die Röntgenologen.
War es dieser Schimmel, der dich streckte?
05.02.2007 20:28:34
DON JUAN DE X
Niemand hatte den Admiral jemals gesehen. Und doch erkannten ihn alle, als er vor ihnen stand. Trotz seiner schmalen Schultern und dem ausgebleichten Hemd. Er war barfuss, deshalb zog auch die Stadt die Schuhe aus. Damit er sich ein Paar aussuchen konnte. Aber er verzichtete: Es waren keine Segeltuchschuhe dabei. Danach verstanden die Gastgeber sich selbst nicht mehr. Es war sein Blick. Kein Städter, der sich nicht schiffbrüchig fühlte vor diesen Augen. Obwohl sie alle so sehr Binnenländer waren, dass nicht einmal ein Fluss durch ihre Stadt führte.
Um das wettzumachen, bauten sie ihm ein Peer auf den Marktplatz hinaus, während er seine Hängematte im Rathaus aufspannte und ein Mittagsschläfchen hielt. Als er am Abend aufwachte, hatten Feuerwehr und technisches Hilfswerk den Marktplatz schon knietief unter Wasser gesetzt und ein Modellbauverein führte ihm zu Ehren seine berühmte Seeschlacht auf. Natürlich en miniature. Schade nur, dass der Admiral von seinem Sieg nichts mehr erfuhr. Er hatte sich schon beim ersten Strammstehen vor der Flotte einen Splitter in den Fuß getreten und
war bei dem Versuch
ihn hüpfend heraus
zu
ziehen
im merk
antilen
Golf
er
trunken.
18.12.2006 22:01:30
SISSI
Franzl sagt, es sei alles in Ordnung.
Inzwischen sagt er das aber alle fünf Minuten.
So wird er zum Heiligen der Besorgten.
Vielleicht hätte ich ihm nicht sagen dürfen,
dass ich meine Goldreserven in die Schweiz geschafft habe.
Ich tröste ihn.
Aber mein Geld bleibt
w o e s i s t !
07.12.2006 11:04:43
JAQUES COUSTEAU ALS SOHN VON EDISON
Schließlich waren Vater und ich so sehr vom Glück verfolgt,
dass uns buchstäblich alles gelang, was wir unternahmen.
Vorgestern wurden wir aber des Hantierens in der Werkstatt überdrüssig und warfen unsere Arme als Flossen hinter uns, um in die Luft als warme Welle einzutauchen.
So nahmen wir von gestern an alles in den Mund, was wir berühren wollten,
und genossen die Wiederkehr ins Orale derart, dass uns seitdem kein
Laut entfahren ist, der unser Meer nicht als Jauchzen durchblubbert hätte.
Ein Jauchzen, das uns die Blaumänner als Neopren in die Haut wachsen
ließ und sie so glänzend machte,
dass wir von Stund an nur noch Lebensretter waren.
Seitdem retten wir alles,
was uns vor die Nase kommt und in die Tiefe sinken will:
Schaufensterpuppen,
eine alte Luftmatratze
und schließlich die Taucherin, die der Tiefenschwindel überwältigt hatte.
Es versteht sich von selbst,
dass uns dieses Erlebnis prägte:
unumkehrbar.
Neopren auf Neopren:
das war schließlich doch ein zu ozeanisches Gefühl.
Unsere Gerettete hat deshalb aus reiner Dankbarkeit ein eigenes Delphinarium
für uns eröffnet und lässt uns zu unser aller Beglückung Haushaltsgeräte
reparieren. Mit den Zähnen, wie es sich gehört... Und, wie es sich gehört: lächelnd…
28.08.2006 13:29:58
CAMUS
Die Gezeiten haben aufgehört. Sie sind jetzt in der Luft. Von den Fregattvögeln übernommen. Ihr Schwarm flutet als schwarze Wolke über Plastiksäcken. Dümpelnden Plastiksäcken. Denen, in die wir eingeschweißt sind. Die wir als Bronchien einatmen.
Ausschließlich ein.
Im Geschmack von Müllsack das Ausatmen vergessen. Weißt du noch, wie es geht? Oder wartest auch du nur noch aufs Müdewerden der Fregattvögel? Auf ihre Krallen, wenn sie sich auf uns niederlassen? - Nein! Doch nicht etwa auf ihre Schnäbel!
12.05.2006 21:37:44
HERODOTS HEIMWEH NACH DEN DAUNEN
Danach musste ich durch diesen Raum voller schwebender Federn, die mich bis zur Atemlosigkeit kitzelten. Bis zur Atemlosigkeit und über die Atemlosigkeit hinaus. Noch während ich in einer vorläufigen Ohnmacht lang hinschlug, dachte ich bei mir: „Selten habe ich bei Federn diese Einmütigkeit erlebt.“ Leise gackernd dachte ich mir das und sah so ein, dass ich meine Daunen vor drei Tagen nicht alle auf einmal hätte abwerfen dürfen.
