DB-041 17 (Beate blickt Götz mißbilligend an)

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Beate blickt Götz mißbilligend an, aus seinem Verschlag in der Küche herausgekommen ist, und wirft ihm vor, sich an ihren Eltern abreagiert zu haben. Götz zuckt gleichgültig mit den Schultern, stellt Kaffee auf und fragt mich, ob ich auch eine Tasse wolle.

Ich nicke, worauf Götz aufatmend feststellt, daß man sich jetzt (nachdem uns die Orthodoxie verlassen habe) endlich wieder frei bewegen könne. Bevor ich ihm sagen kann, daß er mir keine Erklärung schuldig sei, fährt er Beate über den Mund: Wenn sie sich schon so ruppig aufführe, müsse sie mich aber auch über die Ursachen seines Verhaltens informieren.

Das nimmt er jedoch lieber selbst in die Hand: Vor zehn Jahren habe er in einer Bude im Erdgeschoß eines recht vergammelten Baus gehaust, einem ehemaligen Laden mit riesigen Fenstern, durch die es ständig die kalte Luft ins sogenannte Wohnzimmer hereingepreßt hat. Dahinter, neben dem Kabinett, in dem er geschlafen habe, sei die Küche der einzige Ort gewesen, wo er sich tagsüber habe aufhalten können, ohne von Straßenlärm und Witterung belästigt zu werden.

Vor Oskar sei er damals ein Nichts gewesen, weil er damals nicht besser gewohnt habe, was noch verstärkt worden sei durch den Umstand, daß dieser seine beiden Töchter als seinen Besitz betrachtet habe, über den nur er zu bestimmen habe. Weil er ihm ständig die Grenzen der Verfügungsgewalt über Beate bewußt gemacht habe, könne ihm Oskar bis heute nicht verzeihen.

Zum Tauziehen um dieselbe Frau (des einen Tochter, des andern Geliebte) sei dann noch verstärkend dazugekommen, daß er Oskar wegen seiner Mentalität habe verachten müssen: Anstelle des herbeigesehnten geistigen Vaters, schreit Götz, hat sich Oskar als einer entpuppt, der schamlos seine Privilegien ausnützt; als einer, der einfach ins kapitalistische Ausland abhaut und von dort aus falsche Nachrichten wider besseres Wissen verbreitet oder zumindest zuläßt, daß sie verbreitet werden, wo er doch als Korrespondent einen viel besseren Zugang zu den Informationen hat als jemand, der hier in der Hauptstadt sitzt.

Am schlimmsten jedoch sei gewesen, sei es noch immer, daß Oskar sich der herrschenden Sprachregelung unterwerfe, ohne den Versuch eines Widerstands zu machen. Von Anfang an habe er gutgeheißen, daß seine Sätze in die offizielle Hof- und Jubelsprache verkehrt worden seien. Und seit langem verwende er diese selbst, sei unheilbar mit ihr verseucht.

Aufreizend an Oskar sei auch jetzt noch, daß er sich so einfach mißbrauchen lasse, dem Mißbrauch zustimme, selbst eine Haltung einnehme und eine Sprache verwende, die sich keineswegs enorm von dem, was der berühmte Klemperer LTI genannt habe, Lingua Tertii Imperii, Nazi-Sprache also, unterscheide. Götz verläßt schwungvoll den Raum.

(Die Berliner Entscheidung, Residenz Verlag, 1984)

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