Lean Just-in-Time Recruiting – Traum oder Albtraum?
February 14, 2011 Leave a comment
Der HR-Bereich verursacht praktisch und in der Wahrnehmung des Managements erst einmal nur Kosten. Das Business findet woanders statt. Da verwundert es kaum, dass in vielen Unternehmen immer weniger Ressourcen zur Verfügung stehen, um immer mehr Serviceleistung für das Kerngeschäft zu erbringen. In diesem Kontext wird HR zuweilen mit dem Konzept des Supply Chain Management in Verbindung gebracht: Ein erster Ansatz ist die Porter’sche Wertkette. Nachzulesen in Bezug auf HR z.B. bei Wolfgang Jäger (2009,18ff: Talent Management ist Personalmanagement. In: Jäger, W./ Lukasczyk, A. (Hrsg.): Talent Management. Strategien, Umsetzung, Perspektiven. Köln: Luchterhand. S.15-23.). Im gleichen Herausgeberband führt Peter Cappelli (2009,39ff: Talent Management for the Twenty-First Century. In: Ebd. S.39-49.) den Gedanken weiter. Als größte Herausforderungen identifiziert er die Risiken einer zu weit reichenden Bedarfsplanung sowie die Unsicherheit in der Beschaffung neuer erfolgskritischer Mitarbeiter. Über die Anwendung von Methoden aus dem Bereich des Supply Chain Management möchte er die Wunschvorstellung “Talent on demand” erreichen (S.49).
Klassische Wertkette nach M. Porter (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Wertkette)
Am weitesten hat diesen Gedanken meines Wissens bisher Glen Cathey getrieben: In seinem Blog “Boolean Black Belt” stellt er die Frage “What is Lean Just-in-time Recruiting?”. Die Anwendung der Supply Chain auf Recruiting beschreibt Glen wie folgt: “In recruiting, human capital supply chain activities transform relationships and data (ad responses, resumes, social networking profiles, etc.) into candidates that are delivered to hiring managers.” Nach einem kurzen Hinweis auf Lean Production bei Toyota formuliert er den gleichen Ansatz wie so manches Mitglied der Geschäftsleitung bzw. Bereichsleiter in Unternehmen: “The primary focus of Lean is creating more value with less work, and considers the expenditure of resources for any goal other than the creation of value for the end customers to be wasteful.”
Glen Cathey beschreibt anschaulich und selbstverständlich auch nachvollziehbar, wie ineffizient es ist, mehr Bewerbungen als notwendig zu generieren. Im gleichen Atemzug hinterfragt er das proaktive Bereitstellen einer Pipeline an Kandidaten für den zukünftigen Rekrutierungsbedarf des Unternehmens. Auch die Nutzung von Online-Jobbörsen führe tendenziell zu Überproduktion, einem von sieben “Übeln” bei Lean. Im Prinzip passt für ihn auch Talent Relationship Management nicht in die Wunschvorstellung eines schlanken Recruitingprozesses. Jede ungeeignete und nicht weitergeleitete Bewerbung, die angeschaut werden musste – davon kommen so einige, gerade bei in Online-Jobbörsen ausgeschriebenen Stellen – ist unnötige Arbeit, die anderswo besser hätte eingesetzt werden können. Auch unnötige Wartezeit ist ein Mangel des Recruiting-Prozesses und verschlechtert die Candidate Experience und hat damit wieder negative Auswirkungen auf die Employer Brand.
Das Ziel eines Just-in-time Recruiting-Prozesses ist das gleiche wie bei Peter Cappelli: “Talent on demand”. Im Vordergrund steht nunmehr das Active Sourcing – und das ganz besonders unter dem Einbezug von Social Media, etwa Business Networks: “JIT recruiting has a primary focus of tapping into “raw material” candidate inventory (resumes, LinkedIn profiles, your network, etc.) and contacting, qualifying, and delivering candidates only in direct response to a hiring need.” Der Gedanke klingt verlockend – und auch ließen sich die Kosten viel besser rechtfertigen, wenn die Arbeit der Recruiter direkt im (internen) Kundenauftrag stattfindet und praktisch auf diese abgerechnet werden kann. Dennoch ist zumindest in Deutschland – und das auch schon aus arbeitsrechtlichen Gründen – das Active Sourcing noch nicht in dem Maße angekommen wie es etwa in den USA schon Standard ist.
Just-in-time Recruiting scheint die Lösung für die Forderung an HR zu sein, mit weniger Ressourcen mehr (oder zielgenauer) Leistung zu erbringen. Aber erlauben die rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen in Deutschland bereits einen solchen Ansatz? Oder werden eher falsche Erwartungen geweckt, denen die Recruiter in der momentanen Situation gar nicht standhalten können?