Freude, Freude. Nach 6 Wochen Intensivstation hat mein Papa heute mit mir ein Happy Birthday gesungen, zu seinem 84er, geschwächt, ein fast unbeweglicher Körper im Intensivbett, aber vielleicht gehts jetzt gesundheitlich wieder bergauf.

Der unbewegliche Körper, der behinderte Körper, in all seiner Nacktheit, bloßgestellt den gesellschaftlichen Blicken. Im Kleinen erlebbar auf der Intensivstation, im künstlerischen erllebbar im Bildnis eines behinderten Mannes im Schloss Ambras. Dazu gibt es jetzt – nach einem auf eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Bild rekurrierenden Buch – einen 45minütigen Dokumentarfilm „Das Bildnis eines behinderten Mannes“ – auch als DVD erhältlich, als solche in meine Sammlung einverleibt und soeben betrachtet.

Volker Schönwiese von der Uni Innsbruck – der meiner Meinung nach derzeit innovativste Typ auf dem Bereich der Forschung über Behinderung – hat das Projekt geleitet. Eine Forschergruppe aus behinderten und nichtbehinderten Menschen, Kunstschaffende und Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler haben sich mit dem Bildnis aus dem 16. Jahrhundert auseinandergesetzt und mit dem, was es uns heute zu sagen hat. Ein Film, der zum Nachdenken anregt, zum Nachdenken darüber, wie unser Blick heute im 20. Jahrhundert auf Menschen mit Behinderung ist.

Interessant das Bildnis selbst, das einen nackten Mann – nur mit einer roten Kopfbedeckung und einer weißen HAlskrause bekleidet vor schwarzem Hintergrund auf dem Bauch liegend darstellt. Hinter seinem Kopf sehen wir ein Holzkästchen. Arme und Beine sind verkrüppelt. Zu seiner Entstehungszeit war der Körper mit einem Vorhang bedeckt, den der Betrachter oder die Betrachterin hochheben konnte, um so einen Blick auf den Krüppel werfen zu können. Der Mann selbst schaut die ihn Betrachtenden direkt an, der Blick ist so gezeichnet, dass er einem immer nachfolgt.

Ausgehend von diesem Bild gibt es Betrachtungen zu Blicken, die auf behinderte Menschen fallen, heutzutage, verunsichernd, voyeuristisch aber auch zu Darstellung von Menschen und Kindern mit Behinderung, fürsorgend, helfend – und wie weit diese Blicke Würde geben oder nehmen. Manches wird auch nur angerissen, so etwa die Frage der Auseinandersetzung mit Sexualität – gerade auch von Männern mit Behinderung, aber auch die Frage nach Erotik im weiblichen Körper.

Innsbruck scheint mir ein gutes Pflaster zu sein für die Selbstbestimmt Leben Bewegung, für die Disability Studies und für einen selbstbewussten Zugang zur Gesellschaft. Der Film ist allemal sehenswert.

Noch ein Kunsteintrag

August 31, 2010

Heute letzte Folge der Zusammenfassung aus Kunstforum 203. Bin ja gespannt, wie lange ich diese Lesezusammenfassungen noch durchhalte. Zeitschriftenmäßig liegt derzeit nur eine Ausgabe von Raw Vision (Art Brut Zeitschrift aus England) und das Doppelheft der Psyche am unzusammengeräumten Schreibtisch. Die Herbstliteratur wird aber bald über mich hereinbrechen, dann wirds dicht. Zwischendurch vertreibe ich mir die Freizeit mit Siebenkäs und Oper, beides etwas einschläfernd.

Imaginationsobjekte
Über Sonja Vordermaier
Jens Asthoff
KF 203/2010

In einer Monografie schreibt Jens Asthoff über die 1973 geborene Sonja Vordermaier. Groß herausgehoben werden ihre Skulpturen aus der Reihe „Schatten“, der Versuch – nein eigentlich das gelungene Beispiel für dreidimensionale Darstellung eines zweidimensionalen Dinges, das ja wieder die Zweidimensionalität einer Dreidimensionalität ist, nämlich der Schatten. Wie außerirdische Objekte, fast beängstigend wachsen diese Schatten in die Räume, oder durchbrechen sogar Wände. Aus dem Spezialstoff Basotect von BASF schneidet Vordermaier mit einer eigenen Technik mit Samuraischwertern diese Skulpturen heraus. Immer wachsen sie aus Mauern heraus oder schweben frei in Räumen.

Teslasmog aus 2006 ist eine andere Arbeit die mit Unsichtbarem spielt, eine Plastik aus gebrauchten TV-Antennen mit Nestern aus Nägeln und Eisenspänen. Antennen sind „Empfangsverstärker und damit selbst … Visualisierungsmittel für Unsichtbares.“

Volatiles nennt Vordermaier ihre alltäglich erscheinenden Momentaufnahmen, die eine leise Unheimlichkeit ausstrahlen, so etwa, wenn aus einem geschlossenen Garagentor die Innenbeleuchtung wie eine streifenförmige Umrahmung durchscheint oder Tannen im Scheinwerferlicht bizarre Schatten werfen.

Witzig finde ich die Arbeit Leuchtenwald, die Zusammenstellung von dreißig Straßenlaternen aus verschiednesten teilen Europas, die wie ein Laternenbiotop (teilweise auch schräg gestellt) einen Platz (eine Lichtung im wahrsten Sinne des Wortes) füllen. Häufig erzeugte Lampen (sozusagen das Lampenunkraut) sieht man dort ebenso wie rare Stücke, die eigentlich schon ausgestorben sind.

Warten oder Fliegen – Die Power des Zeichenstiftes im Werk des Amateurs
Monografie über Diango Hernandez
Annelie Pohlen
KF 203/2010

Auf den ersten Blick lachte mich der Abdruck einer Zeichnung des kubanischen Künstlers an: Draw me Again aus 2003, ein Mädchen mit einem Schmetterlingsnetz das Schmetterlinge jagt, darunter auch einer mit einem Menschenkopf (der Künstler?) und eeiner von einem herabfallenden weißen papierblatt zugedeckt. Und ich musst sofort an die Bilder von Henri Darger denken – die Assoziation des Art Brut Liebhabers?

Die Auseinandersetzung mit der Macht spielt eine wichtige Rolle im Werk des Kubaners. 2004 lässt er Ansprachen von Präsidenten aus sechs Plattenspielern samt Ovationen zeitgleich abspielen, was nichts anderes ergibt, als eine raumfüllende Kakophonie. In D€mocracy spielt er Pariolen vor, in Spies unbefugt mitgeschnittene Reden von amerikanischen Präsidenten, beides unterscheidet sich „nicht so sehr von den Palabres der Volksrepubliken.“

Die Macht der Bilder, aber auch die Macht der Worte ist es, die auch Diktatoren das Fürchten lehren, und Hernandez spielt damit.

Vielfältig aufgeladen ist die Bilder- und Zeichenwelt von Hernandez, wenn sie auch sehr reduziert daherkommt. Dazu eine kurze Beschreibung der Ausstellung „Goldene Zeiten“, „in der Hernandez Castros Regierungszeit wie ein zum rostigen Dekor geschrumpftes System vorführt. Durch Years, 2008, ein in den Raum gezeichnetes Gitter aus jahreszahlen von 1959 bis 2008, fällt der Blick auf eine Wand voll leerer Blätter und platten wie Medaillons geronnener Relikte aus dem illustrierten Leben der Kennedys. Ein Stuhl mit zwei Beinen hält sich mittels eines Kabels an einer Sektflasche aufrecht.“

Ausstellungen in Österreich: Biennale Cuvee, O.K. Centrum, Linz, 2006

3 Künstlerinterviews

August 30, 2010

Erfreulich, wenn die Lektüre plötzlich Aktualitätswert gewinnt. Cyberwar, so las ich im letzten Le monde diplomatique (18.8. hier beim Fips), das ist im Kommen, das ist jetzt aktuell und das wird gefährlich. Und wutsch – heute wars schon im Morgenjournal, dass sich die EU jetzt wappnen muss dagegen. Also: Fips und Welt lesen und immer im Vorhinein informiert sein, Leute!

Heute kann man und frau sich wieder über neueste Kunstgedanken informieren, es sind drei Künstlerinterviews zusammengefasst. Aus unterschiedlichen Ländern und Hintergründen herkommend arbeiten alle drei Herren derzeit in Berlin.

Geopoetik – Geschichte als Ornament
Yuri Leiderman im Gespräch mit Heinz Schütz
KF 203/2010

1963 in Odessa geboren gründete Leiderman 1987 zusammen mit Sergej Anufriev und Pavel Pepperstein die Künstlergruppe Medical Hermeneutics. Leiderman schreibt auch und erhielt 2005 den russischen Andrej Belyi Preis für Literatur (wär vielleicht mal was für Manuskripte oder so)

Geopoetik, das ist für Leiderman die Verknüpfung von Naturwissenschaft und Kunst.

Erfrischend Leidermans Zugang zu Begriffen und Ängstlichkeiten. Globalisierung meint er, sei ein Begriff, der nichts über das tatsächliche Leben und seine Veränderungen aussage. Er sei Relativist, sagt Leiderman, alles existiere so, aber auch so oder so. Für Leiderman gibt es die Wahrheit nicht.

Zum Begriff nationaler Identität: „(das ist) die poetische Entscheidung eines Einzelnen, der bereit ist, dieser Entscheidung zu folgen und womöglich sogar sein Leben für diese doch ziemlich absurde Identitätswahl zu opfern.“

Leiderman bezeichnet sich als unpolitisch. Künstler mit explizit politischer Botschaft lehnte er ab. Die zeitgenössische Kunst sei am Ende, meint er. Im Übergang von Modernismus zu Postmodernismus begann die Gesellschaft schneller zu werden als die Kunst, die Gesellschaft übernahm die  Interpretationsmacht. Kunst wurde zur sozialen Analyse, die Gesellschaft bemächtigte sich der Kunst.

Künstler sind keine  normalen Mitglieder der Gesellschaft – so Leiderman. „Wir sagten nie, dass wir besser wären, wir sagten, wir sind schlimmer, aber besonders und verrückt und wir betreiben eine Art Therapie im bestehenden Irrenhaus.“

Auszug aus Arbeiten, wie in KF vorgestellt:
Geopoetics 19 (DIE Ehre hüt von Jugend auf), drei Vorleserinnen in russischer Tracht auf Treppenpodest, 2009. Die Damen sind in grüner, brauner und roter Tracht.

Geopoetics 7 (Die Befreiung von Odessa) drei schwarze Performer, Film zur Kriegsgeschichte. 2007. Die drei Schwarzen sprechen miteinander (Leiderman: „Mir gefallen Situationen, in denen Leute zusammensitzen und so diskutieren, dass es nicht möglich ist, zu hören, was sie sagen“), im Hintergrund läuft ein Film über die Befreiung von Odessa.

Eine Katze europäische Geschichte unterrichten, 1996. Einer Katze werden unterschiedliche Karten zur europäischen Geschichte gezeigt, ihre Gehirnströme gemessen.

No ideas but in things
Jason Dodge im Gespräch mit Michael Stoeber
KF 203/2010

Jason Dodge, 1969 in USA geboren, lebt in Berlin. Sein Vater war Künstler, so hatte er frühe künstlerische Eindrücke. Als prägend bezeichnet er den Blick auf das „Etant donnés“ von Marcel Duchamp im Philadelphia Museum (kann man im You tube nachvollziehen). Auf einer Italienreise mit den Eltern erlebt die Bilderfülle des Katholizismus, der weitaus bildmächtiger auf ihn wirkt als der Protestantismus. „Ich habe den Katholizismus in Rom wie eine künstlerische Sprache erlebt.“

Dodge denkt über Dinge nach, so sagt er. Dinge besitzen ein Eigenleben. Er bezieht sich damit auf die Philosophie von Heidegger. „Mir geht es darum, morgens aufzustehen und mich darauf zu konzentrieren, was mir die Dinge zu sagen“, so Dodge. Es geht ihm darum, diese Bedeutung in den Dingen zu erkennen und wie er als Künstler den Dingen Bedeutung geben kann. Diese Bedeutungsgebung liefert er an Menschen, die die Idee dann ausführen. Ein Beispiel dafür wäre die Arbeit: „Djidjiga Meffrer in Algerien webt einen Wandteppich mit Garn so lang wie der Abstand von der Erde zu Oben über dem Wetter“, ausgelöst durch das Erlebnis des Künstlers, mit dem Flugzeug die Wolkendecke zu durchstoßen. 12.000m Höhe, das mit der Hand nachzufahren im Webvorgang, das ist die Idee hinter der Arbeit. Die Spezifität des Dinges interessiert ihn, so in der Skulptur „Die Ärzte schlafen“ 5 kissen, auf denen nur Ärzte geschlafen haben.

Spannend für mich auch die Arbeit „Deine beweglichen und unbeweglichen Teile“ – ein Elekroofen, im Gedanken daran, dass der Strom dafür immer auch von einem anderen Kraftwerk herkommt.

In der Reduktion der Dinge und Gedanken (Dodge schreibt auch) liegt wohl eine der Besonderheiten von Dodge.

Noch ein Gedicht von William Carlos Williams, den Dodge als inspirierend für seine Arbeit beschreibt:
I have eaten
the plums
that were in the icebox

And which
you were probably
saving for breakfast

Forgive me
they were delicious
so sweet
and so cold

Ich sehe mich als Mitkonstrukteur einer Wirklichkeitsmaschine
Olafur Eliasson Im Gespräch mit Ronald Berg
KF 203/2010

Eliasson ist 1967 geboren. Er macht Projekte auch im öffentlichen Raum, darunter „New York Waterfalls“ entlang des East River- Wasserskulpturen riesigen Ausmaßes. Seit 20090 ist er Professor an der Universität der Künste in Berlin.

Einige Auszüge aus dem Gespräch:
Eliasson meint, die Kunst habe etwas Wertvolles für die Gesellschaft anzubieten. Er sieht den Kunstmarkt als gefährlich für die Kunst an, da er das prozesshafte einfriere, soll doch ein Produkt gezeigt werden. Als besonders gefährlich nennt er Auktionshäuser. Andererseits ist auch Eliasson klar, dass das kapitalistische System die Plattform ist, auf dem die Künstler agieren. Dazu ein Input zu ihm: die oben genannten New Yorl Waterfalls kosteten 15 Millionen Dollar!

