Beim Aufstoßen der schweren Stahltür mit der Schulter erscheint man sich selbst unwesentlich größer als in der Realität. Einem kurzen Schreck folgt die Erkenntnis. Der Beamer über der Tür, die Kamera an der Wand gegenüber. Klaro, Filmerparty.
Mit gesenkten Köpfen bahnen sich die Leute ihren Weg durch dancehallriddims an dabmuzik inna di haus, stehen vor dem DJ mit ausdrucksvollen Gesichtern und fragen unhörbar, von wem dieses eine Stück nochmal sei oder ob er mal das und das spielen könne. Der DJ nickt im Takt der Musik mit seinem kleinen Kopf und läßt die nächste Platte los.
Sie habe da ein Wahnsinnsprojekt am Laufen, also schon Film, aber mehr so künstlerisch. Sie habe, erklärt das blonde Mädchen und spitzt die Lippen, aus weißem Leder einen Ganzkörperanzug anfertigen lassen. Und zwar für eine Katze. Noch immer scheint sie selbst überrascht von diesem Einfall, schweigt kopfschüttelnd eine ganze Weile, spitzt erneut die Lippen. Und das wolle sie eben filmen, wie die Besitzerin ihr Tier in diesen Anzug zwängt. Sie rechne fest damit, dass die Katze spätestens bei der Gesichtsmaske ausflippe. Und das sei ja eben genau die Aussage.
Nicht mal vierzig sei er, klagt der Setdesigner, und habe schon alles erreicht, die fettesten Jobs schon hinter sich. Jetzt gehe es nur noch bergab. Außerdem hat er ein entzündetes Auge, von dem der Blick der nervösen Aufnahmeleiterin magnetisch angezogen wird. Mit ihren überlangen Armen umklammert sie sich selbst. Das sei vielleicht nur die allgemeine Krise, beschwichtigt sie. Na sicher, schnaubt er, an ihm liege es wohl kaum. Und ob sie es mal lassen könne, ihm dauernd aufs Auge zu starren.
Ey Leude, schnarrt eine jungsfleischgewordene Trickfigur, Riesenafro, Arsch in den Kniekehlen, XtraXtraLarge Tee und schnieke Sneakers. Er fahre zur Tanke, Kippen holen. Ob sonst noch einer was brauche. Die Antwort ist ein Röhrchen straff gerollte zwanzich Euren, fix glatt und sauber gestrichen von den Bronzefingern eines Ex-Surferdarstellers, für zweimal Players. Gebongt Alder.
Kratzige Musik, klappernde Gläser, hellgraue Luft, grelles Vogelgezwitscher. Unbeeindruckt bleiben die Letzten auf den wenigen Sitzgelegenheiten. Sie schweigen und Rauchen. Eyes wide shut, sagt einer in die Stille. Die anderen lachen matt, als der Gastgeber erklärt, die Party sei beendet.
08.03.2006 16:00:19
Entenwerder Park
Dieser Regen, dieser Regen, dieser ausdruckslose Regen, Tag für Tag, unter dessen Gleichgültigkeit der Rasen und die Regenwürmer verfaulen.
Vipernhaft gleitet ein Mädchen durch die grob vergenagelte Absperrung an der baufälligen Mole. Auf den Trümmern verdichtet sie sich zu einem schroffen Element, das der Regen zusätzlich anreichert.
Komm her du Fotze, brüllt sie jäh.
Von Osten nähert sich eine zweite Schlange.
Übergangslos beginnen die beiden aufeinander einzuprügeln. Die Schläge sind hart und genau, die Tritte gnadenlos. Ihre Technik ist Brutalität. Hin und wieder lachen sie, um den Schmerz zu verwischen.
Endlich geht eine zu Boden. Hoch ragt die andere neben ihr auf.
Du verfickte Fotze!
Der Regen dämpft ihre Worte kaum. Die Elbe vibriert. Lautlos dringt der Regen in sie ein.
Plötzlich entstehen im bleiernen Grau zwei grelle Gestalten. Ihre Farbe, ein scharfes Orange, tragen sie zu ihrer eigenen Sicherheit. Mit langen Greifarmen reißen sie nach jedem Schritt Unrat aus der klammen Landschaft. So werden sie langsam wieder kleiner und kleiner.
