Wir biegen um die Ecke, du schulterst deine Tasche, Sonne strahlt, es ist elf Uhr mittags und die Straßenbahnen lärmen durch die Hauptstraße. Die Fußgängerampel schaltet gerade um, als du meinst, da werde noch ein Stück gesucht für die Inszenierung, aber das poppe alles nicht. "Gestern habe ich was gehört!", brülle ich gegen die Lastwagen an. "Madonnas Music, aber von dieser türkischen Grand-Prix-Sängerin!" - wir trennen uns kurz wegen der Passanten, die uns entgegenkommen und blicken über ihre Köpfe hinweg.
"Stell' Dir vor: Heeeeeeey Mister DJaaaaaaay! I wanna daaaaance with my Baaaaaby! Als würde sie das morgens über Istanbul zum Morgengebet brüllen!" Du lachst und hüpfst mit dieser Tasche um die Passanten herum und dann siehst du in der Straßenschlucht die 21 zuerst, und wir nicken uns kurz zu und laufen los.
Du nimmst die große Bahn in der Kurve, ich die enge, aber da stehen Leute am Kiosk, Mädchen mit Unterwegskaffee. Wird schwer, vielleicht sogar ein Unfall. Vielleicht irgendwas mit Reinigung. Komplizierte Schrittfolge, Zeitlupe. Erster Wechselschritt, zweiter, dann ein Hund und für einen winzigen Augenblick muss ich mich am Pflaster abstützen, renne gleich weiter, nichts passiert, und du schon längst vorn.
30.03.2006 19:11:35
Keine Plattenkritiken, kein Feuilleton, kein anderes Bier
1998 PANK! Ox Compilation Nr. 32 - Compilation
2001 Plea for Peace, Take Action - Compilation
2005 You Could Have It So Much Better
22.03.2006 15:43:30
Dimitroffstraße
Mit dem Professor am Ohr und dem Bildhauer vorweg zum Fleischer Mischke. Seine Frau, die Malerin, wartet schon mit dem Kaffee auf unsere Einkäufe. Der Verkehr ist laut. Nicht nur die Autos, auch drei oder vier Straßenbahnlinien kreuzen unseren Weg, eine U-Bahn noch dazu und überhaupt ist viel unterwegs. Colette ist nicht an den Champs-Élysées, sagt der Professor, und ich halte Bertrand an der Jacke fest, der sonst Mischke gestürmt hätte ohne zu wissen, was zu bestellen wäre, und ich sage: pardon, stimmt, hätte noch extra darauf geachtet. Louis Vuitton ja, Colette nein. Rue Saint-Honoré. Wir sagen Februar, und egal was kommt, immer ist alles wunderbar.
10.12.2005 07:07:51
II, Propositio XLV, Zusatz 2
Es liegt in der Natur der Vernunft, die Dinge unter einem Gesichtspunkt der Ewigkeit zu erfassen.
Spinoza: Die Ethik. Amsterdam 1677
07.12.2005 17:19:51
BWV 244
"Erstaunlich daran fand ich auch diese Wir-Perspektive", sage ich, zu Nadja gewandt, als wir draußen stehen und rauchen. "Gibt's doch ganz oft", sagt Sabine, ihre Freundin. "Lagerberichte in Biographien zum Beispiel: dann passierte dieses und jenes und wir machten dies und das und so weiter", aber Nadja und ich sagen erst mal nichts, sondern warten, weil das ja auch höflich ist und Sabine ist ihre Freundin.
Nadja sieht aus wie eine Giraffe: diese riesigen Augen mit diesen majestätischen Wimpern. Ihre Eleganz beim Gehen, das leichte, behutsame Neigen des Kopfes, eine flüchtige Drehung oder der kurze Moment des Nachdenkens. Sie steht aufrecht da mit Jeans und einer Flasche Bier und Zigarette, und ein andermal denkbar wäre auch ein Hut aus Paris oder England.