Eliasson meint, mit seiner Kunst die Wirklichkeit qualifizieren zu können. Museen gegenüber ist er skeptisch. Sie fühlten sich – auch mit ihrer Pädagogik – noch immer als moderne Bildungsanstalten.

Interessant wirkt sein Institut für Raumexperimente. Hier gibt es 25 Studenten, die sich gegenseitig beeinflussen, auch Leute von außen immer wieder reinholen, zu unterschiedlichen Projekten sich austauschen, jeder und jede bringt seine/ihre Sicht ein. Eliassur fühlt sich als Teil der Gruppe. In seinem Atelier, das in unmittelbarer Nachbarschaft des Instituts angesiedelt ist beschäftigt er 30 Mitarbeiter. Er versucht Atelier und Institut als zwei verschiedene Aspekte seines Schaffens zu trennen, wenn es natürlich auch Begegnungen gibt. Die Mitarbeiter im Atelier sind angestellt, und letztlich entscheidet Eliassur, wie eine Arbeit ausgerichtet ist, wenn er sich auch von fachleuten beraten und unterstützen lässt.

Zur Beschreibung von Kunst meint Eliassur: „Wenn in der Kunst alles so genau beschreibbar wäre, dann hätte ich die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau auch auf ein Stück Papier schreiben können. … Ich bin noch altmodisch genug, daran zu glauben, dass die Kunst als selbstständige Sprache sehr gut funktioniert.“

Ein paar Werke, die im KF-Artikel abgebildet sind:
Your blind movement, 2010, Leuchtstoffröhren, Aluminium, Stahl, Nebelmaschine… Der Besucher bewegt sich in einem amorphen Farbenraum, wird der räumlichen Orientierung enthoben (vgl dazu auch den Bericht von Hübl im gleichen Heft über den Begriff der sensazione Kunstprojekte.rtf).

Berliner Treibholz, 2009. An unterschiedlichen Plätzen in Berlin (abgebildet auf einer Brücke, vor einer Straßenunterführung, auf einer Baustelle) legt der Künstler Treibholz hin, das vom Meer in Isalnd angeschwemmt wurde)

The New York Waterfalls, 2008: gezeigt wird die Ansicht auf der Brooklyn Bridgte. Vir einem Pfeiler ist ein Gerüst aufgebau von dem wasserfallartig in breiter Front Wasser fließt, das Ganze weiß beleuchtet.

Green river, 1998, Tokyo. Ein mit Uranin, einem grünen fluoreszierenden Stoff gefärbert Wasserlauf mitten in Tokyo

2001 hat er in Bregenz ausgestellt, 2000 in Graz.

Wein – Psyche – Kunst

August 29, 2010

Hab schon wieder ein paar Tage nichts eingetragen aus meinen Leseerfahrungen. das hängt ganz einfach damit zusammen, dass ja auch gelesen werden muss, das dann wieder irgendwie verarbeitet und beschrieben, also ein ordentlicher Aufwand. Übrigens, der Aufwand ist primär autistisch für mich, um später mal nachschauen zu können, was denn da so durch das Hirn ging, aufgenommen und vielleicht irgend wann mal verarbeitet zu Neuem – so soll es ja auch der Freud gemacht haben, man wird es in einem Artikel sehen. Wenn noch wer die Zeit hat, das alles zu lesen wünsch ich viel Spaß.

Spaß könnte auch machen, mal in das Ruhrgebiet zu fahren und sich die Emscher und das EmscherKunst Projekt anzuschauen – auch dazu gibt es einen kurzen Bericht, aus zweiter Hand, weil ich selbst war ja auch nicht dort.

Kulturell war ich dieses Wochenende an zwei Weinfesten und stellte fest, dass die Horner Bundesstraße scheinbar preistreibend ist, was den Wein betrifft, weil die Weine in Großweikersdorf sind teilweise doppelt so teuer wie die in Ottenthal und ganz sicher nicht doppelt so gut. Das Kellergassenfest in Ottenthal kann ich also empfehlen – für nächstes Jahr, es wird wieder am letzten Augustwochenende sein, die Weintage in Großweikersdorf, die am selben Wochenende stattfinden sind viel kleiner und etwas neppiger. Aber beides hat Tradition, Ottenthal heuer zum 22. mal, Großriedenthal zum 25. mal.

So, jetzt aber zu den Leseergüssen, diesmal zweiter Teil aus der Zeitschrift Psyche und erster Teil aus dem Kunstforum 203.

Freud, Smith und Feuerbach über das religiöse Opfer
Cyrill Levitt
Psyche 8/2010

Es geht um das Plagiat, wer hat da von wem abgeschrieben? Fakt ist, dass die Aussagen über das religiöse Opfer schon lange vor Freud von Feuerbach und dann – auch abgekupfert? – von Robertson Smith dargestellt wurden. Freud hat, das wissen wir, Smiths Arbeit sehr gut gekannt.

Was also sind nun die wesentlichen Erkenntnisse über das religiöse Opfer?
Das Opfer war ursprünglich ein Akt der Geselligkeit zwischen Gott und denen, die ihn verehren.
Opfergaben waren essbare und trinkbare Dinge
Gott und seine Anbeter teilten sich Tieropfer
Ursprünglich war das Trinkopfer Tierblut, das später durch Wein, dem „Blut der Rebe“ ersetzt wurde
Das Verzehren von Fleisch und Blut eint die Verzehrer als Teilhaber an der gleichen Substanz
Das Ritual muss regelmäßig erneuert werden, weil sich ja die verzehrte Substanz wieder ausscheidet
Töten des Opfertiers nur durch die Gemeinschaft erlaubt
Das Opfertier war anfangs das Totemtier, der Gott (Vater und Bruder) des Urclans, durch dessen Tötung und Verzehrung die Gruppe ihren Zusammenhalt sicherte

Das sind die Punkte, die Freud aus der Arbeit von Smith entnommen hat.

Feuerbach schreibt in seiner Abhandlung „das Geheimnis des Opfers oder der Mensch ist, was er isst“ noch folgende Punkte:
Religion beruht auf dem Gedanken der Verwandtschaft zwischen Gott und seinem Volk
Menschen und Götter einander wesensgleich, aber Götter leiden nicht Hunger oder Durst und daher auch keine Probleme mit Verdauung und Ausscheidung
Götter repräsentieren Personifikationen, Externalisierungen und Verwirklichungen der projizierten Wünsche der Menschen
Opfern heißt, die Götter speisen
Essen hält im physiologischen wie im soziologischen Sinne Leib und Seele, Mensch und Gott, ich und Du zusammen
Blut ist eine verbindende Substanz, physisch und symbolisch, die Grundlage der Verwandtschaft (auf diese urtümliche Sache spielt ja auch der HC mit seiner Plakatserie über das Wiener Blut an, auch wenn er dabei vergisst, dass dieses Blut sich ja erst aus der Vermischung vieler Blute gebildet hat und ständig weiterbildet)
Essen und Trinken sind Akte der Liebe und der Zerstörung, was wir essen, wird zerstört
Mund hat teil am Essen, am Atmen und am Sprechen
Jeder Mensch ist Kannibale, ein Wesen, das sich physiologisch oder metaphorisch ganz oder zum teil selbst isst
Kannibalismusbeispiel 2: Kind im Mutterleib ernährt sich vom Blut der Mutter, später von ihrer Milch

Soweit Smith und Feuerbach. Freud nun verwendet alle diese Gedanken in Totem und Tabu. „Freud verstand es“, so Levitt, „Smiths Belege für die Praxis einer zwingenden kollektiven Verletzung des Tabus gegen das Töten und Essen des Totemtieres mit Darwins flüchtiger Erwähnung der Horde … und mit Atkinsons Überlegungen über das Urrecht gegen den Inzest miteinander zu verbinden.“ Dies stellt alles das Urtrauma des Menschen dar, das wiederum den Ödipuskomplex bedingt. Levitt: „In Freuds Sicht ist der triadische Ödipus … ein im Unbewussten ruhendes Echo des Traumas von Mord und Kannibalismus am Urvater, der nachfolgenden Errichtung des Inzesttabus, hinter dem Gewissensbisse und Schuldgefühle stehen … und der anschließenden Auflösung der Urhorde.“

Im Unterschied zu Feuerbach betont Freud die Rolle des Vaters, es geht ihm um die Ermordung des Vaters, nicht um den Kannibalismus an der Mutter.

Levitt zeigt dann, dass zwei Phänomene wesentlichen Einfluss auf Feuerbach, Smith und Freud hatten, nämlich die evolutionäre Anthropologie und die protestantischen Erweckungsbewegungen. Letztere legte den Akzent auf das Blut Christi „als mystisches Element von Einverleibung und Identifikation.“ Christopher Herbert versucht in seiner Analyse von Stokers Dracula zu zeigen, dass auch in diesem Roman beide Einflüsse sichtbar seien. Denken wir nur an das Trinken von Blut im Dracula als „erotisierten Akt der Nahrungsaufnahme“.

Frazer zeigt, dass die (christliche) Religion nur eine dünne Schicht ist, um den barbarischen Totemismus und seine primitive Grausamkeit und seinen Aberglauben zu zivilisieren und dieser immer wieder – auch im Christentum – durchbrechen kann (und ja auch durchgebrochen ist).

Über die Blutlust des Abendmahls abschließend noch ein paar Zeilen eines Liedes der Wesleyaner (Methodisten):

We thirst to drink Thy precious blood,
We languish in Thy wounds to rest,
And hunger for immortal food
And long on all Thy love to feast.

Strafen, prügeln, missbrauchen
Anmerkungen zur Geschichte des pädagogischen Gewaltverhältnisses zwischen den Generationen
Benno Hafeneger
Psyche 8/2010

Hafeneger versucht sich in Erklärungen zu den Missbrauchshandlungen an Kindern, wie sie ja gerade jetzt, übrigens nicht nur aus kirchlichen Einrichtungen, wieder schmerzhaft bewusst werden. Er bezieht sich dabei auf die deutsche Geschichte und Rechtssprechung, die jedoch von der österreichischen nicht allzu unterschieden ist, sodass wir  durchaus auch Rückschlüsse auf die österreichische Situation ziehen können.

Die Vorstellung, Kinder gehörten mit Härte und körperlicher Züchtigung erzogen, gab es bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein (da könnte ich auch ein Lied davon singen). Diese Vorstellungen verbunden mit autoritärem und hierarchischem Verständnis sind bis weit ins 20. Jahrhundert hinein auch die gängigen Vorstellungen in pädagogischen Einrichtungen. Eltern erwarten dieses autoritär strafende Verhalten auch von Lehrern (kann ich auch bestätigen aus eigener Erfahrung, und wie wir wissen gibt es ja noch immer Lehrer, die dieser Zeit nachtrauern, als man noch erwartete, dass sie die Kinder züchtigen, ja, damals waren sie auch noch braver, die Fratzen).

Hafeneger macht einen Blick noch weiter zurück in der Geschichte, in die Armenfürsorge des 16. Jahrhunderts. Und was war da erwartet? Anpassung und Einpassung in ein Normensystem, Verknüpfung von Arbeit und Essen (wer arbeitet darf auch essen).

Gewalt gegen Kinder liegt ein pessimistisches Menschenbild zugrunde, also Kinder müssen zurechtgebogen werden, würden bei Güte sich nicht entwickeln.

Im Gegensatz dazu steht das schwärmerische, idealisierte Kinder- und Jugendbild der Reformpädagogik, ein Bild von Reinheit und Natürlichkeit. Dieses Denken stehe in der Tradition  homoerotischer und männerbündnerischer Gefühlswelten (Wandervogel z.B.). Dabei wurde, so Hafeneger, mit der Figur des pädagogischen Eros einer „hochgradig ambivalent… und verstrickenden Beziehung Tür und Tor geöffnet.“

Interessant jetzt, wie Hafeneger die – noch heute bestehenden – Gruppierungen, besser gesagt ihre Gründerväter (sind ja immer Männer, interessant wäre dazu wohl mal im Vergleich zu schauen, was Frauen so gegründet haben, mir fällt da spontan bloß die Montessori ein) beschreibt:
Peter Petersen – Jenaer Schulplan – Antisemit
Gustav Wyneken – Schulgemeinde Wickersdorf – Päderast und Antisemit
Hermann Lietz – Landeserziehungsheime – Antisemit und Chauvinist
Paul Geheeb – Odenwaldschule – pädagogischer Seher
Rudolf Steiner – Waldorfschule – Antisemit

Sexuelle Gewalt gegen Kinder und demütigende und züchtigende Pädagogik gibt es in jedem Milieu, in katholischen, reformpädagogischen, konservativen und liberalen Einrichtungen. Aber gefährdet sind idealisierte und der öffentlichen Kontrolle entzogene pädagogische Inseln.

Und das Verhalten gegen Kinder ist in unterschiedlichen Ländern sehr unterschiedlich geregelt, da müssen wir gar nicht in autoritäre Regimes hineinschauen. So ist in 20 Bundesstaaten der USA körperliche Züchtigung in Schulen erlaubt! Ob das wohl mit der gewaltbereiten amerikanischen Gesellschaft zusammenhängt? Ich denke wohl.

Ein kurzer Blick auf Deutschland (und wie gesagt, in Österreich wird’s nicht so anders sein):
1951: Abschaffung des Rechts der Lehrherrn auf väterliche Züchtigung
1973: Verbot der schulischen Körperstrafen
1979: Verbot entwürdigender Erziehungsmethoden
2000: Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung
übrigens: 1947: Abschaffung des Rechts auf Züchtigung der Ehefrau, seit 1977 dürfen Frauen gegen den Willen des Ehemanns einen Arbeitsvertrag unterschreiben.

Wir sehen, dass „die Ablehnung und Abkehr von Gewalt in Schulen und weitgehend auch im Elternhaus in der Erziehungsgeschichte ein eher jüngeres Phänomen ist.“

Was schließt Hafeneger aus diesen geschichtlichen Betrachtungen für den Umgang mit Gewalt, die es ja immer noch gibt:
Konfrontation konkreter Personen und Institutionen mit ihrer Schuld
Achten auf alte und neue Formen und Strukturen von Gewaltverhältnissen
Auseinandersetzung in den Institutionen mit dem Thema und strukturelle Reformen

In Para-Metaphysischer Trance
Balka, Eliasson, Najjar und eine Spur Giotto: Wie sich die Gegenwart der Kunst spiegelt und verliert
Michael Hübl
KF 203/2010

Zwei Installationen nimmt Hübl zum Anlass für seine Betrachtungen, und zwar Balkas Installation in der Tate Modern – man betritt über eine Rampe einen völlig dunklen Raum – und Eliassons Installation in Berlin, das Gegenteil zu Balka sozusagen, ein total illuminierter Raum. In beiden Installationen wird das Wahrnehmungsvermögen des Betrachters aufs äußerste sensibilisiert – so sieht es Hübl. Hübl sieht in der Installation von Balka, ein Pole, der in Posen studierte, auch Anspielungen an Auschwitz, die rampe zur Selektion. Balkas Elternhaus, so lernte ich, steht unweit des Waldes von Otwock, wo es zu Massakern an Juden kam. Die Stadt hatte eine 75%ige jüdische Bevölkerung.