Dann ist da nur noch dieser Regen. Dieser Regen.
13.10.2005 16:52:43
Berliner Tor - Hauptbahnhof
Mürrisch rücken die Fahrgäste der S-Eins am Berliner Tor enger zusammen, um Platz zu machen für mindestens zweihundert weitere Reisende.
Von einer außerplanmäßigen Frauenstimme werden sie wegen eines Stromausfalls auf der Linie U-Drei in Höhe Hauptbahnhof barsch um Verständnis gebeten.
Ein Mann lehnt sich an das Softeis eines Mädchens. Sein Anzug muss in die Reinigung und die Mutter soll es bezahlen.
Zum Zeitunglesen ist jetzt kein Platz mehr, ausgerechnet zu Stoßzeit.
Am Hauptbahnhof drängen die Leute selbstverständlich zum Bahnsteig der U-Drei, den Polizisten in alten, verschwitzen Uniformen abriegeln, so dass nichts zu sehen ist außer einem Feuerwehrmann. Er zündet sich eine Zigarette an. Die am Saum der Traube sehen nicht mal das und wollen umso dringender wissen, was denn da los ob da wieder einer.
Und sie tänzeln mit langen Köpfen auf den Zehenspitzen, ohne eine Spur von Eleganz .
Am Südausgang stehen ein Krankenwagen und ein Tapeziertisch, an dem Stullen mit der christlichen Botschaft verteilt werden an die, die es nötig haben. Sie schwanken leicht im milden Abendwind zwischen den Tauben. Man kennt sich.
Ohne Hast eilen vier Sanitäter die Treppe hoch.
Zwischen ihnen sitzt er, bis zur Unkenntlichkeit zusammengesunken der Körper, das Gesicht
Der Abendsonne entgegengestreckt. Kein Tröpfchen Blut. Seine starren Augen sind schaurige Wunden, in die zu seiner Verwunderung das goldene Licht ungehindert eindringt.
Er reißt den Mund weit auf, als er fragt: Hamburch, bisdudas?
07.08.2005 14:51:26
Alsterdorf
Zusammengedrängt stehen die Pflegeschüler an ihrem ersten Schultag auf dem Alsterdorfer Marktplatz. Sie haben Mittagspause und sehen sich um, als seien sie in ein übergroßes Märchendorf geraten.
Die Sonne spiegelt sich in den blitzblanken Fenstern.
Ein nutzloser Schlot zeigt in den Himmel, den pausbäckige Wolken überqueren.
Die Bäume flüstern im Wind.
Auf dem knubbeligen Pflaster haben sich die lustigsten Gestalten versammelt. Ein würdiger Herr mit einem solarbetriebenen Ventilator auf dem Kopf. Ein Mannsweib, das seine ganze Faust verschlingt. Ein Gnom im Blaumann. Ein Mongo-Punk, Hand in Hand mit einer winzigen barfüßigen Gräfin. Eine Bohnenstange, die eine Gruppe singender Greisinnen in den Aldi-Markt führt.
Tapfer setzt sich als erste eine stämmige Asiatin auf eine Bank, die beinahe so groß wie ein französisches Bett ist.
Das also seien ihre zukünftigen Patienten.
Klienten!, berichtigt ein junger Mann ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen und wird in diesem Moment von einem Hünen, dessen Gesicht der Schatten einer mächtigen Sonnenbrille verdüstert, um eine Zichte angeschnorrt. Er bekommt eine und verlangt sofort eine weitere für seinen Freund. Dann will er noch eine für später.
Als der junge Mann zögert, beschimpft der Koloss ihn als Mistfink und Nazi.
Mitten in das Schweigen der Heilerzieher von Morgen setzt sich stöhnend eine dralle Fregatte.
Ihr meint dat gut mit uns, sagt sie, lächelt, springt plötzlich auf, kreischt, schlägt um sich, reißt ihr T-Shirt hoch und trägt keinen Büstenhalter.
Zum Glück eilen ihr zwei alte Knaben zur Hilfe. Der eine zieht ihr das Shirt runter, der andere zündet sich eine Pfeife an, um die Scheißviecher, die Blutsauger wegzuräuchern, wie er sagt.