(Willkommen Hans Thill.)
02.03.2006 22:57:30
PIETRO ARETINO
Auch nach meiner Wiedergeburt lachte ich noch über das päpstliche Begräbnis des Elefanten. Aber der Vatikan war Humor nicht mehr gewöhnt. Deshalb setzte mich der Inquisitor auf einer Schaluppe aus und ließ mich treiben. Wütend rief er: "Dein Gelächter soll die Segel blähen." Daran hielt ich mich. Vor lauter Begeisterung am Segelpusten hatte ich aber die Untiefe übersehen und war – noch kurz vor meinem Eiand – eben mal auf Grund gelaufen. Natürlich ließ mir mein Jubilieren keine Zeit, auch nur nach Süßwasser zu suchen. Hätten mich die Korsaren nicht aufgebracht und mir durch mein entzücktes Gezeter hindruch ein weihwassergetränktes Skapulier als Knebel in den Mund gesteckt, ich wäre wahrscheinlich verdurstet.
18.02.2006 10:22:37
SWEDENBORG
Als ich tot war, nahm ich auch einen andren Namen an.
Unwichtig, dass ich ihn jetzt vergessen habe. Wichtig ist, dass er mit A. anfing. Vielleicht August, vielleicht auch Januar. August hieße allerdings, denjenigen Recht zu geben, die die ganze Sterberei für einen Sommer halten.
Nicht, dass ich ein besonders Benachteiligter meines Todes gewesen wäre. Im Gegenteil: Zwei oder drei Mal war ich sogar um die Wette glücklich mit mir selber.
Vor allem, weil ich mir alles abnahm, was ich glaubte. Das beschenkte mich so freigiebig mit hellen Straßen, dass ich gleich an der nächsten Weggabelung elf meiner zwölf Finger picknickte.
Nur einer blieb übrig: Daumen nach oben.
Das war nun zweifel
los der beste Aus
gang aller meiner Reisen.
18.01.2006 00:24:58
LADY GODIVA
Immer im Galopp ging es. Ganz ohne Peitschenknall über die hohen Gräber. Sie riss nicht eines um. Im Gegenteil: Das Land selbst schlug Wellen unter ihrer Gangart, die Straße unter ihr schwang hoch in Schleifen aus. Hin und wieder glitt noch ein Gesicht vorüber. Nicht aber als Kontur, sondern als Fahrt.
Das heißt: Sie strauchelte, strauchelte ein- und ausnehmend und war doch die Ruhe selbst. Auf alle um sie her wirkte diese Ruhe lähmend. Deshalb ihr Tempo. Als Tom ihr sich ihr von Nahem zurief, hörte sie nur sich von Weitem. Verloren stand er danach da und spürte etwas Steifes von und zu.
Das kam davon, dass sie nur im Stehen galoppierte. Nicht abgewandt, Neinnein, im ganzen Gegenteil: Sie hörte nie auf, ihn interessiert, sogar ermunternd anzusehen. Er selbst war es, der sich zurückzog, in einen Strohhalm oder in die Tränke. Mit dem Gefühl, nur so davongekommen zu sein.
Hoch staunte er über seinen Mut. Nur noch ein paar Augenblicke und es hätte sie zerrissen, wie sehr er sich im Weg war. Selbst sein Kandis und seine Krippe bestätigten ihm das. Noch im Vorüberreiten hatte sie ihn als Steuer eingetrieben. Ihn selbst, sein Heu, vor allem aber sein Scharren.
27.11.2005 19:45:30
DER LETZTE VALOIS
I. DAS GEDÄCHTNIS VOR SEINER GESCHLECHTSUMWANDLUNG
Anjou auf der Flucht vor dem pol / nischen Thron bei Nacht und Nebel
Von nun an ist er zu / Ende ein für alle Mal zu Ende
Das Eingeheimste fährt / ihm aus den Taschen
Klingelt die B / öden Krakaus auf
Die glatten Schulter / blätter seiner Schwester
Wirken nur n / och bis zum Hals
Von nun an seine Mignons / als Kokon und als Blessur
Stoßgebete an den Lebensretter aus / den Pyrenäen der seine Hühner schon
von Weitem in die Suppen / töpfe wirft und ihm die lange Nase
jetzt noch länger dreht
II. DAS GEDÄCHTNIS NACH SEINER GESCHLECHTSUMWANDLUNG
Aufschub der Hungersnot / Halbreifes Getreide
zwischen ihren Zähnen / Der König bass erstaunt
in seiner Zelle / Der König hat sich eine
Kette aus Hündchen um / den Hals gehängt
zeigt einen bestürzenden / Gehorsam diesen Hündchen gegenüber
Hohl mahlende Zähne / fiependes Gebell
Eine Liga der Bedürftigkeit / Das Urteil in effigie
Pensionen-Land / das Amt des Mundschenken
Daher der Tat / endrang des
Erben
07.11.2005 21:16:43
CARL LEWIS ODER MOONBOOTS SPEZIAL
Ich mache derweil Urlaub von meinem Seitenstechen. Schlurfender Eintritt in die Langsamkeit. Dabei fällt mir nichts schwerer, als mein Verhalten zu verhalten. Mein Schuster hat mir zu dem Behub eigens drei Meilen hohe Plateausohlen angeschlagen.