Eliasson studierte in Kopenhagen (s.a. Monografie über Eliasson).

Nun meint Hübl, dass es der begriff der „sensazione“ sei, der beiden Werken gemeinsam ist. Er entwickelt ihn aus dem Bestreben heraus, immer neue „weiße Flecken“ zu füllen. Nachdem die weißen Flecken auf den Landkarten gefüllt waren, sucht man nun die kleinsten unentdeckten Strukturen zu entdecken (Nanostrukturen), andererseits den Tourismus in neue Felder vorwärts zu treiben (Weltalltourismus). Auch die Jagd auf die Achttausender sieht Hübl in dieser Folge. Das war/ist ja gerade jetzt wieder sehr populär dank der (Miss)erfolge zweier Österreicher und –innen. Hab gestern erst ein Interview mit Christian Stangl gehört, wo er über diese Passion der Achttausendersucht erzählte. Hübl schreibt, dass Bergsteigerei eine relativ junge, durch die Romantik stimulierte, Tätigkeit sei.

Zwischen den Himalaja-Touren und den Werken von Balka und Eliasson sieht Hübl eine Analogie. „Durch die Aufbereitung in Magazinen, Blogs, TV-Spots oder Kinofilmen (Achtung Leute: K2 Film über Messner ist aktuell – sagt Fips) wird eine individuelle Erfahrung … zu einer öffentlichen Sensation transformiert“. Ich bin ja auch so ein Besessener des Achttausenderhypes und schau mir das aus der bequemen Couchposition gerne an.

Michael Najjar hat die Bergsteigereierfahrungen in einem Kunstprojekt „high altitude“ dargestellt. Die Besteigung des Mount Aconcagua (höchster Berg außerhalb Asiens!) hat er künstlerisch aufgearbeitet.

Vielfältige Assoziationen ergeben sich, wie immer, bei Betrachtung von Kunstwerken, den Künstlern auch bei Betrachtungen von Umwelt. So bei Najjar etwa die Ähnlichkeit der Zacken der Bergwelt mit den Diagrammen der Finanzkrise. Hübl sieht Ähnlichkeiten zur Finanzkrise im im Dunkeln Tappen bei Balkas Installation oder auch „in den auratisch aufgeladenen Berliner Lichtinszenierungen“, die einem jeden Anhalts- oder Fixpunkt der Wahrnehmung nehmen. „An die Stelle klarer Analyse und rationaler Planung tritt der Rausch potenzieller Machbarkeit mit der riskanten Bereitschaft zum offenen Ausgang“.

Hübl zeigt, dass „auch mit den Ausmalungen mittelalterlicher Kapellen oder Basiliken … die Absicht verfolgt (wurde), eine sensuelle Hülle zu schaffen, mit der sich eine Intensivierung der Wahrnehmung bewirken ließ.“ Ein Beispiel dafür ist etwas die Capella degli Scrovegni – mal anschauen unter http://www.cappelladegliscrovegni.it/

Abschließend die Schlussbetrachtung Hübls:
„Statt die Dinge zu ergründen, steigt man lieber in Höhen, um sich Empfindungen zu verschaffen, die im verdichteten und vernetzten Kleinklein des konsumistisch hochgerüsteten, ökologisch beschädigten und latent am Rande von Katastrophen sich ausbreitenden globalen Flachlands nicht zu erlangen sind. Dort oben aber, wo Überblick sein könnte, herrscht oft nur Nebel.“

Dazu passt vielleicht mein Eindruck von Balkas „How it is“ in der Tate Modern. Ich sah es als Darstellung des Platonschen Höhlengleichnisses, wir sehen nur die Schatten, nicht das, was wirklich ist. Und das ist beeindruckend beim Rausgehen aus der riesigen Höhle, weil man sieht die reinkommenden Besucher schemenhaft, schattenhaft, auf einen zukommen.

6. Berlin Biennale
Was draußen wartet
KF 203/2010

Der Hauptteil des Heftes 203 ist der von der Vorarlbergerin Kathrin Romberg kuratierten Berlin Biennale gewidmet. Mit 2,5 Mill. Euro ist diese von der Kulturstiftung des Bundes gefördert. 1996 wurde ein Verein zur Förderung einer Biennale für zeitgenössische Kunst gegründet, 1998 gab es die erste Biennale, jedes Mal von einem anderen Kurator zusammengestellt.

Kathrin Romberg geht es, wie wir erfahren, um die Möglichkeit von Kunst, Realitäten erfahrbar zu machen. Hauptschauplatz war ein seit Jahren leer stehendes 1913 errichtetes Geschäftshaus am Oranienplatz in Berlin Kreuzberg. Das Haus wurde von den Architekten Wolffenstein und Cremer – auch wichtige Vertreter des Synagogenbaus – erbaut. Bewusst ging man mit der Biennale nach Kreuzberg, weil dort Protest und Widerborstigkeit eine Rolle spielen. Das war auch gleich zu Beginn zu erleben, da es eine Bürgerinitiative gegen die Biennale gab, mit der Befürchtung, dass durch diese Kunstaktion das Viertel verteuert würde. Gentrifizierung heißt das, Luxussanierung, teure Mieten, Verdrängung der einkommensschwachen Bevölkerung. Ist ein bissel auch herauszulesen aus dem Glasgow-Artikel in der Le monde (Wirtschaft.docx) und immer wieder zu erleben auch in Wien. Ich hoffe, dass das z.B. dem Yppenmarkt erspart bleibt.“insbesondere Kunst gilt als einer der Faktoren, die ein Stadtviertel aufwerten und es für eine neue, wohlhabende Klientel interessant machen.“

Als Bezugs- und Ausgangsausstellung wählte Romberg den Maler Adolph Menzel (1815 – 1905), dessen künstlerischer Zugriff auf die Wirklichkeit unter dem Titel „Menzels extremer Realismus“ in der Alten Nationalgalerie dargestellt wurde.

Referenzpunkte der Biennale waren Kritik an den Medien und Kritik am White Cube. Letzteres scheint ja in zu sein, diese Kritik an der wirklichkeitsfernen Sphäre. Romberg erzählt in einem Interview ein wenig über diesen Raum der Kunst, der Ende des 19. Jahrhunderts als idealer Ausstellungsraum entwickelt wurde. Zunehmend werden jetzt die Begrenzungen dieses Raumes sichtbar. Kunst ist Aneignung, so Romberg, „Aneignung von Wirklichkeit, die mit verschiedenen Methoden stattfindet.“ Als weiteren Aussageschwerpunkt in der Biennale sieht Romberg die Feststellung, dass wir einander global immer näher kommen. „Ereignisse, die beispielweise in Afrika stattfinden (haben) Auswirkungen … auf unser Leben hier.“ Andererseits gibt es auch den sicheren, voyeuristischen Blick auf Katastrophen. „Wir sehen die Ökokatastrophe in Amerika … aber wir befinden uns dabei immer auf einem sicheren Territorium. In dieser Sicherheit liegt … dieses Genießerische“. Künstlerische Aktionen auf der Biennale versuchen diesen sicheren Standpunkt zu durchbrechen.

KF bietet einen Rundgang durch die Biennale, durch ihre unterschiedlichen Plätze. Ich biete einen kleinen Einblick in diesen Rundgang, sozusagen gefiltert durch meinen Interessensblick.

Die Plakatserie „Frauen“ von Michael Schmidt soll die jungen, selbstbewussten urbanen Frauen zeigen, die das Stadtbild jetzt bevölkern.

Spannend für mich sind immer wieder Interventionen in die Umgebung, die etwas an dieser verändern, auch am Verhalten der Menschen in der Umgebung. Ron Tran etwa nahm die Bänke am Oranienplatz her und stellte sie in vis –a – vis Reihen mit 1,2m Abstand. Normalerweise stehen sie am Rand des Platzes im Abstand von etwa 20m. Durch das Näherrücken kam es plötzlich zu neuen Kommunikationsformen der Menschen, die die Bänke benutzen, auch sie rückten einander näher und konnten so in Kontakt treten.

Ein weiteres kommunikatives Beispiel ist der Film „Passage Briare“ von Friedl vom Gröller (Kubelka). Zwei Menschen, sie selbst und ein Mann von der Straße, sieht man vor der Kamera. Er zeigt seinen zahnlosen Mund, sie zeigt ihm ihr Gebiss. Altern ist das Thema, Verfall. Verfall, der in der westlichen Welt ja ausgegrenzt wird, übertüncht, schönheitsoperiert. Hier wird er in ganz einfacher Form dargestellt.

Eine andere Begegnung, ein anderes Thema – es geht um die Identität, um das Tauschen derselben mit einer anderen Person. „Metamorphosis Chat“ von Ferhat Özgür zeigt die Mutter des Künstlers, eine traditionelle Anatolierin mit ihrer Freundin, einer städtischen Türkin. Sie tauschen die Identität, die Mutter schminkt sich, legt das Kopftuch ab – neue Schönheiten werden sichtbar. Einen anderen Zugang zur Rolle der Frau in der Türkei wählt Nilbar Güres in ihrer Fotoserie „Circir“. Sie zeigt Frauen verschiedenster kultureller Hintergründe, sexueller Orientierung und Bildungsniveaus in unterschiedlichen theatralisch-absurden Inszenierungen.

Biografisches zeigte Petrit Halilaj, der die Holzverschalung des Hauses, das er gerade im Kosovo mit seiner Familie als Ersatz für sein von den Serben zerstörtes Haus errichtet.  Biografisch auch und mich berührend die Arbeit von Danh Vo. In einer Vitrine stellt er drei Erbstücke aus dem Besitz seines Vaters aus. Eine Rolex-Uhr (die hat der Vater von dem Gold gekauft, das er auf der Flucht aus Vietnam mitnehmen konnte), ein Dupont-Feuerzeug und einen Siegelring des amerikanischen Militärs, zwei Dinge, die sein Vater immer besitzen wollte und die er sich vom ersten in der neuen Heimat verdienten Geld kaufte. Wieder andere biografische Einschnitte sidnwohl die, wenn ein Wertesystem zusammenbricht. Phil Collins porträtiert in seinem Film „marxism today“ drei Frauen, die in der DDR marxistisch-leninistische Philosophie unterrichtet haben.

Die oben beschriebene Verunsicherung des westlichen Genießers versucht Mark Boulos mit seiner Videoinstallation „All That is Solid Melts into Air“ zu erzeugen. Zwischen den Aufnahmen aus der Börse von Chicago und Aussagen wütender Afrikaner merkt der Besucher die zerrissene Enge der Welt. Mohamed Bourouissa stellt aggressive Szenen mit Laiendarstellern nach und fotografiert diese dann. Es sind von den Akteuren tatsächlich erlebte Szenen aus der Banlieu.

Anna Witt aus Wien – übrigens auffallend, dass Romberg eine Reihe von Künstlern mit Österreichbezug ausstellt – hat zwei meiner Meinung nach witzige Arbeiten. „Radikal denken“ zeigt Menschen im Denken. Sie wurden gebeten, „radikale gedanken“ zu fassen. Es sind Menschen in einer Shopping Mall. Im Untertitel sieht man die Gedanken der Personen. In einer zweiten Videoperformance stellt Witt ihre Geburt nach.

Wie man künstlerisches auch herbeibeten kann – na gut, es ist auch eine Aneignung der Wirklichkeit – zeigt meines Erachtens die Betrachtung zu Roman Ondaks „Zone“. Es handelt sich um die Garderobe des Ausstellungsraumes Oranienplatz. „Besucher, die ihre Garderobe abgeben, bestücken die gestelle mit ihren Habseligkeiten und tragen im Gegenzug die Nummernmarke durchs Haus.“ Romberg dazu: „… dieser menschliche Moment. In einer Garderobe gibt man etwas von sich als Mensch ab, es sind sehr persönliche Dinge, die man da jemand überantwortet.“

Kein Verständnis kann ich für das Video „Problems with Relationship“ von Armando Lulaj aus Albanien aufbringen, wo ein Pferd zu Fall gebracht wird „Mit einem Ruck ziehen sie die Schlingen zusammen, woraufhin der Körper des Pferdes hart auf den Boden aufschlägt.“ Da hilft auch keine Erklärung über den Akt der Unterwerfung und so, das ist Tierquälerei, soll er es doch mit sich machen lassen.

Weils einen Bezug zu meiner engeren niederösterreichischen Heimat hat, sei auch die Arbeit von Marie Voignier erwähnt, die sich mit dem Versuch der Medien auseinandersetzt, sensationelle News zu produzieren. Sie verwendet dazu Aufnahmen aus dem Prozess gegen Josef Fritzl, von dem es ja kein Bildmaterial gab, aber die Medienleute gefordert waren, Bildmaterial zu liefern.

Anderes aus dem Bereich des Kriminellen: Mohamed Bourouissa setzt sich mit einem Häftling in Verbindung und lässt diesen Bilder aus dem Häftlingsalltag schicken, wobei Bourouissa sagt, was zu fotografieren sei. In einem zweiten Teil fotografiert Bourouissa für den Häftling das, was dieser aus der Außenwelt fotografiert haben will („Temps Mort – Tote Zeit“).

Zum Abschluss meines Rundganges noch eine witzig – nachdenklich machende Arbeit: Pleurad Ahafa und Sokol Peci fertigen aus Ton auf einer Zugfahrt von Bologna nach Tirana eine Büste von Milton Friedman an und bringen den neuen Heilsbringer der Albaner 18 Jahre nach dem Sturz der Enver Hoxha Statue ins Land. Eine Ideologie ersetzt eine andere. Wie wird das ausgehen?