"Vielleicht ist das doch etwas Besonderes. In diesem Fall erzählen ein paar Jungs. So was wie: 'The Lisbon girls were thirteen (Cecilia), fourteen (Lux), fifteen (Bonnie), sixteen (Mary), and seventeen (Therese). No one could understand how Mrs. and Mr. Lisbon, a math teacher, had produced such beautiful children. And when we were told how Mr. Lisbon had cried when Lux was later rushed to the hospital during her own suicide scare, we could easily imagine the sound of his girlish wheeping.' Das ist anders, ich glaube, es ist die Erzählperspektive." Aber dann trete ich schon wieder zurück und Najda übernimmt und sagt, sie glaube auch, das sei anders und Sabine nimmt das erst einmal an und wir trinken Bier aus der Flasche.
Beim Reingehen erzählen wir uns immer noch was, zum Beispiel sage ich zu Nadja, dass ich das mit dem Verwechseln auch kenne. Bei mir ist das immer mit Musik. Letztes Jahr zum Beispiel kommt dieses Donnie-Darko-Soundtrack-Klaviersingstück im Radio, dieses Tearsforfearscover und ich denke: Mensch, das erste Stück von R.E.M., das mir gefällt. Oder in Portugal im Autoradio läuft dieser 94er Sommerhit von den Crash Test Dummies und ich frage mich, was jetzt eigentlich mit Nick Cave los sei.
Wir lachen ein bisschen, während wir uns so hinstellen, und Nadja wiegt manchmal ihren schönen Kopf so erhaben hin und her, eigentlich immer, und sie sagt: "Bei mir wäre das mit T. S. Eliot. Das wäre das Schlimmste. Wenn so was passierte, also..." Sabine strahlt: "Bei mir ist das gar nicht möglich!" Nadja wiegt ihren Kopf herum und wechselt Spielbein und Standbein und Sabines Augen weiten sich und sie hebt ihre Hände empor und sagt leise, aber als wolle sie schreien: "Bach!" und Nadja und ich trinken einen Schluck und ich schaue nur ganz flüchtig und schnell nach rechts, und Sabine steht links und sagt, den könne sie gar nicht verwechseln und erzählt begeistert von Johann Sebastian Bach und sagt Vokalmusik und Oratorien, und als sie Passionen sagt, blicke ich sie an und sage leise, aber als wolle ich schreien, in ihre Begeisterung hinein:
"Baaaaaaaaaa!! Rraaaaaaaa!! Baaaaaammm!" und sie strahlt und ich lächele kurz und sie sagt: "Ja!" und dann gibt sie zurück: "Barrabam!" und ich sage: "Ist geil, oder?" und wir erzählen Nadja ganz kurz von dieser Situation mit Pontius Pilatus und der Frage
"Welchen wollt ihr unter diesen zweien, den ich euch soll losgeben?
Sie sprachen:
und gutgelaunt beschließen wir, uns aufs Sofa zu setzen und ich gehe um den Tisch herum und Sabine hinterher, doch entschieden und mit wenigen großen Schritten überholt Nadja Sabine einfach und setzt sich neben mich.
29.10.2005 16:56:02
stw
Kannst alles machen, sagte Harun. Jetzt politisches Feuilleton. Ist geil. Schreibt Wehler schreibt Pothast schreibt Dreher. Jesse James is back! Nie wieder "Im Kino gewesen. Geweint." Check das aus, meint Cornelius, als Zidane trifft, check das aus, Mann. Wurde auch langsam dringend, sagt Harun. Hast du schon mal daran gedacht, an diese Mittelmajuskeln, die einfach wegzulassen? Cornelius fragt: das A., das E., oder das erste C.? Super, sagt Harun, einfach Bernd Sucher.
09.11.2005 14:20:59
Island Records
Welche Musik würde ich mitnehmen, hatten die mich gefragt. Allein auf der Insel.
Die Matthäus-Passion. Mein Gott, Seidler. Starb in Salzburg bei den Festspielen, in der Frühe, lange vor der Probe. Unser Seidler, der Orchesterwart. Es gab nichts, was gesagt werden konnte. Meine Philharmoniker. Vor der Mahler-Probe mit voller Besetzung gebe ich das Zeichen: "Strauss. Alpensinfonie. Sonnenaufgang."