Poetischer Protest gegen islamische Geistliche

28.03.2010 | 18:24 |  JUTTA SOMMERBAUER (Die Presse)

Eine Saudiaraberin wird bei einem TV-Poesiewettbewerb mit Kritik an radikalen Klerikern zum Star – und möglicherweise sogar zur Preisträgerin. "Immer heißt es 'haram' - verboten", klagt sie.

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Wien/Abu Dhabi. Hissa Hilals Poem hört sich, zumindest für westliche Ohren, zunächst nicht besonders radikal an. Eine der Strophen aus ihrem Gedicht lautet zum Beispiel so: „Er spricht aus einer offiziellen, mächtigen Position, terrorisiert die Menschen und stellt allen nach, die Frieden suchen.“ Doch diese Zeilen, die die voll verschleierte Saudiaraberin bei dem Dichterwettbewerb „Dichter für Millionen“ im Kanal Abu Dhabi TV – dem Staatsfernsehen des Emirats – vor Millionen Zusehern vorgetragen hat, bergen einiges an Sprengkraft. Vor allem in politischer Hinsicht.

Die Mittvierzigerin und Hausfrau hat sich nämlich im Fernsehen die Freiheit genommen, islamische Geistliche zu kritisieren – insbesondere jenen saudiarabischen Kleriker Abdul Rachman al-Barrak, der mit seiner Fatwa, einem islamischen Rechtsgutachten, im Februar all jene mit dem Tod bedrohte, die ein Zusammentreffen beider Geschlechter in Bildungseinrichtungen und bei der Arbeit fördern.

Gegen radikale Prediger

Hissa Hilal lebt in Saudiarabien, einem Land, in dem Frauen nicht einmal Auto fahren dürfen. Auch Reisen ohne männliche Begleitung und die meisten Jobs sind Frauen verboten.

Als der reformorientierte König Abdallah im September am Roten Meer die erste Universität für Männer und Frauen eröffnete, reagierten viele Geistliche des Landes empört. Auch betraute der Monarch erstmals eine Frau mit einem Ministerposten, als er Nura al-Fajes zur stellvertretenden Bildungsministerin ernannte.

Die dichtende Hausfrau betont, ihr Protest gegen die Fatwa richte sich vor allem „gegen den Plan, einen Menschen wegen seiner Überzeugungen zu töten“. Das Zusammentreffen von Männern und Frauen am Arbeitsplatz sei „eine Notwendigkeit des täglichen Lebens“. „Immer heißt es ,haram‘ – ,verboten‘“, klagt Hilal. Dieser gefährliche Extremismus sei nicht mehr auf Saudiarabien und die Golfstaaten beschränkt, er breite sich auch auf Ägypten, Jordanien und Syrien aus, so die Dichterin.

Zeitgemäße Dichtkunst der Beduinen

Ihre unkonventionelle Kritik in Form des sogenannnten „Nabati“-Stils, der Dichtkunst der Beduinenstämme der Arabischen Halbinsel, hat ihr Zuspruch und Hass gleichermaßen eingebracht. Zuspruch von aufgeklärten Muslimen und europäischen Islamkritikern, von denen manche nun gar eine Nominierung Hilals für den Nobelpreis verlangen. Aber auch Hasstiraden hat es gehagelt: Auf der Website Ana al-Muslim, die auch Nachrichten des Terrornetzwerks al-Qaida verbreitet, wurden nach Berichten der saudiarabischen Tageszeitung „al-Watan“ bereits Todesdrohungen gegen die revolutionäre Dichterin ausgestoßen. Ein Nutzer des Forums der Seite fragte unverblümt nach Hilals Adresse. „Natürlich haben mein Mann, meine Familie und ich Angst“, sagt die vierfache Mutter.

 

Poesiefinale am Mittwoch

Mit ihrem couragierten Auftreten überzeugte Hissa Hilal jedenfalls auch die Jury der Show. Diese vergab 47 von 50 möglichen Punkten – das beste Ergebnis aller Kandidaten. Am Mittwoch könnte die Saudiaraberin ihren bisher größten Triumph feiern.