Kunst kann Wunden heilen
Emscherkunst 2010 – eine Insel für die Kunst, 29. Mai – 5. September 2010
Amine Haase
KF 203/2010

Emscherkunst ist ein Projekt, das bis 2020 alle zwei Jahre erneuert werden soll. Und 2020 ist die Renaturierung der Emscher auch abgeschlossen, so hofft man. Die Emscher ist ein Flüsschen im Ruhrgebiet, das jahrzehntelang zu einem Abwasserkanal umfunktioniert wurde. Auf der Insel zwischen Emscher und Rhein-Herne-Kanal hat nun Florian Matzner der erste EmscherKultur Projekt kuratiert. 11 Millionen Euro kostet das Projekt. Die Arbeiten werden teilweise auf der Insel verbleiben.

Anbei ein paar Projekte, wie ich sie aus der Darstellung im KF auswähle:
Tadashi Kawamati stellt einen Aussichtsturm auf zu dem ein gewundener Holzsteg hinführt. Er soll neue Einblicke in das Gelände ermöglichen und zugleich kann vom Turm aus die Renaturierung beobachtet werden. Da denk ich natürlich gleich auch an den Wiener Hauptbahnhofbaustellenbeobachtungsturm, der ja für Aufregung sorgte. Ach wie schön provinziell sparsam sind wir doch.

Mark Dion baut in einen alten Gastank eine Vorgelbeobachtungsstation hinein.

Die an der Kunstakademie in Wien unterrichtende Monica Bonvicini stellt den Schriftzug Satisfy Me in Hollywoodmanier in die Landschaft.

Stephan Huber hat drei kurze Kasperltheaterstücke beigesteuert, die allerdings eher für erwachsene gedacht scheinen. „Ich liebe die Unmittelbarkeit, die Widerspenstigkeit, die volkstümliche Theatralik mit all ihrer Schadenfreude, der Missgunst, der Niedertracht und der Gemeinheit“, sagt Huber und erinnert mich dabei an Christoph Bochdansky, dessen Kasperlstücke – aber nicht nur diese – hiemti auch mal beworben sein sollen.

Witzig fand ich das Walking House, ein modulares Wohnsystem mit kleiner Küche und Bad, Komposttoilette, Regenwassersammler, Holzbrandofen und Solaranlage, das sich mit der Geschwindigkeit eines langsam gehenden Menschen vorwärts bewegt – auf 6 hydraulischen Stelzenbeinen übrigens.

Olaf Nicolai baut eine Bergformation des Nationalpark Joshua Tree bei Los Angeles maßstabgetreu nach.

Eine in die Landschaft gebaute Wohnholzgruppe nennt sich „Warten auf den Fluss“. Die renaturierte Emscher soll dann darunter durchfließen. Die Künstler wollen damit einfach darauf hinweisen, dass die Region auf Vieles wartet.

Futuristisch schaut die Fußgänger- und Fahrradbrücke über den Rhein-Herne-Kanal aus, die Tobias Rehberger entworfen hat.

Landschaftskunst mit starkem Bezug zur Geschichte der Gegend, das bietet EmscherKunst. Wer vorbeikommt – anschauen.

Männliches

August 22, 2010

Männlich gehts heute zu. Zuerst ein Roman über Friedrich II. aus dem Fach der Unterhaltungsliteratur. Und dann zwei Abhandlungen psychoanalytischer Natur über Männlichkeit, ihre ihre Entwicklung und ihre Gefährdung.

War ein bisschen mühsam, die Leserei in letzter zeit, v.a. da ein wesentlicher Mann in meiner Biografie gerade darum kämpft, wenigstens sein physisches Sein – Jenseits von Männlichkeit – zu erhalten, oder vielleicht auch darum kämpft, von Männlichkeitsvorstellungen loszulassen und sich auf totale Hilflosigkeitsvorstellungen einzulassen. Ein schwieriger Prozess, dessen Ausgang auch nach vier Wochen noch völlig offen ist und auch mich hernimmt.

Nichtsdestotrotz anbei Leseerfahrungen.

Herrscher aus Apulien von Cecilia Holland

Friedrich II. hab ich vor etwa 10 Jahren kennengelernt, auf einer Reise nach Apulien, hab dort eine seiner Festungen besichtigt. Dann lange nichts, dann eine biografische Arbeit von Köhler über den Stauferkönig, der im 13. Jahrhundert gelebt hat, und jetzt der Roman von Cecelia Holland. Sie beschreibt einen gebildeten, weltoffenen Herrscher, der sich mit philosophischen Fragen und mit Mathematik beschäftigt, der offen ist für andere Religionen, in dem Sultan Al-Kamil einen Brieffreund findet, eine auf gegenseitiger Achtung beruhende Freundschaft, die schließlich auch zur friedlichen Übergabe der Stadt Jerusalem führt, einer Übergabe an die Christen, die die Rechte der Moslems au ihre Heiligtümer in der Stadt unberühr lässt. Da wundert es nicht, dass der Stauferkönig, der sich in Jerusalem zum Kaiser krönt, exkommuniziert und dem Bann unterworfen ist. Holland schildert diesen Jerusalemkreuzzug Friedrichs mit allen inneren Zweifeln des immer wieder auch von Depressionen geplagten Kaisers. Eine Frauenfigur ist die zweite Hauptperson des Romans, Theophano, eine Gauklerin. Sie wird zur Geliebten des Kaisers auf dem Kreuzzug und begleitet ihn quer durch Syrien bis zu seinem Triumph in Jerusalem. Sie bietet ihm emotionalen Halt, wenn er zu verzweifeln droht, wenn ihn seine Depressionen quälen, sie wird aber nicht als liebevolle Dienerin dargestellt, sondern als Frau, die durchaus eigenen Willen hat, den sie auch gegen den Kaiser durchsetzen kann. Vor der Rückkehr nach Sizilien, das Land wird ihm während seiner Abwesenheit von den päpstlichen Truppen abgenommen, verlässt sie ihn, weiß sie dch, dass sie in Sizilien den höfischen Notwednigkeiten geopfert werden wird. Holland beschreibt in ihrem Roman, der angeblich sehr nahe an den tatsächlichen Gegebenheiten ist, die schwierige politische Lage zu Beginn des 13. Jahrhunderts. 1970 hat sie den Roman veröffentlicht, noch lange, bevor der christliche Westen den Islam zur religion der Bösen erklärte. Ganz gut, ihn jetzt wieder zu lesen.

Wann ist der Mann ein Mann?
oder: Männliche Identität zwischen Narzissmus und Objektliebe
Heribert Blass
Psyche 8/2010

Blass schreibt, es werde immer häufige auch vom Mann als schwachem Geschlecht gesprochen, es gäbe eine erhöhte Verletzlichkeit männlicher Neugeborener, externalisierte Störungen bei Schuljungen nähmen zu, vielleicht sei das fehlende 2. X-Chromosom mitschuld?

In der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres entdeckt das Baby Penis und Hoden. Stoller spricht von Kerngeschlechtsidentität und meint damit das bewusste oder unbewusste Wahrnehmen, zu einem Geschlecht zu gehören.  Diese konsolidiere sich zwischen dem 18. Und 36. Lebensmonat und sei danach kaum veränderbar. Tyson erweitert das Konzept um die Begriffe der Geschlechtsrollenidentität und der sexuellen Partnerorientierung.

May sagt, die Eltern strukturierten ihre emotionale Beziehung zu ihrem Kind gemäß ihrer (un)-bewussten Einstellung zum jeweiligen Geschlecht. So könne ein Junge auch dann ein Gefühl von Jungenhaftigkeit haben, wenn er ohne Penis geboren sei, wenn die Eltern davon überzeugt seien.

Blass selbst meint, „dass jeder Mann von Kindheit bis ins hohe Alter eine genitalsymbolische Konzeptionalisierung seines Penis als körperlichen Organs und seelischer Repräsentanz vornehmen muss.“ So meint er, etwa in den Spätwerken von Philipp Roth oder Pablo Picasso diese lebenslange Auseinandersetzung zu erkennen, die im Alter etwa mit dem „kränkenden Nachlassen der erektilen Potenz“ einhergehe.

Freud schreibt in den Drei Abhandlungen, dass eine scharfe Trennung in männlich und weiblich nicht vor der Pubertät vonstatten gehe.

Greensons Theorie besagt, dass Jungen aufgrund ihrer frühen Identifikation mit einer Mutterfigur sich zuerst in weibliche Richtung entwickelten und sich erst später ent-identifizieren müssten. „Die besondere Betonung von männlicher Härte und Phallizität, mit der emotional sanfte und aufnehmende Verhaltensweisen aggressiv zurückgewiesen werden, diene der Abwehr gegen einen Rückfall in das frühere weibliche Selbstgefühl.“

Mahler wiederum meint, dass die frühe Kindheit für beide Geschlechter unter dem Zeichen von Bindung und Individuation stehe. „Eine sichere Bindung zur Mutter und zum Vater sei viel grundlegender für die Entstehung von Individuation und Männlichkeit als eine scharfe Trennung von der Mutter.“ Diamond sieht ebenfalls die sichere Bindung als wesentlich in der Geschlechtsrollenentwicklung bei Männern, da es wesentlich sei, angstfrei sich von der Mutter zu differenzieren und sie als äußeres Objekt wahrzunehmen. Ogden stellt die Wichtigkeit der Verfügbarkeit eines Vaters dar: „Zusätzlich fördert die Anwesenheit eines früh verfügbaren, aufmerksamen und schützenden Vaters den Prozess wechselseitiger männlicher-weiblicher Identifikationen.“ Ein von der Mutter geschätzter Vater sichert den Verbleib rezeptiver und empathischer Fähigkeiten, so Blass. Auch Dammasch sieht die Bedeutung des Vaters, „wenn er vaterlose Jungen als hin und her gerissen zwischen ödipalen Größenphantasien und Verfolgungsängsten beschreibt.

Wenn die angstfreie Mutterlösung nicht gelingt, so muss der Junge „seinen Penis mit Phantasien von Macht und Kontrolle ausstatten oder umgekehrt mit Verteidigungsphantasien gegen eine allzu mächtige Mutter.“

In der Entwicklung weiter fortschreitend in Richtung ödipaler Entwicklung meint Freud, dass der Reifungsschritt beim positiven Ödipuskomplex im Verzicht auf den Vatermord und in Anerkennung des Inzestverbotes bestehe.

Richter sieht in wissenschaftlich-technischen Eroberungen eine Überbetonung männlicher Expansivität. „Er versteht sie als phallisch-narzisstische Triumphe, die der Abwehr heimlicher Ängste vor Entmännlichung bzw. unbewusster Kastrationsangst dienen. Neurobiologische Forschungen zeigen, dass viele Jungen motorisch ausgerichtet sind und auf grenzüberschreitende Spiele hin. Blass schreibt daher, dass beide pole männliche Aggressivität und kreatives Potential Möglichkeiten männlicher Entwicklung zeigen.

Meltzer verknüpft die Annahme angeborener Präkonzeptionen mit der Anerkennung interpersonaler (Vater)erfahrungen. Er meint, dass ein Entwicklungsproblem auftauche, wenn ein Kind vollständige Objekte auf Partialobjekte reduziere. „Bezogen auf den Vater entstehe dann eine paranoid-schizoide Vorstellung von männlicher Superiorität, die auf rein quantitativen Kriterien wie Größe und Macht beruhe statt einer reifen Konzeptionalisierung anhand qualitativer Kriterien wie Güte, Kreativität, Mut.“

Diamond unterscheidet phallische Männlichkeit und genitale Männlichkeit. Das genitale Ich umfasst nach Diamond Sicherheit und ein eigenes Wertgefühl als Mann und ein Zusammenspiel männlicher und weiblicher Identifizierungen, das erst eine emotional-sexuelle Liebesbeziehung zu einem anderen Erwachsenen ermöglicht.

Im Alter wird in einer reifen Entwicklung das Trauern über das Verblassen phallischer Idealvorstellungen den Mann dazu befähigen, „sein eigenes Innenleben besser zu spüren und anzunehmen.“ Wichtig erscheint auch die Fähigkeit sich besiegen zu lassen, sich der Herausforderung zu stellen, „den erwachsenen Söhnen und Töchtern den für ihre Autonomie passenden Platz anerkennend einzuräumen.“

Die Rettung der Männlichkeit im Schutz der partiellen Identifizierung mit der kastrierenden Mutter
Stefanie Mettlach
Psyche 8/2010

An einem Fallbeispiel erläutert Mettlach ihren Zugang zur kastrierenden Mutter, ein Fallbeispiel der Behandlung eines Mannes, das auch bei Mettlach wesentliche Gegenübertragungsgefühle freisetzt.

Mettlach schildert, dass es zwei Ansätze zur kastrierenden Mutter gäbe, nämlich sie als Produkt kindlicher Phantasien, Angst und Wunschvorstellungen zu sehen (Bsp.: Freud) oder sie als Realität zu erkennen (Bsp.: Fenichel, Kohut, Fonagy & Target)

Kastration wird auf unterschiedliche Art beschrieben:
Wunsch der Mutter/Frau, sich den Phallus und damit die männliche Potenz anzueignen, das geht auch indirekt, indem die Mutter versucht, aus dem Jungen ein Mädchen zu machen.

Oder Versuch, die autonome männliche Entwicklung zu unterbinden. Mittel dazu wären etwa ein Liebesentzug, der dazu führt, dass sich der Sohn mit den Forderungen der Mutter identifiziert.

Auch Freud werden Kastrationsängste bescheinigt. So schreibt er etwa:“Selbst die Ehe ist nicht eher versichert, als bis es der Frau gelungen ist, ihren Mann auch zu ihrem Kind zu machen und die Mutter gegen ihn zu agieren.“ Ein Beispiel für das Rachemotiv, dem etwas wegzunehmen, der etwas habe, was einem selbst genommen worden wäre.

Mettlach schildert aus ihrer Praxis, dass es immer Mütter seien, die sich durch ihre eigene Lebensgeschichte Männern gegenüber benachteiligt erlebt hätten, die Kastrationsdrohungen ausstrahlten.

Die Welt im Juli

August 18, 2010

Neues von der Le Monde diplomatique Augustausgabe, frisch gelesen und wie immer erstaunlich, erzürnlich, verzweifelt machend, zum Zynismus anregend mit einem kleinen Hoffnungstupfen (der Bericht über die Sahelzone).