Schon beginnen die drei zu plaudern, über dies und das. Zum Beispiel erklärt der Pfeifenraucher, sein Zimmer sei unglaublich dreckig, ein richtiger Saustall, sowas hätte man ihm früher, damals nicht durchgehen lassen, gleich an die Wand und ratatatat.
Immer noch stumm kommen die Schüler überein, dass es besser sei jetzt zu gehen, um bloß keine Sekunde Unterricht zu verpassen.
24.02.2005 22:19:02
Steindamm
Der Himmel über dem Steindamm ist matt violett, so dass er mit dem linken Auge betrachtet kostbar, schmuddelig mit dem rechten aussieht. Der Wind trägt die verbrauchte Luft aus den Imbissen, den Daddelhallen, den Sexshops, den Pornokinos, den Stundenhotels und das Raunen, Flüstern und Zischeln aus Männermündern in die trübe Dunkelheit.
Bist du süß.
Du bist süß.
Oh bist du eine.
Geile Fotze.
He.
Du.
Na komm mal her.
Wie ein wütender kleiner Schwan, den Hals gereckt, die Stirn angrifflustig gesenkt, die Flügel hinter dem Rücken gespreizt jagt sie hinter dem Mountainbiker her.
Has du grade versucht mich umzufahn? Sach ma!
Sie schnappt nach seinem Hemdzipfel.
Fass mich nich an!
Du has grade versucht mich umzufahn!
Dass du dich nich schämst du Hure schäm dich! Un dann noch so ne Billighure, Fünfeurohure. Mit dir würd ich nie, nich umsonst würd ich mit dir.
Du nennst mich Hure!? Du nennst mich Hure!? Bis du überhaupt deutsch?
Klar bin ich deutsch, Steinmuschi!
Wo bis du deutsch? Wo du deutsch bis, möcht ich ma wissen. Mit deiner kanackigen Haut, Kanacke.
Halts Maul oder ich fick dich.
Ich dachte du poppst mich nich.
Ich popp dich nich. Hab ich gesagt, ich popp dich oder ich fick dich? Poppen is mit Liebe und Ficken is bloß –
Er rammt seine Faust in die Nacht.
Ach, verpiss dich doch.
Erschöpft dreht sie sich weg und glättet ihr Gefieder.
04.02.2005 13:31:00
Hauptbahnhof
So weit kommt das noch, Frollein.
Drohend bleibt die Mutter mitten auf dem Bahnhofsvorplatz stehen. Die rausgewachsene Dauerwelle klebt ihr in der Stirn. Es ist schwül. Der Himmel leuchtet weiß.
Wenn du dir die Haare färbst, rasier ich sie dir eigenhändig ab. Und zieh bloß nicht son Gesicht.
An ihrer Mutter vorbei sieht das Mädchen in die Zukunft.
Dann lasse ich mir eben die Glatze tätowieren.
Der satte Aufschlag einer Bierdose zu Füßen der Mutter läßt die Tochter für den Moment ungeschoren davonkommen.
Am schmalen Ufer des Menschenstroms, gleich neben den Fahrscheinautomaten schwitzt er in seiner roten Jacke. Hamburger Verkehrsbegleitservice. Ein Namensschild bezeichnet ihn mit A Köhler.
Im Takt eines Klassik-Hits von Mozart, Haydn oder Bach tänzeln seine unangemessen kleinen Füße. In der Mitte ist er einfach nur fett. Auf schmalen Schultern sitzt ein Erbsenkopf. Durch seine dicken Brillengläser sieht man deutlich wie er seinen Kollegen anstarrt.
Doch der, drahtig und gebräunt, blickt hartnäckig in die andere Richtung, aus der sich an die dreihundert Kilo, verteilt auf zwei Körper mit großem Hallo nähern.
Freigiebig offerieren sie ihrem dicken Kumpel eine Dose Bier, aber A Köhler zieht die Jacke glatt und lehnt lauthals ab. Er sei im Dienst.
So ziehen die beiden weiter und können gerade noch einem Trupp Polizisten ausweichen, die die Wandelhalle widerwillig im Laufschritt durchqueren.
Neidisch blickt A Köhler auf ihre Knüppel.