An diesem Tag findet das Finale von „Dichter für Millionen“ statt. Hilal zählt zu den fünf Finalisten und könnte den mit 1,3 Millionen Dollar dotierten ersten Preis gewinnen. Die Show, die im Durchschnitt 18 Millionen Zuseher hat, wurde 2006 von der Regierung von Abu Dhabi gegründet. In der diesjährigen, vierten Saison kämpfen 48 Teilnehmer aus zwölf arabischen Ländern um den Titel des besten „Nabati“-Dichters.

Zwar hat Hilal mit harter Konkurrenz zu rechnen. Denn auch einige der anderen Teilnehmer haben kritische Themen vorbereitet: Eine Poetin wird über Terrorismus sprechen, eine andere über die Rolle der Frau. Hilal hat angekündigt, dass ihr aktuelles Poem von den Medien handeln werde.

Ob die starke Frau aus Saudiarabien gewinnt oder nicht, ist mittlerweile vielleicht schon zweitrangig. Denn längst geht es nicht mehr nur um Poesie allein. Wann hat zuletzt ein Gedicht so viel Staub aufgewirbelt?

AUF EINEN BLICK

Die Saudiaraberin Hissa Hilal wagte bei einem Poesiewettbewerb, der im Fernsehen des Emirats Abu Dhabi übertragen wurde, ein ungewöhnliches Experiment: Sie rezitierte ein selbst gedichtetes Poem, in dem sie radikale islamische Kleriker kritisierte. Wegen ihrer beherzten Kritik erhielt sie bereits Todesdrohungen.

Am Mittwoch findet das Finale des Wettbewerbs statt. Hilal hat dabei gute Chancen, den mit 1,3 Mio. Dollar dotierten Hauptpreis zu gewinnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2010)

 
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15 Kommentare
Malleus Maleficarum
29.03.2010 12:45
2

...bereits Todesdrohungen gegen die revolutionäre Dichterin ausgestoßen

ist das irgendein verdammter reflex erzkonservativer muslime?!

todesdrohungen von dieser seite unterliegen nämlich einer zunehmenden inflation.

Globetrotter
29.03.2010 11:56
3

Jede liberale Strömung, die zu mehr Toleranz und Freiheit in Saudi Arabien führen kann ist zu unterstützen - mag sie auch noch so klein sein.


immer der
29.03.2010 11:50
3

leider, leider!

Wenn eine frau sich so vermummen muss, damit die männlichen Personen keine "Gefühle" bekommen, kann ich nur echt auf Alice Schwarzer verweisen, die zumindest auch in diesem Zhg. für die rechte der Frauen kämpft (siehe: Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz)
Wenn man Frauen liebt, müssen sie sich entfalten können! Und das gilt für alle Kulturen.

Gast: gast
29.03.2010 09:44
3

Wahhabismus

Ja, so zeigt sich der Wahhabismus ( eine Sekte des Islam, des 18. Jahrhunderts, die Anfangs von den meisten islamischen Geistlichen als Irrlehre betrachtet wurde, mit kolonialen Geldern allerdings unterstützt wurde und mit Ölgeldern in die Welt verbreitet...) Aber gegen die Saudis hat man ja nichts, solange sie wirtschaftlich Kooperieren.. und mithelfen gegen den schiitischen Iran Druck auszuüben...

KeinGutmensch
29.03.2010 08:09
3

Es grenzt schon an Ironie

Im wahabitischen Islam erkennt man plötzlich moderate Strömungen, hingegen macht HC plötzlich eine 180 Grad Kehrtwende, und hofiert dem Islam:

http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/politik/2322496/fpoe-chef-strache-baut-nun-beziehung-zum-islam.story

Entropix
28.03.2010 22:10
8

was hätte wohl

die Frau Glawischnig vorgetragen? ;-)

Gast: Peter Kaspar
28.03.2010 20:41
19

Eine mutige Frau, die ...

hoffentlich auch unsere gegenaufklärerischen Multikultis zum Nachdenken bringt.

tsunamisurfer
28.03.2010 20:19
19

Welche Angst...