Schöpfung zwei
Die Bioindustrie produziert neue Lebewesen
Dorothee Benoit-Browaeys
LMD 8/2010

Im internationalen Wettbewerb der synthetischen Biologie ist auch das FBI aktiv. Dort stellen junge Forscher die Ergebnisse ihrer Bemühungen vor, neu designte Bakterien zu erzeugen. So können sie etwa Gerüche oder ein blinkendes Licht erzeugen, oder auch Arsen aufspüren. Die DNA-Stücke, die die Schlüsselfunktionen steuern, werden dort zum open-source Wissen.  BioBricks heißt das Projekt, bei dem die Urheber zwar das Copyright auf den Baustein behalten, aber das Recht weitergeben, mit dem erfundenen Baustein etwas Neues zu erfinden. Wir stünden an einem Wendepunkt der Genetik, meint die Autorin des Beitrages. Weltweit arbeiten Forscher daran, biologische Systeme herzustellen, die in der Natur nicht vorkommen. Investoren stecken viel Geld in diesen Wissehnschaftssektor. Ein paar Hoffnungen: künstliche Mikroorganismen erzeugen Treibstoff,  maßgeschneiderte Bakterien erzeugen Medikamente.

Es gibt derzeit drei Methoden:
1. Genetische Bausteine erzeugt durch Montageverfahren
2. Das gesamte Genom auf seine wesentlichen Bausteine reduzieren
3. Neubildung von Molekülen (dafür gab es 2009 den Medizinnobelpreis)

Drew Endry, einer der führenden Forscher, weist auch auf die Gefahren hin: „ Die Fragen, die die synthetische Biologie aufwirft, gehören zu den schwierigsten überhaupt. Schrecklich wie die Hölle.“

Und natürlich ist alles, was da zusammengebraut wird auch waffentechnisch verwendbar: Pockenvirus-DNA etwa. Und alles ist für gevifte Menschen (Biohacker ist ein neues „Gewerbe“) erhaltbar.

Sawadogos Leidenschaft für Bäume
Mit alten landwirtschaftlichen Methoden wird die Sahelzone fruchtbarer
Mark Hertsgaard
LMD 8/2010

Ein erfreulicher Bericht über die Selbsthilfekraft afrikanischer Bauernschaft, der zeigt, dass mit Methoden, die den Menschen selbst gehören Nachhaltiges erreicht werden kann und dass diese Hilfe noch dazu billig ist. Und ein Bericht, der wieder zeigt, wie die Kolonialherren –also der Reichtum des Westens eigentlich – ursprüngliche Kulturen zerstört und wesentliches kulturelles Wissen vernichtet hat.

Es geht um Baumpflanzungen in der Sahelzone und darum, dass diese wild aufgehenden Bäume, die aber dann gehegt und gepflegt werden, Bodenerosion verhindern, den Wasserhaushalt verbessern, zur Energieversorgung beitragen und die Fruchtbarkeit der Böden steigern. Die Baumbewirtschaftung in den Ländern Mali, Niger oder Burkina Faso war für die Bevölkerung wesentlich. Holz als Rohstoff war wertvoll und so wurden die Bäume gehegt. „Als dann aber die französische Kolonialregierung den Holzeinschlag unter Strafe stellte, erstarb das Interesse, sich um die Bäume zu kümmern. Die wurden von der Kolonialverwaltung zu staatlichem Besitz erklärt, um die Einschlagrechte an Holzfäller verkaufen zu können.“ Es wurden also keine Bäume mehr aufgezogen, die Bauern rissen die Sprößlinge wild aufgegangener Bäume aus, um später keine Probleme zu bekommen. Die Folge war Baumlosgkeit, Dürre, Versandung. In der Sahelzone gedeihen nur Bäume, die auf natürliche Weise wachsen, 80% aller angepflanzten Bäume sterben innerhalb von ein bis zwei Jahren ab.

Die einfache Methode – vom Landwirt Sawodogo wieder populär gemacht – nämlich anwachsende >Schößlinge zu pflegen und zu Bäumen heranwachsen zu lassen – kostet nicht nur nichts, sondern zeitigt Erfolge. „Der Wandel ist so … großflächig, dass man die neuen grünen Landstriche auf Satellitenfotos ausmachen kann.“

Der lange Abschied von Guantanamo
Chase Mader
LMD 8/2010

Geschichte des Kindersoldaten Omar Khadr, der als 15jähriger in Afghanistan festgenommen wurde und jetzt schon sieben Jahre in Guantanamo einsitzt. Die Tötung eines US-Soldaten wird ihm vorgeworfen. Jetzt wird ihm der Prozess gemacht. Sein Problem ist auch, dass er der Khadr-Familie angehört, die sich für ihre Nahebeziehungen zu bin Laden rühmt. Deshalb scheibt sich auch Kanada nicht zu sehr für ihn einzusetzen, obwohl er kanadischer Staatsbürger ist.

Der Autor des Artikels zeigt aber auch, dass es Obama nicht gelingt, die Rechtsstaatlichkeit für die in Guantanamo einsitzenden Häftlinge einzuführen, geschweige denn, das Lager zu schließen, wie  noch im Wahlkampf versprochen hat. 180 Gefangene werden noch in Guantanamo festgehalten, 45 von ihnen will die USA ohne Verurteilung oder Prozess weiter festhalten, vielleicht, sollte die Schließung gelingen, in einem Gefängnis in Illinois. Es wäre dann das erste Mal, dass nicht rechtskräftig verurteilte Menschen auf USA-Boden festgehalten werden. „(ES) schaut so aus, als würde(…) die Erosion des Rechtsstaats im Krieg gegen den Terror unter Präsident Obama … als ganz normal (empfunden).“

Anstelle der Ehre
Katharina Döbler
LMD 8/2010

Vielleicht weil die Autorin Katharina heißt, befasst sie sich im Essay mit dem Begriff der Ehre, nimmt konkret Bezug auch auf das Buch von Böll, wo es um die Ehre einer Katharina geht. Ehre, das sei kein zeitgenössischer Begriff mehr, ist die Schlussfolgerung ihres Essays. Für Migranten, die aus Gesellschaften kommen, wo es den Begriff sehr wohl noch gäbe, müsse „diese seltsame Leerstelle in unserer psychosozialen Verfassunf erschreckend sein.“ Und dann weist sie noch auf die sieben Hauptsünden hin, die ja auch nicht mehr en vogue sind, die aber ihrer Meinung nach den Turbokapitalismus gut beschrieben: Hochmut, Habgier, Wollust, Völlerei, Trägheit des Herzens und Geistes, Neid und Zorn.

Im Land des Lächelns
Barbara Ehrenreich
LMD 8/2010

Barbara Ehrenreich, die Autorin des Buches „Working poor“ (kann ich übrigens sehr empfehlen, über das Prekariat der Arbeitenden in den USA, passt leider immer mehr auch zu uns) hat ein neues Buch geschrieben: Smile or Die. Wie die ideologie des Positiven Denkens die Welt verdummt.“ Daraus druckt LMD einen Teil des Vorworts ab, und so weiß ich jetzt, dass der amerikanische Pfarrer Norman Vincent Peale 1952 erstmals über positives Denken und seine Kraft geschrieben hat. Successories heißt eine Firma, die motivierende Produkte herstellt, weil natürlich wird auch die Kraft des positiven Denkens vermarktet und ist inzwischen zu einem Milliardengeschäft geworden. Besonders kaufwillig sind Menschen, die arbeitslos sidn oder deren Arbeitsplatz gefährdet ist, oder die an einer schweren Krankheit leiden. Auch die größten US-Firmen kaufen Motivationsprodukte und verteilen diese gemeinsam mit Motivationsseminaren an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Fügsame Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erzeugt man dadurch. In den USA verloren zwischen 1981 und 2003 etwa 30 Millionen Vollzeitbeschäftigte ihren Job durch Rationalisierung (Quelle Ehrenreich), die soziale Absicherung ist katastrophal, man verliert die Krankenversicherung, ist nur ein halbes Jahr arbeitslosenversichert. Natürlich finden viele wieder eine neue Stelle, allerdings mit durchschnittlich 17% weniger Gehalt. Der Einzelne muss sich vermehrt vermarkten. Da ist das Motivationstraining schon gut und der Zynismus der Firmenchefs geht soweit, dass sie schauen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch freudvoll ins Verderben rennen.

Big Brother war gestern
Der maschinenlesbare Mensch ist bereits Realität
Constanze Kurz
LMD 8/2010

In Deutschlands Süden, so lese ich gibt es bereits eine Handelskette, die lässt durch Fingerabdruckidentifikation bezahlen („Tip2pay“ heißt das beschönigend). Systeme, die anhand von Bewegungsbildern verdächtiges Verhalten in Supermärkten identifizieren gibt es auch schon. „Zunehmend schalten handelsketten, Unternehmen und Betreiber von Einkaufszentren die Signale sämtlicher Überwachungskameras zu zentralen Auswertungsknoten zusammen“. Und wer sich gerne in London aufhält kennt CCTV-Closed Circuit Television. Anhand des Rhythmus von tastenanschlägen kann man Personen, die gerade schreiben, identifizieren. Audiodateien, die beim Telefonieren anfallen, können verschriftlicht werden und so ausgewertet. Callcenter identifizieren die Kunden über die Stimme, die nette Sprecherin am Callcenterende hat schon am Bildschirm stehen, wer denn heute wieder dran ist.

Wieder ein Puzzlestein mehr zur Freude an der Gläsernheit, da unterstütze ich das gerne durch meinen Blogeintrag und zeige so der Welt, was ich grade lese.

Bitte das Spiel zu machen
Goldmann Sachs und die Politik
Ibrahim Warde
LMD 8/2010

Goldmann Sachs, durchaus ein Synonym für die Wirtschaftskrise, wird dargestellt als eine Firma, die in den Boomzeiten (so ab den 1980ern) alle guten Grundsätze über Bord warf (vgl. dazu etwa den Artikel über den Verlust der Ehre von Katharina Döbler – hier wäre ein angewandtes beispiel dafür). Die guten Gründergrundsätze waren: langsames und überlegtes Wachstum (wird zu schnellem Wachstum und unüberlegtem Boom) oder Geld ist nicht der einzige Motivator – man zahlte moderate Managergehälter (wird zu hole dir die besten/oder skrupellostesten? Und zahle sie überdurchschnittlich) oder auch: Das Interesse der Kunden steht an erster Stelle (zu Beginn der Krise verkauft Goldmann Sachs hochriskante Wertpapiere an Kunden und wettet an den Börsen andererseits auf den Kursabsturz dieser Papiere). Aber Goldmann Sachs selber fiel mit den üblen Praktiken, die immer haarscharf am gesetzlich erlaubten dahinschramm(t)en, auf die Butterseite. Nettogewinn 2009: 13,4 Milliarden Dollar. Eine der ärgsten Schweinereien war wohl die Beratung der griechischen Regierung, wie sie ihr Budget fälschen könnte, um in den Euroraum zu gelangen und andererseits auf die Überschuldung Griechenlands zu spekulieren. Ein anderes der doppelzüngigen Beispiele wäre, dass sich das Bankhaus in Branchen engagiert, die zur Erderwärmung beitragen und andererseits fest im Handel mit Emissionsrechten mitzutun. Das alles geht auch, weil Goldmann Sachs die besten politischen Beziehungen unterhält. Beispiele gefällig? Henry Paulson, ehemaliger Chef bei GS 2006 bis 2009 US Finanzminister, Jon Corzine auch Chef bei GS 2000 Senator in New Jersey, Neel Kashaki, auch führender GS Mitarbeiter, leitender Koordinator von TARP, Programm zur Rettung fauler Anlagenpapiere. Usw. usw.

Man wird  sehen, ob es dem 2300(!) Seiten Gesetz, dem Dodd-Frank Act, gelingt, weitere Finanzkrisen zu vermeiden. Ich bin da skeptisch, solange oben beschriebene Beziehungen funktionieren.

Die Mauern von Glasgow
Julien Brygo
LMD 8/2010

Ein Artikel zur Armuts- Reichtumsdebatte. Ich erinnere an meinen Eintrag vom 11.8..

Die Lebenserwartung in manchen Vierteln von Glasgow ist niedriger als im Irak, lese ich. „Wer im armen Osten von Glasgow aufwächst, stirbt im Schnitt voraussichtlich 28 Jahre früher als jemand aus den südlichen oder westlichen Stadtbezirken.“ Wohlfahrtsvereine sind die neue konservative Erfindung, die das Aussteigen des Staates aus seiner Verantwortung beantworten sollen. So gibt es etwa den Verein Teach First, der Lehrer motivieren soll, an Problemschulen zu unterrichten. (gibt’s auch in Deutschland übrigens, wer Lust hat, sich zu informieren – oder das in Österreich zu gründen, weil nichts neoliberales sei uns fremd, v.a. auch nichts philanthropisches www.teachfirst.de). Wie eine Verreicherung funktioniert und gute städtische Wohnräume entarmt werden scheint man auch in Glasgow lernen zu können. Mache Sozialwohnungen in Zielgebieten zu Eigentumswohnungen und schon kannst du die Ärmeren verdrängen, am Besten an die Stadtränder. Und was haben die Reichen (die Armen haben ihre 150 bis 200 Banden) in Glasgow? Sieben private Golfplätze, fünf Fünfsternhotels, 1358 Luxussuiten. Das wird in der reiseliteratur gerne rezensiert.

Und dann gibt es die Philanthropen, dies es sich zur Übung machen, wohltätig zu sein. Das geht natürlich nur, wenn man wohltätiges Geld auch hat und das will ja auch mal erworben sein. Tom Hunter etwa, er ist ein Glasgower Philanthrop. „Mit dem Ankauf, Umbau und Verkauf schwächelnder Firmen hat Hunters Privat-Equity-Fonds West Coast Capital 2009 fast 4 Milliarden Gewinn gemacht“. Naja, da wird er wohl auch ein bisschen was dazu beigetragen haben, dass ihm sein philanthropisches Klientel nicht ausgeht. Was finanziert die Hunter Foundation? Krankenhäuser oder Fabriken in Malawi und Ruanda, Unterstützung armer Schulen in Schottland, Mäzen der Glasgower Kunst- und Museumsszene. Cameron kann sich freuen, will er doch die staatlichen Gelder einsparen (Thema arme Schulen).

Spüren tun die Philanthropen und sonstigen Reichen die armen Mitbürger nicht, es gibt kaum Berührungspunkte, was dazu führt, dass sie sich gar nicht vorstellen können, wie Armut funktioniert. Da hilft wohl auch keine Reality-Show wie „The Secret Millionaire“, in der Millionäre für 10 Tage wie Obdachlose leben können. Übrigens Herr Schürz: „Noch jie hat sich ein Soziologe mit den Reichen von Glasgow beschäftigt“, sagt der Soziologe Paul Littlewood.