Am äußeren Rand des Bahnhofvorplatzes, gleich an der Straße stehen noch welche dieser seltenen Bänke, umringt von einer Meute spitzköpfiger Hunde und ihren Herrchen und Frauchen. Freie Radikale haben ihre Gesichter ausgelaugt, sogar die ganz jungen Dinger haben schon einen Schmiss weg.
Da platzt plötzlich fünfzehn Meter weiter eine Bierdose auf dem Straßenbelag. Ein Langhaariger hat sie geworfen.
Ich will dich hier nicht mehr sehen, hab ich gesagt!
Er reißt sich das Hemd runter, pumpt die hagere Brust auf, nimmt die Fäuste hoch, geht völlig ab und donnert dem untersetzten Glatzkopf die Rechte in die Fresse. Der zieht das Knie hoch. Wortloses Gebrüll, Fußtritte, Fausthiebe. Kläffende Hunde dazwischen.
Es sind zwei Frauen, die die Kämpfer trennen und sie erneut aufeinander loslassen, als die Hunde endlich auseinander sind.
Im Trab herangeeilte Polizisten beenden die zweite Runde, im beidseitigen Einverständnis werden die Personalien festgestellt. Dreivierfünf Kumpels gesellen sich dazu. Hundenasen hinterlassen feuchte Flecke an Polizistenbeinen.
Es dauert fast zwanzig Minuten, ehe die Beamten sich schulterklopfend verabschieden und wieder auf den Dienstweg machen.
31.01.2005 16:17:59
Ahrensburg
Eine Brücke aus Stahl und Teerpappe. Die hohe, steile Treppe ist von Gestrüpp durchwuchert, das nach den Beinen eines trägen Spaziergängers schnappt. Oben, über den Bahngleisen dröhnt der Stahl bei jedem Schritt. Auf der anderen Seite mündet die fünfzigste Stufe ins Moor.
Über dieses Moor, dieses unklare Gewässer windet sich ein Weg aus schlüpfrigem Holz, den Nacktschnecken versperren.
Ein morsches Wanderspaar schreitet trotzdem forsch voran.
Nach dreihundert Metern endet der Moorwanderweg in einem unansehnlichen Wald ohne Unterholz, dafür mit zahllosen Infotafeln, die sein einziges Geheimnis lüften: all die Bäume wurzeln in einer mittelalterlichen Burganlage.
Die Straße die den Wald sauber in zwei Teile spaltet ist Ende des letzten Jahrhunderts neu asfaltiert worden und knattert an einer Siedlung vorbei, die mit dem Rücken am Waldrand steht.
Im Todesstreifen zwischen den letzten staksigen Bäumen und dem langen Zaun, mit dem die Gärten der Einfamilienhäuser gegen den Wald geschützt sind, strotzen kindshohe Brennnesseln mit Brennhaaren dick wie Hamsterkrallen. An mehreren Stellen durchbrechen sie den Zaun.
In einem der Gärten schlägt eine Frau mit der elektrischen Heckenschere nach einer Libelle. Nach einem kurzen, entschlossenen Kampf löst das Insekt sich jäh in Luft auf.
Die Frau behandelt mit chirurgischer Genauigkeit einen Kegel aus Buchsbaum, der in einem blütenweißen Kunststoffkübel im Zentrum des akkuraten Rasenteppichs steht. Rechts und links von ihm ist je ein Rosenstock aufgepflanzt, die Blätter an der Hosennaht, die gelben Blüten hoch erhoben.
Sacht führt die Frau die Heckenschere über die niedrige Hecke, die die Terrasse einfasst.
Ihr hellgelbes Poloshirt ist Ton in Ton mit der Farbe des Hauses gehalten.
Den pflanzlichen Abfall wirft sie in einen eckigen Behälter, ebenfalls aus weißem Kunststoffspritzguss, der parallel zur Garage steht.
Dort begegnet sie noch einmal der Libelle.
Die Heckenschere liegt schon sorgfältig im Originalkarton verpackt auf dem Terrassentisch.
So schlägt die Frau die Hände vors Gesicht und rennt gebückt wie bei einem Tieffliegerangriff durch die offene Terrassentür.
Zurück bleiben grüne Gartenclogs auf dem Fußabstreifer.