...vor der eigenen, offensichtlich unbeherrschbaren, Sexualität muss in den islamischen Ländern herrschen, dass die Frauen verschleiert und praktisch aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.

Antworten rough_rider
29.03.2010 01:16
3

Re: Welche Angst...

und welche angst herrscht bei unseren (jungen) männern, die nicht mehr wissen wie sich sich verhalten sollen (zu männlich = macho, zu weiblich = weichei) bzw. bei unseren frauen, die mehr leisten müssen als früher aber dafür weniger gegenleistung bekommen.

natürlich (!) ist die saudiarabische geschlechterrollenverteilung schwachsinning und sogar primitiv, aber die emanzipation hat auch nicht nur vorteile für alle beteiligten gebracht.

Antworten Antworten Milchleber
29.03.2010 12:03
1

Die Dinge verwechseln

Die Frauen haben sich verändert, die Männer dachten, sie können bleiben, wie sie sind ...

jetzt ist es an den Männern, es den Frauen gleich zu tun und sich weiterzuentwickeln.

Dass die Gesetzgebung, was Kinder und Scheidungsrecht angeht absolut in eine untragbare Richtung gekippt ist, ist wieder eine andere Geschichte.

"Ich bin Vater, kein Besucher."

Antworten Antworten Gast: Fellini
29.03.2010 03:31
3

Re: Re: Welche Angst...

Ja, um unseren armen jungen Männern die Angst zu nehmen, gehören Frauen zurück an den Herd. Marsch, Marsch. Wahlrecht, Universitäre Bildung, all diese Nachteile der Emanzipation gehören schleunigst wieder beseitigt. Für unsere jungen Männer.

Ach waren, das noch Zeiten, als man Frauen auf den Hintern langen konnte, und die nicht einmal wussten, was sexuelle Belästigung ist. Wir armen, jungen Männer. Buhuhuuu. Ich heule. Schnüff.

Antworten Antworten Antworten rough_rider
29.03.2010 12:06
0

Re: Re: Re: Welche Angst...

hahaha na ein spitzen posting! also meines muss ja wirklich total so geklungen haben, als wäre ich ein macho, der sich frauen zurück an den herd wünscht...

na jedenfalls kommen durch postings wie ihre immer besonders gute diskussionen zustande - danke für ihren wertvollen beitrag.

und wenn sie sich fragen, warum jede zweite ehe geschieden wird, warum es hinten und vorne beziehungsprobleme gibt, warum frauen mit männern und männer mit sich selbst nicht zufrieden sind: fragen sie sich's halt weiter - an einer antwort sind sie sowieso nicht interessiert.


Antworten Antworten Antworten Gast: SicherlichER
29.03.2010 11:36
3

Re: Re: Re: Welche Angst...

Zurück ist immer die falsche Richtung. Eher den Frauen ihre Rechte lassen und dafür sonst die Rechte ausgleichen. Nein, Frauen bekommen NICHT automatisch die Kinder zugesprochen, bekommen nicht auf Lebzeit (!) Unterhalt, weil er einmal schwach oder die Zeiten besser waren.

Zwei kleine Schritte, die schon viel bedeuten auf dem Wege der Gleichstellung.

Aus dieser neuen Position kann das Mannsein auch wieder anders betrachtet werden, im Moment ist es für aufgeklärte Männer ein Graus - nur Pflichten kaum Rechte und dafür noch Häme.

Antworten Gast: Till
29.03.2010 00:33
5

Re: Welche Angst...

So will es Allah. Der Mensch darf sich nicht so zeigen, wie Gott ihn erschaffen hat. Er ist dazu geboren worden, sich zu verhüllen, soweit er zwei Höcker hat.

Antworten Antworten tsunamisurfer
29.03.2010 10:16
5

Ein Wunder noch,...

...dass er nackt auf die Welt kommen darf!

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