Und dass das alles so läuft wie es läuft in Großbritannien liegt wohl auch an der Soziologie der Regierung: „Noch nie gab es in einer britischen Regierung so viele Schwerreiche wie in der neuen Koalition… 18 von 23 Mitgliedern des Kabinetts sind Millionäre.

Die Besiegten
Der Bürgerkrieg in Sri Lanka ist seit einem Jahr zu Ende. Die Tamilen fürchten eine neue Kolonisierung
Cedric Gouverneur
LMD 8/2010

Noch immer sind 70 000 tamilische Flüchtlinge im Land interniert. Sie dürfen nicht in ihre Dörfer zurückkehren.

Noch immer sitzen die meisten jungen tamilischen Männer in Gefängnissen (schätzungsweise 11 000 bis 13 000). Es werden keine Namensliste der Gefangenen veröffentlicht, die Angehörigen wissen nichts vom Schicksal ihrer Söhne, auch das Internationale Rote Kreuz bekommt keinen Zutritt zu den gefangenenlagern.

Die Region Vanni im Norden des Landes ist noch immer vollständig abgeriegelt.

Alles andere als gute Meldungen, um zu hoffen, dass der Frieden nachhaltig ist. Trotzdem hofft die Sri Lankische Regierung, dass Urlauber in das Tamilengebiet kommen. Sie arbeitet auch fleißig daran, das tamilische Lager zu spalten (divide et impera gilt immer und überall). Und wenn die Spaltung nichts hilft, gibt es immer noch den staatlich gelenkten Terrorismus. In Colombo werden Unliebsame von sogenannten „White Vans“ aufgefischt und verschwinden von der Bildfläche. Menschenrechtler, Anwälte und Journalisten erhalten Morddrohungen.

Übrigens: der ganze Konflikt ist sicher eine Folge des Kolonialismus. Denn vor der britischen Kolonisierung waren es drei Königreiche, die sich Ceylon teilten (Ceylon = Sri Lanka), und zwar zwei singhalesische und ein tamilisches. Die Briten sacken alle ein, bringen sie unter eine Einheitskolonie und entlassen sie als einen Staat 1948. Sofort werden die Tamilen (18%) von den Singhalesen (74%) unterdrückt, und daran hat sich nichts geändert, ein jahrzehntelanger Bürgerkrieg war die Folge. Beendet wurde das ganze ja auch nur durch äußere Intervention. Wahrscheinlich war es die Unterstützung Chinas, die dem singhalesischen Präsidenten Rajapakse den Sieg ermöglichte. Und die Chinesen haben das ja auch nicht aus Altruismus gemacht, sie wollen Ruhe haben entlang der Tankerroute vom Persischen Golf nach China. So bleiben die ehemaligen Kolonialländer immer ein Spielball anderer Mächte.

Der fünfte Schauplatz des Krieges
Spionage und Attacken im Cyberspace
Misha Glenny
LMD 8/2010

Cyberspace, das ist das neue militärische Gebiet, meint Misha Glenny. Die globalen Netze zu beherrschen oder auch die Netze des Feindes zu zerstören kann kriegsentscheidend werden. Obama setzt ganz stark auf US-Stärke in diesem Gebiet. Google ist ein wichtiges Medium im Krieg. Hier Angriffe zu starten bringt eine riesige Datenmenge in den Besitz des Angreifers. China versucht das immer wieder.

Wie stark Computersysteme und die Netze jetzt schon im teilweise noch immer herkömmlichen Kriegsgeschehen wesentlich sind zeigt z.B., dass von Nevada aus die Drohnen gesteuert werden, die die Luftangriffe in Afghanistan durchführen. Aber auch ganz zivile Bereiche sind solchen Angriffen gegenüber sehr volatil: „Unsere Energie- und Wasserversorgung, unsere Kommunikationsnetze, die Kontrolle des Flugverkehrs … setzen das einwandfreie Funktionieren komplexer Computersysteme und deren Verknüpfung mit dem Internet voraus.“

Die großen Player im Cyberspace War (derzeit ja Gott sei Dank noch kein heißer sondern ein kalter) sind: USA, Russland, China, Indien und Israel, so Glenny.

Juristen sind die Größten
In den USA gibt es eine heimlich herrschende Klasse
Alan Audi
LMD 8/2010

Schon im 19. Jahrhundert stellte Tocqueville fest, dass die Juristen die überlegene politische Klasse in den USA seien. Die Regierung Obamas, er selbst ein Jurist, ist geprägt von Juristen (Beispiele: Joseph Biden, Hillary Clinton, Janet Napolitano, Ken Salazar …). 59% der Senatsmitglieder – Juristen, 40% der Kongressabgeordneten – Juristen.

Macht der Juristen führt zu absurden Dingen, wie etwa das polizeiliche Anführen einer Fünfjährigen bei Tobsuchtsanfall aus dem Kindergarten, weil das Personal nicht wagt, einzuschreiten, es könnte ja zu unangenehmen juristischen Folgen kommen.

Die angelsächsische Rechtsprechung beruht auf Präzedenzfällen. Diese zu lernen ist Aufgabe in den Law Schools. Die Ausbildung ist teuer, viele der Studenten haben ungeheure Schulden und müssen also lukrative Stellen annehmen. Ein Spezialberuf ist der trial attorney, der spezialisiert ist auf Zivilrechtsprozesse gegen Unternehmen (Haftung, Konsumentenschutz), am liebsten mit Sammelklagen mit hohem Streitwert und „Gewinnbeteiligung“ als Honorar. Besonders die Demokraten – scheinbar die politische Heimat der attorneys – verteidigen diese Sammelklagen. 96% der Spendengeldern vor der letzten Präsidentschaftswahl aus den Reigen der Trial Lawyers gingen an Kandidaten der Demokratischen Partei.

Eine weitere bedenkliche Sache im amerikanischen Rechtswesen  ist die Volkswahl der Richter, immerhin in 23 Bundesstaaten üblich. Auch Staatsanwälte werden gewählt. Ob da die Rechtsprechung wirklich unabhängig bleiben kann?

Ferngesteuerte Experten
Sebastian Jones
LMD 8/2010

Ein weiterer US amerikanischer Auswuchs: Das Lobbytum. Gepaart mit der Dominanz des Privatfernsehens eine katastrophale Sache was die Meinungsbildung betrifft. Häufig werden Interessenvertreter einer Sache im Privatfernsehen als objektive Fachleute verkauft, ohne dass die Zuschauer um die Parteilichkeit wissen.

„Offenbar gehört es in den USA heute zur Realität der Medienlandschaft, dass sich die Grenzen zwischen dem Dienst an der Öffentlichkeit und der Arbeit für private Geschäftsinteressen weitgehend aufgelöst haben.“

Heute gibt es Psychologisches und eine weitere Jancak. Fipsthinks referiert einfach das, was die Psyche im Juni veröffentlichte. Auch das Juliheft liegt schon vor mir – es geht da um Männer, mal sehen, wann das zu referieren ist.

Plädoyer für eine wissenschaftliche Psychoanalyse
Eine wissenschaftstheoretische Bestimmung
Bernd Nissen
Psyche 7/2010

Nissen setzt sich in dem Artikel damit auseinander, mit welchem wissenschaftstheoretischen Ansatz Psychoanalyse richtigerweise betrachtet werden müsste. Dabei stellt er fest, dass im wissenschaftstheoretischen Diskurs metaphysische Fragen, die sich mit den Grenzen der Erkenntnis auseinandersetzen immer weniger bedacht wurden. Wiener Kreis und kritischer Rationalismus setzten sich mit dem Gegebenen, Tatsächlichen, Vorgefundenen als dem Sicheren und Zweifellosen auseinander, was für Nissen ein naiver Zugang ist.

Wissenschaft baut auch auf sogenannten All-Sätzen auf, also etwa für alle Gegenstände x gilt: auf x trifft F zu. Allsätze im Psychischen zweifelt Nissen an. So bewegt sich Nissen in Richtung der Diagnosemanuale, die seiner Meinung nach zwar das zeigten, was ist, was man sieht, was man vorfindet, damit aber nur Symptome beschreiben, was nichts über die vielfältigen Dynamiken und Strukturen im psychischen Korpus aussage, die zu diesem Symptom geführt hätten. Und je nach theoretischem/metatheoretischem Ansatz sind dann wissenschaftliche Sätze zu betrachten.

Das Psychische, so Nissen, sei kein triviales oder nicht-triviales System, sondern ein komplex-dynamisches, das sich selbst erzeugt und organisiert. Es ist nicht deterministisch, daher nicht vollständig beschreibbar.

Nissen kommt auf ein Beispiel Heideggers zu sprechen, der sagt, dass mit positivistisch wissenschaftlichen Methoden das Stehen vor einem blühenden Baum und die innere Ergriffenheit dabei nicht erklärbar sei. „In Wahrheit sind wir heute eher geneigt, den blühenden Baum zugunsten vermeintlich höherer physikalischer und physiologischer Erkenntnissen fallenzulassen“, schreibt Heidegger eher pessimistisch. Die Psychoanalyse, so Nissen in seiner Annahme, versucht dieses blühende-Baum-Phänomen zu fassen. „Das entscheidende Datum bleibt die Wahrnehmung der Analysanden, inwieweit seelische Veränderungen eingetreten sind, …, und diese Einschätzung ist qualitativ wie der blühende Baum, die Wiese und der Mensch.“

Die Psychoanalyse muss darauf achten, nicht mit falschen Maßstäben gemessen zu werden. Bei der Psychoanalyse geht es in erster Linie um verstehen. „So kann eine psychoanalytische Behandlung auch dann erfolgreich sein, wenn ein Mensch, der an schweren Depressionen litt, diese verstehen, als Teil seiner Geschichte begreifen und das Schicksal tragen kann. Nissen meint, es sei verhängnisvoll Wirksamkeit und Indikation gleichzusetzen. Also etwa eine Klingeldecke bei Enuresis nocturna sei wirksam, daher indiziert, das Verstehen, warum diese auftrete – etwas wegen schwer erkrankter Mutter – das durch Psychoanalyse erreicht werden könnte, führe nicht zu raschem Erfolg, daher nicht indiziert, daher nicht über Krankenkassa bezahlt.

Zur Beforschung der Psychoanalyse schlägt Nissen vor, die Methode der objektiven Hermeneutik anzuwenden. Dabei „wird Textmaterial hermeneutisch und psychoanalytisch in Gruppendiskussionen intensiv und extensiv ausgelegt, sodass die latenten Sinnstrukturen zutage treten. Weiters meint er, dass die Psychoanalyse  eigene Kriterien der Wirksamkeit entwickeln und formulieren müsse. Nissen sagt, Studien hätten gezeigt, „psychoanalytische Therapie führt … zu Veränderungen im Selbst und zu einer Neuorientierung in der Welt, die nachhaltig wirken.“. Nachhaltiger, wie Nissen behauptet, als rein symptomorientierte Therapien.

Nissen plädoyiert also für eine dem Forschungsgebiet Psychoanalyse angemessene wissenschaftliche  Zugangsweise und ist gegen eine Vereinheitlichung des Zuganges zu allen psychotherapeutischen Ansätzen. „Eine sogenannte verfahrensübergreifende Einheitspsychotherapie, in der Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie und Psychoanalyse verschmolzen sind, … wird ihren wissenschaftlichen Status verlieren.“

Von der Notwendigkeit eines ätiologieorientierten Vorgehens in der Psychotherapie
Qualitätssicherung auf empirische oder empiristische Art?
Gottfried Fischer
Psyche 7/2010

In Vertiefung eventuell zum obigen Aufsatz von Nissen setzt sich Fischer mit den Diagnosemanualen auseinander, die – wie schon oben dargestellt – Symptome beschreiben: „nicht mehr auf die Krankheit,[sondern] deren Zeichen, Anzeichen oder Bild das Symptom (von altgriech. Symptomom = Zeichen)“ wird abgestellt.

Die je kausalen Zusammenhänge eines Krankheitsbildes werden ausgeblendet, das Zeichen (Symptom) wird nur mehr verstanden in Abgrenzung zum anderen Zeichen. Diese empiristische Erkenntnistheorie sei ein mechanistisches Verständnis von lt, schreibt Fischer. Und schon Nissen hat ja gezeigt, dass dieses beider menschlichen Psyche nicht angewendet werden kann.

In der Psychoanalyse – so Fischer – ist ätiologische Forschung wesentlich. „Keineswegs alle Personen, die ein depressives Störungsbild zeigen, weisen in ihrer Lebensgeschichte den gleichen ätiopathogenetischen Hintergrund auf“ (vergleiche dazu die Kritik der Allsätze bei Nissen).  Es gibt keinen linearen Zusammenhang zwischen Ätiopathogenese und Symptombildung, daher muss erstere immer individuell untersucht werden.

Fischer führt hier den Begriff der kausalen Psychotherapie ein, die auf einem ätiologieorientierten Vorgehen sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie beruhe. Kausale Psychotherapie – so Fischer – sei „als Aufhalten des Krankheitsprozesses und seine Wendung in Salutogenese zu verstehen“.  „Ziel der k.Psth. ist nicht nur Symptombeseitigung, sondern die Unterbrechung des Krankheitsprozesses und seine Rückführung in selbstregulierte Persönlichkeitsentwicklung.“

Katamnestische Studien bestätigen die Nachhaltigkeit kausaler Psychotherapie. „Ein teil der erfolgreich geführten Psychotherapien entfaltet erst im posttherapeutischen Zeitraum ihr volles Wirkungspotential“, so Fischer.

Fischer unterscheidet zwischen zwei Interventionsstilen, einem entwicklungsorientieren (angewandt etwa bei kausaler Psychotherapie) und einen trainingsorientierten. Er referiert dabei Forschungsergebnisse, die ersterem Stil ein nachhaltigeres ergebnis attestieren, so etwa in einer Studie über posttraumatische Belastungsreaktionen. Das reine Wegtrainieren von symptombezogenen Verhaltensweisen muss immer wieder aufgefrischt werden.

„Eine Krankheitslehre, die den Begriff Ursache und Wirkung aufgibt und damit, … , auf Erklären verzichtet und, … auf Verstehen, bleibt auf der Oberflächenebene einer Symptomtherapie beschränkt.“

Die Entwicklung der Neurosenformel in den vier Psychologien der Psychoanalyse
Vom Denken in affektiven Zuständen zur Logik des Kräftespiels und zurück
Peter Gieser und Werner Pohlmann
Psyche 7/2010

Was sind die vier Psychologien? Es geht um die Libidotherorie Freuds, um die Ich-Psychologie Hartmanns, um die Objektbeziehungstheorien (etwa Winnicott) im besonderen Kernberg und um die Selbstpsychologie Kohuts.