Damit mein Schritt nachlässt und ich gezwungen bin, mich weit hinunter zu beugen,
um nach dem Weg zu fragen.
Manchmal die Eingeborenen, manchmal die Fische.
26.09.2005 09:13:10
HAMLET ALS METEOROLOGISCHER MITTELGEWICHTLER
Nach dem ersten Niederschlag denke ich lange darüber nach, ob ich mich jetzt sportlich oder meteorologisch deuten soll. Ich entscheide mich für die klimatische Variante. Damit mir nicht noch eine Runde 13 widerfährt und ich mich auszählen muß, anstatt nur nass zu werden.
Was aber, wenn das dieser neue Hagel ist, der eben faustgroß aus den Wolken kippt?
03.09.2005 17:58:12
JOSÉPHINE
Jeden Tag fügt der Schnee sich fester. Und er besucht mich ausschließlich im Schnee. Trotzdem ist mir warm. Vor allem, seit es auch ihm gelingt Tiere heranzuziehen. Polarfüchse zum Beispiel. In ihrem Pelz leben wir jetzt. Ein hautwarmer Wald. Natürlich erreichen uns die Nachrichten des Fenneks dort ausgesprochen sporadisch. Wenn überhaupt einmal ein Funkspruch durchdringt, beschränkt er sich auf die Versicherung, er sei noch immer in der Lage unbestimmte Zeit ohne Wasser auszukommen.
Bei uns zu Hause ist es also sehr still.
Rüttelnd.
Rüttelnd still.
15.08.2005 22:35:38
CAGE
Nachdem ich meine größte Feindin an der Fensterscheibe zerdrückt hatte, machte ich mich daran, ihr Durchsichtigstes in Konzertflügel zu verwandeln. Seit dem Mord hatte ich das Bedürfnis, vierhändig mit mir selber zu spielen. Vor allem „Die Fruchtfliege“ von Saint Saens. Nur schade, dass das Morden weiter ging und ich mit jeder Taste, die ich drückte, einem neuen Ton den Garaus machte.
27.06.2005 18:03:36
BENEDIKT VIII.
Gut, gründen wir eine Dynastie. Wenn wir erst einen Bischof haben, wird er uns schon Enkel pfaffen. Aber wie bekommen wir den Bischof? Indem wir uns fünf Mal am Tag nach Osten neigen, um zu murmeln: „Mutagen!“ Was? Du hast das schon versucht und „Mutagen!“ ist nicht das rechte Wort? Natürlich ist das Schwierigste, die Kinder ganz zu überspringen. Also kein Herrscherhaus, sondern bloß eine Jugendherberge.
07.06.2005 17:41:46
STEIGSTREIFEN
Die Steigstreifen von Tizians Himmelfahrt aus dem Stegreif. Aber sie reichen nicht bis in die Wolken. Er hängt jetzt dort als Schluckauf in Zement. Es liegt an seiner Frau. Kurz vor der Fertigstellung seiner selbst als Cumuluskapelle war sie konvertiert. So hat er sich verschluckt. Erst Luft, dann Stein. Von oben herab prüft er die Möglichkeit, den Tiefbauunternehmer regresspflichtig zu machen.
23.05.2005 10:42:21
SPRINGKASTENBRUDER
Ein unruhiger Zwilling, ich muss schon sagen. Er steht sich selbst kaum zur Verfügung, derart hibbelt er. Er ist sich selber dieses Rucken als verwickeltes System. Das wird nur umso schlimmer, je familiärer ich ihn durch ein mäßigendes Minenspiel herausblinzeln suche. Zu spät erst werde ich begreifen, dass er in seiner Box schon jedes Zahnrad ist.
13.05.2005 16:00:51
DE DOCTA IGNORANTIA
Gut, dass dein Vater als Krebs geboren ist. So liegt auch Padua für dich gleich an der Mosel. Rote Scheren schneiden dich aus der Mathematik. Rote Gliederfüßerfüße trippeln in die via moderna. In Köln steckst du den Faden auf, an dem der Eisenmann bis in den Himmel kletterte. Du trägst das jetzt als Goldenes Horn. Noch auf dem Meer fällt dir der erste Gegensatz zusammen. Brixen ist also auch Saladin. Die letzte Jagd ist dieser frühe, späte Tod in Todi.