Die Libidotheorie, so die Autoren, ist eine Konflikt-Psychologie. Unterschiedliche Ansprüche treten im psychischen Gebäude gegeneinander an. Das Ödipusdrama ist der zentrale Bezugspunkt. Neurosenentstehnung hat vielfache Ursachen, seelische Entwicklung ist unabschließbar, da Konflikte immer wieder auftreten. Ziel einer Therapie ist, die tragischen Konflike bewusst zu machen, die Macht des Unbewussten zu begrenzen, indem bewusst gemacht wird, was vorher unbewusst war.

In der Ichpsychologie steht dieses im Mittelpunkt des Geschehens. Die Bildung der Ich-Organisation führt zur Wahrnehmung des Fremden, „das Fremde konstituiert das Eigene. Das Ich und das Fremde brauchen sich gegenseitig.“ Es entseht ein Anpassungsdruck. Freud: „So vom Es getrieben, vom Über-Ich eingeengt, von der Realität zurückgestoßen, ringt das Ich um die Bewältigung seiner ökonomischen Aufgabe, die Harmonie unter den Kräften und Einflüssen herzustellen.“ Hartmann sieht in der Ich-Entwicklung auch autonome Faktoren. Gesunde Entwicklung laut Hartmann führt von Abhängigkeit zu immer mehr Autonomie. Aggressive Energien werden laut Hartmann von einem treibhaften in einen nicht-triebhaften Modus umgewandelt. Die Fähigkeit, das zu tun ist nach Hartmann die Ich-Stärke. Die innere Selbstregulierung ist die gesundheitserhaltende Fähigkeit. Sie kann in unterschiedlicher Stärke und zu unterschiedlichen Entwicklungszeiten gestört werden.

Die Objektbeziehungstheorie besagt, dass die Objektbeziehung die Triebe herstellt. Nicht das Kind benötigt ein Objekt, sondern es gibt das Kind nur in Einheit mit dem Objekt (Winnicott: Mutter-Kind). Die Brust schafft die Lust. Kernberg, ein Hauptvertreter, beschreibt einen Patiententypus folgendermaßen: „allgemeine Ich-Schwäche, hohe affektive Labilität, starke Stimmungsschwankungen, sehr widersprüchliches Beziehungsverhalten, mangelhafte  Impulskontrolle von sexuellen und aggressiven Triebaspekten, Wechsel zwischen triebhaftem Agieren und Ängsten gegenüber solchen Triebdurchbrüchen sowie … frei flottierende Angst.“ Es gibt nur Idealisierung des Objektes oder Verdammung desselben. In der Analyse wird auf die verschiedenen Stufen der Einverleibung von Objekten geschaut: Introjektion – Identifikation – Identitätsbildung. Ziel ist eine befriedigende Objektbeziehung bzw. die Abwehr negativer Objektbeziehungserfahrung. Angst zeigt die Brüchigkeit des Gesamtzustandes. Die Pathologie ist gekoppelt an pathologische Objektbeziehungserfahrungen. Krankheit ist eine Strukturstörung oder Persönlichkeitsstörung, nicht die Störung des Kräftespiels (Libidotheorie, Ichpsychologie) macht die Pathologie aus sondern die Desintegration seelischer Zustände. Psychotherapeutische behandlung versucht diese Desintegration (Spaltung in gut oder böse) wieder zu lösen und integrative Modelle herzustellen (es gibt ein „gut und böse“)

Die Selbstpsychologie sieht das Selbst als Zusammenfassung der Person und der Objekte. Die Selbstpsychologie spricht von einer Selbst-Selbstobjekt-Matrix. „Die Entwicklung des Selbst ist zum einen horizontal zu lesen als Polarität (Kohäsion-Fragmentierung), zum anderen aber auch vertikal in Gestalt verschiedener Formierungen (Größen-Selbst – Idealisiertes Objekt)“. In der Wirkungseinheit von Selbst und Selbstobjekten sieht die Selbstpsychologie Motive der Entwicklung. Optimale Frustration (Kohut) fördert Entwicklung. „dabei erfährt sich das Selbst als zeitweise verlassen von Selbstobjekt, kann die Brücke und Lücken aber, anders als bei einer traumatischen Frustration, durch Wiederherstellung des Selbst-Selbstobjekt-Dialogs zur Bildung der inneren Struktur nutzen.“ Störungen führen zur versuchten Totalkontrolle der Selbstobjekte oder zur totalen Kontaktvermeidung.

Es geht um wissenschaftstheoretische Vorannahmen, für welche der vier Modelle man sich entscheidet, um damit das Zustandsbild einer Person zu beschreiben. Diese Vorannahmen, sie die Autoren, seine aprioris, die nicht verifizierbar oder falsifizierbar seien. Aufgabe des Psychoanalytikers ist es, seine/ihre individuelle Position zu finden, so die Autoren.

Heimsuchung oder halb eins
Eva Jancak

Ein paar Tage im Jahr 2009. Die Ich-Erzählerin Hanna Held liegt grippal zu Bette (ists die Schweinegrippe? Der Krankheitsverlauf scheint nicht darauf zu schließen) und hält Kontakt zur Außenwelt über ihre Blogs und Blogbekanntschaften sowie über ihre Nachbarin.

Svetlana Richter, ein aufstrebender (?) Star am Literaturhimmel erlebt erste (?) Enttäuschungen, da der erhoffte Literaturpries nicht gewonnen wird und auch die Aufnahme in den Literaturkurs nicht klappt.

Barbara Winter muss mit den Neiderinnen und Neidern fertig werden, da sie einen gutdotierten Literaturpreis gewonnen hat und auch im Literaturkurs aufgenommen wurde. Der Preis wurde gewonnen dank eines hervorragenden Fantasykonzeptes (es erinnerte mich etwas an Perutz, wohl nicht zu Unrecht, gehört der doch zu den Lieblingsdichtern von Frau Winter), der Literaturkursplatz dank lyrischer Ergüsse in Kolik und Manuskripten, was zwar wenig Breitenwirkung hat, dafür aber in Insiderkreise für Qualität spricht, während gute Fantasyromane hier wieder nur naserümpfend anerkannt werden.

Ayten Akmaz, die türkisch-österreichische Sozialarbeiterin besucht ihre Verwandten in Istanbul, um die Verlassenschaft nach den Großvater zu regeln und muss erkennen, dass ihre türkischen Wurzeln kein türkisches Heimatgefühl mehr tragen.

Herta Müller erhält den Literaturnobelpreis.

Drei feine aufstrebende zarte Liebesbande kommen auch vor: Svetlana lernt bei der Uni Besetzung (ja, die spielt auch eine Rolle) Sebastian kennen, Lilly Lind über eine Literaturblogbekanntschaft den Markus Müller, der wiederum ist der Neffe der Erfolgsschriftstellerin Melitta Bruch, die über 3 Pseudonyme verfügt und Ayten erkennt, dass sie sich doch zu Hannes und zu Österreich hingezogen fühlt (übrigens scheine ich die Ayten aus Sophie Hunger zu kennen.)

Und der Blogger Ferdinand Feuerbach kommt mir auch bekannt vor, ich glaube aber, dass er keinen dritten Blog hat, seine Beziehungskiste aber weiterhin trotz Hochschaubahn ganz gut läuft.

Wieder versteht es Eva Jancak die verschiedenen Fäden zusammenzuhalten und ein Gesellschaftsbild einer literarischen Interessens-, Schicksals- und Neidgenossenschaft zu zeichnen. Ott sei Dank ist das alles ja nur erfunden, könnte aber durchaus der Realität entsprechen. Besonders berührt hat mich die Schilderung der inneren Zustände der Nobelpreisträgerin Herta Müller, die nicht erfunden ist und deren biografischer Background in sensibler Weise dargestellt wird. Eva jancak at her best.

Und das alles geschrieben in einem Monat, um bei NaNoWriMo 50.000 Worte zu produzieren, solche 50.000 lass ich mir gefallen.

Soziales durchaus zornig

August 11, 2010

Heute stehen Artikel der Ausgabe 6/2010 der ksö-nachrichten im Mitelpunkt. Und das passt ganz gut zu einem Vortrag, den ich gestern gehört habe, über Rechtumsforschung, von Martin Schürz. Ich rate diesen Namen zu googeln und das zu lesen, was er publizierte, v.a. auch deshalb, da man den Wissenschaftler derzeit mundtot machen will. Schürz versucht höchst seriös sich dem Phänomen des reichtums in Österreich zu nähern und Fakten darzustellen, die besonders in der derzeit laufenden Sparensdebatte und Steuerdebatte sehr wesentlich wären. Aber die Reichen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie in der Lage sind, qua Position Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen zu nehmen (leichte Abänderung eines Zitates von Ulrike Herrmann, deren neues Buch über den Selbstbetrug der Mittelschicht auch lesenswert sein dürfte), verstehen es zu verhindern, dass diese Fakten an die Öffentlichkeit kommen. Statt dessen kolportieren sie lieber, dass es nicht leistbar wäre, Mindestanforderungen an sozialer Absicherung (weiterhin) zu bezahlen – ich denke dabei etwa an die komplett falsch dargestellte Mindestsicherung oder an die heute von Zaun gebrochene Diskussion über Sinn von Pflegegeldstufen. Sie verstehen es, Angst zu schüren, wenn an ihren Privilegien geknabbert wird und zeigen statt dessen mit dem Zeigefinger auf die, die aufgrund von Notsituationen staatliche und damit solidarische Hilfen benötigen, die einen Bruchteil dessen ausmachen, was die reichen auch in Österreich schamlos anhäufen, auch auf Kosten der Armen, die schlussendlich den Reichtum finanzieren. Das anzuschauen wird verhindert, durch mächtige Politiker, gerade auch aus den Reihen sogenannter christlich gesinnter Parteien. Sollten alle die ksö-nachrichten lesen, in sich gehen, Buße tun und sich mal den Schürz anhören.

Ökologie, Lebensstil und soziale Gerechtigkeit
Richard Sturm
ksö 6/2010

Richard Sturm, Leiter des Instituts für Finanzwissenschaft und Öffentliche Wirtschaft an der Universität Graz schreibt, dass das Klimaproblem neue Lebensstile und Tugenden verlangt (schau schau) und die Wiedergewinnung sozialer Gerechtigkeit als zentrales globales Diskursthema, weites meint er, neues Wissen und dessen Vermittlung sei von Nöten sowie globale politische Institutionen neuer Qualität. Wir müssen damit umgehen, dass das fossile Zeitalter zu Ende gehen wird, wir benötigen eine postfossile Mobilität. Das Problem an der ganzen Sache ist aber die Trittbrettfahrermentalität: jeder ist von den Entwicklungen betroffen, keiner kann ausgeschlossen werden, neue Entwicklungen sind mit Kosten verbunden, an denen sich aber niemand beteiligen will. Sturm stellt fest, dass es der neoliberalen Epoche gelungen ist, den Diskurs um soziale Gerechtigkeit zu diskreditieren. Thatcher sagte: „There is no such thing as society“, daran leiden wir heute. Die globale Bedrohung der Atombombe war sichtlich greifbar und führte zu globalen Politiken, die globale Bedrohung des Klimawandels scheint hier weniger greifbar, weswegen es keine globale Politik gibt, die etwa der Politik des Gleichgewichts der Abschreckung vergleichbar wäre. „Es ist auch eine moralische Herausforderung [diese globale Klimapolitik] weil es einen großen Schritt von der ungeselligen Geselligkeit zu globaler Solidarität bedeutet.“

Betteln in Wien
Margit Appel
ksö 6/2010

Eine kritische Glosse zur Kampagne der Wiener Wirtschaftskammer gegen die Aktivitäten organisierter Bettlerbanden. Die Wirtschaftskammer fordert dabei auf, Bettlerinnen und Bettlern nichts zu geben, stattdessen aber Hilfsorganisationen zu unterstützen. Die BettelLobbyWien meint, damit werde versucht zu reglementieren, wer sich im öffentlichen Raum aufhalten dürfe. Bettelverbote, so die BettelLobby verletzten Grundrechte, Bettlerinnen und Bettler vor Geschäften nicht, „beeinträchtigen aber unser aller eingebildetes Recht auf ungestörten, nicht durch den Anblick von Armut getrübten Konsum“.

Wandel der Frauenerwerbsarbeit in Österreich
Ulrike Papouschek und Ingrid Mairhuber
ksö 6/2010

Die beiden Sozialwissenschafterinnen an der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt in Wien referieren hier einen Ausschnitt aus dem Frauenbericht 2010 (www.bka.gv.at/site/7207/default.aspx)

Es ist dies übrigens der erste Frauenbericht seit 1995. Erwerbstätigkeit der Frauen seit damals gestiegen, aber hauptsächlich aufgrund atypischer Beschäftigungsverhältnisse. Rollenverständnisse traditioneller Natur haben sich zwar verändert, aber im Praktischen merkt man davon wenig. Einstieg ins Erwerbsleben noch immer geprägt durch geschlechtsspezifische Zuschreibungen, Gehaltsdiskriminierung von Frauen hat bei Berufseinstieg seit 1995 zugenommen! Erwerbsverläufe von Frauen diskontinuierlicher, das v.a. auch dank der finanziellen Unterstützungen bei Babypausen im Gegensatz zu außerhäuslichen Betreuungsangeboten. Dies wirkt sich aufgrund der Pernsionsberechnungen auch diskriminierend auf Frauen aus, da auch Zeiten der Teilzeit sich (pensionsdrückend) auswirken. Man sollte wohl auch besser darauf schauen, wie sich diverse Leistungen und Angebote auf Frauen auswirken. So schreiben die Autorinnen über das Pflegegeld: „das Pflegegeld baut implizit und explizit auf der Verfügbarkeit von Frauen bzw. informeller, familiärer Betreuung auf“. Auch die 24h Betreuung ist eigentlich eine  staatlich geförderte Diskriminierungssache (Migrantinnen, die schlecht bezahlt werden).

Kraus

August 10, 2010

Ein kleiner noch nicht veröffentlichter Nachtrag zur Lektüre von Literatur und Kritik 455 – schon vor ein paar tagen gelesen, und so wie alles hier ja eigentlich nur für mich geschrieben sozusagen als Lesetagebuch und noch immer in schwerer Zeit. Von den Rezensionen würde ich  mir, wenn es passte den Erzählband von Bettina Balaka „Auf offenem Meer“ kaufen. Hat mich von allen besprochenen Büchern (Brunngraber: Karl und das 20. Jahrhundert – Achtung, bekannt schon durch Eva Jancaks Sophie Hungers, Röggla: Die alarmbereiten – ist mir zu hermetisch, die Röggla, Röggla/Grajewski: tokio, rückwärtstagebuch – da hab ich Auszüge ich glaub in den Manuskripten gelesen, auch nicht so meins, Pohl: Die Spindelstürmer – ist nicht gar so gut beschrieben, Müller-Wieland: Wohin auch immer – da lieber die Balaka, Jonke:Alle Gedichte – Lyrik ist auch nicht meins) am meisten angesprochen. Außerdem kenn ich ihren Roman Eisflüstern, der mir sehr gut gefallen hat.

Also jetzt der Lektürenachtrag: ein bisserl Kraus und ein unbekannter Schriftsteller:

Es geht alles wie am Schnürchen, zuweilen wie am Strick
oder neue Erkenntnisse zu Karl Kraus
Eine Geschichte vom Wiener Donaukanal
Erwin Riess
L&K 455

Eine Riess-Conference, also Groll mit dem Dozenten um die Figur Karl Kraus und seine Themen, im besonderen auch um die Behandlung der Themen Behinderung und Minderheit bei Kraus. So erfahre ich auch, dass der Begriff „behindert“ zuerst bei den Nationalsozialisten aufgetaucht sei, in dem Fall natürlich der medizinische Behinderungsbegriff. Wesentlich für die Betrachtungen über das Kraus´sche Denken sind die Ausgaben der Fackel, die als ein großes literarisches Werk begriffen wird – sollte man halt auch mal lesen, ist ja im Internet lesbar (http://corpus1.aac.ac.at/fackel/). So wird etwa vom Dozenten der Artikel in der Dackel erwähnt, in dem sich Kraus über die Teerung und Federung eines Schwarzen in Amerika äußert: „Die Erker des vornehmen Badehotels auf dem Hauptplatz seien während dieses Schauspiels von einer großen Anzahl reicher Badegäste besetzt gewesen“. Groll erwähnt eine Geschichte von Kraus, wo dieser in der Fackel behauptet, der Vulkanausbruch auf Krakatau sei von der Wiener Rindfleischinnung als Rache für das Importverbot der Krakatauer für Wiener Rindfleisch hervorgerufen worden. Vorbildlich hätte sich Kraus immer für die Schwachen eingesetzt, meint der Dozent. Wir erfahren, dass Kraus Benn, Heidegger und Spengler negativ gegenüberstand und auch Furtwängler und Richard Strauß mit Spott überzog. Wir erfahren auch, dass Kraus noch in seinen letzten Werken die Gräuel des aufsteigenden Nationalsozialismus (in Deutschland ja schon an der Macht) an den Pranger stellte. Die Verharmlosung Karl Kraus als Sprachkritiker darzustellen wird angeprangert. Diesbezüglich wesentlich ist das Ende der Dritten Walpurgisnacht, ein verzweifelter Anruf gegen den nationalsozialistischen Wahnsinn. Eingebettet sind diese Betrachtungen, die auf einer Lesung von Riess in der Alten Schmiede basieren, in Ergüsse zum Donaukanal, zur Wiener Donauschifffahrt und zur Architektur am Kanal.

„Es gibt eine Insel“
Ein Besuch in  der „Bibliothek Janowitz“
Hansjörg Graf
L&K 455

Die Bibliothek Janowitz, das sind die Schriften und Betrachtungen in Zusammenhang mit der Beziehung von Rilke und Kraus zur Baronesse Sidonie Nadherny von Borutin auf Schloss Janowitz, 70km südlich von Prag gelegen. Karl Kraus hat Gedichte  an Sidonie geschrieben, es gibt einen Briefwechsel mit Rilke, ebenso mit Kraus, auch Peter Altenberg spielt eine Rolle. Alle diese Dokumente sind in der Buchreihe „Bibliothek Janowitz“ herausgegeben und die Reihe wächst.

Zur Biografie
Karl Wimmler
L&K 455

Ein Autor im  österreichischen Alphabet, der Artikelfolge über zumeist unbekannte österreichische Autorinnen und Autoren des 20. Jahrhunderts, der zwar biografisch wenig Bezug zu Österreich hat (geboren 1900 in Prag, Aufenthalte in Berlin, Exil in Amerika kehrt nach dem Krieg nach Prag zurück, dann in Berlin) aber in seinen Geschichten diesen immer wieder herstellte. Franz Carl Weiskopf war ein Linker, seine Frau wird später eine der bekanntesten Kinderbuchautorinnen der DDR sein. In den Zwanzigerjahren reist Weiskopf durch die UdSSR und veröffentlicht seine Reisenotizen. Im Roman „Das Slawenlied“ setzt er sich mit dem Ende des Habsburgerreiches auseinander (Österreichbezug). In Prag versucht er noch journalistisch gegen Hitler zu agitieren, bevor er sich dann über Paris absetzen muss, doppelt gefährdet als Linker und als Jude. Vielleicht wäre es mal spannend seinen Roman Lissy zu lesen, der 1957 auch verfilmt wurde. Mit einer (unvollendeten) Romantrilogie versucht er sich noch einmal mit dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches auseinanderzusetzen, aus Sicht der Tschechen. Der Roman „Abschied vom Frieden“ wird von Wimmler als ebenbürtig dem Mann ohne Eigenschaften beschrieben. 1947 wird Weiskopf Botschafter der CSR in Stockholm, 1949 in China. 1955 stirbt er plötzlich in Berlin. Blitzlichter aus dem Leben eines Dichters, vielleicht findet sich im ZVAB ja das eine oder andere Werk.

Sophie Hungers Krisenwelt
 Eva Jancak

Würde er hineinpassen in eine Arbeiterbibliothek, der 2009 geschriebene und 2010 erschienene Roman der Eva Jancak, so wie der Roman „Karl und das 20. Jahrhundert“ von Rudolf Brunngruber, der nicht zuletzt da eine der Hauptfiguren von Sophie Hunges auch Karl Lakner heißt eine wichtige Rolle in der Krisenwelt spielt. Es sind einfache Menschen und Menschen, denen die Wirtschaftskrise des Jahres 2009 zusetzt, die Eva Jancak da beschreibt, und so wie in ihrem Roman „Das Haus“ kommt wieder ein fast 100jähriger vor, der sozusagen am Vorabend dieses epochalen Geburtstages verstirbt – diesmal an einem Verkehrsunfall. Wieder verknüpft Eva Jancak die Schicksale der Protagonisten, die sich erst im Rahmen des sich über einen Zeitraum von etwa 10 Tagen ziehenden Geschehens kennenlernen. Aber in diesen 10 Tagen laufen sie einander häufigst über den Weg. 2 Gruppen sind es, die da, jede in sich eng verwoben, das Leben in einem Grätzel nahe des Donaukanals verbringen. Soophie Hungers, Ich-Erzählerin, freigesetzt vom Verlag als Lektorin, da freiberuflich tätig ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld, versucht sozusagen im bücherlesenden Winterschlaf durchzutauchen. Dasselbe probiert Franka Stein, Friedhofsrednerin und Abonementkeilerin, Tochter eines in Kanada zum Milliardär gewordenen, der ihre Mutter, die an Geburtsdepression suizidal verstorben, noch vor ihrer Geburt kennengelernt hat und Enkelkind des oben bereits beschriebenen Karl Lakner. Karl Lakner, der in einem von Nonnen geführten Altersheim – back tot he catholic roots sozusagen – seinen Lebensabend verbringt, hat die Arbeiterbibliothek der Arbeiterkammer nach dem Krieg aufgebaut und lernt Sophie am Donaukanal kennen, sich für ihre Arbeiterlektüre interessierend. Da spielt die Büchergilde Gutenberg eine wichtige Rolle, hat diese sich doch der Arbeiterliteratur in der Zwischenkriegszeit verschrieben und besitzt die Hungers eine Reihe von Büchern aus Erbstücken heraus. Am Ende des Romans wird sie den Bibliotheksnachlass von Karl Lakner erben, da ist sie auch schon eng befreundet mit Franka Stein, die dann wiederum ihren dem neoliberalen Wirtschaftsleben verfallenen Freund Hannes verlassen hat. Das also die eine Gruppe. Die anderen sind Valerie Oswald, die von ihrem Mann Hubert verlassen, antriebslos und depressiv in ihrer vermüllten Wohnung lebt, dort von ihrer Mutter, der pensionierten Kindergärtnerin Hertha Werner umsorgt wird, die auch darauf schaut, dass die beiden Kleinkinder Clarissa – eine altkluge Fünfjährige – und Felizitas ordentlich aufgezogen werden und das Jugendamt nicht auf die Idee kommt, da eingreifen zu müssen. Valerie will ihren Mann zurückholen, der mit seiner Sekretärin abgehauen ist, und bekommt mit Felix Baum, einem aufs berufliche Abstellgleis gestellten Briefträger, den (passiven) Helfer, den sie braucht, um wieder auf beide Füße zu kommen. Am Ende der Gattennachreise von Graz über München, Berlin, Dresden und Bratislave hat Valerie zwar ihr vordergründiges Ziel nicht erreicht, aber das Ziel, ihren Kindern wieder eine intakte Familie zu bieten wahrscheinlich schon und der Nesthocker Felix scheint sich als ganz passabler Partner zu entpuppen. Wir lernen im Roman auch auf durchaus amüsante Weise eine Möglichkeit kennen, mit wenig Geld durchs Leben zu kommen und trotzdem auf wesentliche Dinge nicht verzichten zu müssen, auf reisen, auf interessante Lektüre – gut die ist auch irgendwie vererbt – auf spannende Gespräche und auf gute Freundschaft. Man kann was machen aus seinem Leben, auch wenn die Krise hart ist, das sagt uns der Roman.

Bruder Ernest, Schutzpatron fürs Leben
Hemingway, Habeck und ich
Andreas Weber
L&K 455/2010

Eine Liebeserklärung an den Autor Ernest Hemingway mit einem kurzen biografischen Abriss (nachzulesen ist das alles auch im Wikipedia, mich hat beeindruckt, vielleicht als weiterführende lektüre irgendwann einmal, dass es von seinem Sohn Gregory, der nach Geschlechtsumwandlung Gloria Hemingway hieß eine  1976 veröffentlichte Biografie „Papa:A Personal Memoir“ gibt und dass Hemingway gesagt haben soll, „gefragt nach der besten Schule für einen Schriftsteller…:´eine unglückliche Kindheit´“

Die Liebe zu Hemingway – so Andreas Weber – führte bei ihm zu einem Anglistikstudiumsversuch, den er aber nach wenigen Wochen abbrach, da die für ihn wirklich spannende Literatur dort nicht behandelt wurde. Allerdings setzte er sich auf die Spur des Autors und besuchte etwa die Buchhandlung Sylvia Beach&Co. in Paris, in der viele berühmte Autoren verkehrten. Eine Episode des Besuches, nämlich wie er eingeladen wird, auf der Couch zu sitzen, die auch von Hemingway, Joyce usw. benutzt wurde, schildert Weber im zweiten Teil des Essays.

Im dritten Teil geht es um Fritz Habeck, einen österreichischen Autor, der im Besitz von Briefen von Hemingway an ihn ist, mit dem ihn eine briefliche Freundschaft verband. Weber hat über Habeck auch einen Film gedreht. Weber besucht Habeck, als dieser weit über 70 Jahre alt meint, nichts mehr schreiben zu können, auch wenn er noch viele Gedanken zu Büchern hätte. Mit Weigel war Habeck zerstritten, ebenso war er ein Gegner der Gruppe 47. Habeck beschreibt sich selbst als „Schriftsteller des Krieges. Das Soldatenleben, Grenzsituationen, das hat mich fasziniert“. Wohl auch deshalb war er fasziniert von Hemingway.

Ein interessanter Essay, der zwei Dichterpersönlichkeiten verbindet und auch einige schriftstellerische Ratschläge bereithält wie z.B. diese beiden:
„Hemingway schreibt so, dass sich die Frage: Was will uns der Dichter mit seinem Text sagen? Nicht stellt. Seine Texte sind frei von jenem langweiligen Verweischarakter, mit dem Handlung, Szenen und Dialoge fiktionaler Literatur üblicherweise auf die sogenannte außerliterarische Wirklichkeit einwirken wollen.“
„Dem Hemingway hat die Gertrude Stein in seinen ersten Geschichten, die er ihr zu lesen gegeben hat, die meisten Adjektive ausgestrichen, Adjektive verwendet man nicht! Es gibt kein entsetzliches Erlebnis. Wenn ein Erlebnis entsetzlich ist, muss das in der Beschreibung herauskommen.“

Kalte Asche (Carolina Schutti)
L&K 445/2010

Der Monolog eines Nachtwächters, der versucht sich munter zu halten, halluzinierend von einem Tommy und einer Eva erzählt. Erst das Ende der Geschichte vollendet das Vorhergehende zu einem Gesamtbild: der Tommy scheint bei einem Unfall ums Leben gekommen und die Eva kennt der Ich-Erzähler nur von einer bei einer Bushaltestelle gefundenen Karte. Ein hervorragend konstruierter Text mit dichter Atmosphäre. Mein Lieblingssatz aus dem Text:“ich kann mir alles herdenken. Wegdenken ist viel schwerer.“

Die Übertragene
L&K 445/2010

Dass die Ich-Erzählerin eine Erzählerin ist und kein Erzähler, das zu durchschauen hab ich etwas Zeit benötigt, wenn es mich auch wunderte, dass da bei einem ich-erzählenden Mann ein Freund namens Thomas auftaucht. Ja, schwule Literatur ist äußerst unüblich zumindest in meinen Zeitschriften, aber die Welt war dann ja in Ordnung, ich hier ist eine Frau. Es geht um das Leben in der Fremde, eigentlich in der Fremdsprache, um das Leben in Österreich – eine Situation, die der Autor des Textes (Grzegorz Kielawski) aus eigener Anschauung kennt. Es geht um Schriftsteller sein in einem fremden Land, es geht um den Besuch beim Lektor, es geht natürlich auch um Mann-Frau-Erotik. So bleibt mir unklar, ob es in Linz dann auch zu einem Seitensprung des Lektors mit der Ich-Autorin kommt, sie besucht ihn ja in seiner Wohnung und die Ehefrau Sonja ist nicht zu Hause. Aber wie gesagt, das Hauptthema ist das Leben in der fremden Sprache und der Umgang damit.