Essay

10 Jahre Dialog der Poesien

Zum »Deutsch-Arabischen Lyrik-Salon«
Hamburg

Prolog

Echte Begegnungen. Zwischen Kulturen. Keine Lippenbekenntnisse. Ernst nehmen, das Sprechen des Anderen, der sich bemüht dich zu verstehen. Poesie der Begegnung. Selten in Deutschland. Ohne deine ressentimentgezwinkerten Hintergedanken. Auch anderswo. Ist man taub. Sicher. Aber jetzt erst mal Krautland. Eigene Nase. Fassen. Begreifen. Die arabische Welt, zum Beispiel. Die arabischen Juden. Die arabischen Christen. Mehr als du zugeben willst. Oder doch nur, weil es bequemer ist, weil es besser eindressiert ist, bloß die arabischen Muslimen. Sehen. Weil man sich verständigen muss. Kleinkariert. Bist ja belesen. Hafis. Liebesgedichte (dein Vorurteil gegenüber whatever »Orient« sei). Ein bisschen Westöstliches. Dazwischen Ossian: eine Erfindung nur. Macperson. Schon gut. Leitkultur.

Gibt es zu viele Reinheitsphantasien, um in Deutschland verantwortungsvollen interkulturellen Austausch wahrzunehmen? Ändern. Wahrnehmen. Produktiver Austausch geschieht jeden Tag. Aber nicht genug. Nicht wirkungsvoll genug. Nicht an der richtigen Stelle. Oft mit Fehlbesetzungen. Groteske Unkenntnis, leider. Deiner eigenen Dioptrienstärke entsprechen. Dir sagen. Du erträgst es nicht anders. Was dir gefällt. Austausch gibt es jeden Tag. Ohne die verwalteten Wohlfühlbegegnungen, die planlos, auch geistlos inszeniert werden, von jenen, die ein gewisses Interesse haben. Kosmetisches Interesse. Grünrosagestrichene Technokraten (weil Agenda) mit schwarzbraunem Zielpublikum. Kolorierte Bilder zu haben. Pigmente. Verstehst Du? Wir rollen aber neu auf. Jetzt.

Westöstlicher Diwan

Fouad El-Auwad kam vor fünfzehn Jahren nach Deutschland. Sehr früh schon empfand der Architekt aus Damaskus die Bemühungen um interkulturellen Dialog, an denen er sich häufig beteiligt hatte, als unbeholfen, häufig zu sehr verkrampft und von einseitigen Fantasien dominiert, die es den Beteiligten unmöglich machten, ihre freundlichen Masken abzunehmen, ohne die naiven Wunschvorstellungen des Gegenübers zu enttäuschen.

Wer bist du? Die Frage, ehrlich gestellt, schien Fouad El Auwad umso mehr zum Politikum zu werden, umso mehr die Gegenseite vorgab, dass sie es wirklich wissen wollte. Fouad El-Auwad ist ein syrischer Architekt. Er ist auch ein überwältigender Lyriker. Er schreibt auf Deutsch und Arabisch.

Enttäuscht von halbherzigen offiziösen Unternehmungen durch verwaltete Kultur interkulturellen Austausch herzustellen, begründet der syrische Lyriker 2005 in München den ›Deutsch-Arabischen Lyrik-Salon‹.

An den ersten Veranstaltungen im Literaturhaus München nahmen namhafte Schriftsteller und Intellektuelle teil – wie Adonis, Fuad Rifka, Raoul Schrott sowie die Joachim-Ringelnatz-Preisträgerin Ulrike Draesner und der Lyriker Ludwig Steinherr.

Das Konzept ist denkbar einfach: Das Medium der Begegnung ist die Sprache. Als syrischer Christ weiß Fouad El-Auwad, wie stark die europäische Perspektive auf seine Muttersprache geprägt wird von der Annahme, alles Arabische sei synonym mit dem Islam.

Er übersetzt die deutschen LyrikerInnen ins Arabische und die arabischen LyrikerInnen ins Deutsche. Auf diese Weise entstanden bisher fünf umfangreiche Anthologien, die als Dokumente dieser Begegnungen bestehen bleiben – jüngst die Sammlung »die Kerze brennt noch« (2014).

So ist Fouad El-Auwad bemüht den ›deutsch-arabischen Lyrik-Salon‹ im Geiste eines offenen Forums zu gestalten, worin zum Beispiel arabisch schreibende Juden neben deutschschreibenden Muslimen oder auf dieser oder jener Sprache schreibende Christen treffen, um sich über die künstlerischen, politischen und kulturellen Möglichkeiten und Bedingungen ihrer Poesien auszutauschen.

Titanen zu Gast

Beschaut man die Gästeliste, die sich über die Jahre hin stetig verlängerte, findet man zahlreiche Namen von bedeutenden Lyrikern sowohl aus dem arabischsprachigen Raum als auch aus dem deutschsprachigen Raum.

Neben Adonis besuchten beispielsweise die Dichterin und Filmemacherin Nujoom Ghanem aus Dubai den Salon oder die Marokkanerin Aisha Bassry, über die die Zeitschrift ›World Literatur Today‹ einmal gesagt hat, sie sei die hoffnungsvollste Stimme aus Nordafrika. Oder der Dichter und international bekannte Professor für arabische Literatur der Universität Rabat Mohamed Bennis. Die Liste der arabischen Autoren ist lang und umfasst auch Größen wie Fatima Mohamad, Maram Massri und viele andere mehr.

Aus Deutschland nahmen etwa Teil Rainer Kunze, der zahlreiche Auszeichnungen für sein Werk erhalten hatte, darunter nicht nur der Friedrich-Hölderlin-Preis, sondern auch das Bundesverdienstkreuz; oder der Münchner Autor von 16 Gedichtbänden und Mitglied der Bayerischen Akademie der schönen Künste Ludwig Steinherr; sowie Ulrike Draesner, deren neuer Roman ›Sieben Sprünge vom Rand der Welt‹ kürzlich für den Frankfurter Buchpreis nominiert worden war und gleichfalls mit Fragen von Identität und Herkünftigkeit ringt.

Der Lyrik-Salon hatte aber auch immer ein Ohr für die Zwischentöne, für alle Autoren, die zwischen den Kulturen schreiben, wie etwa den Lyriker Richard Dove, der Enzensberger, Michael Krüger und viele andere deutsche Autoren ins Englische übersetzt hatte. Oder die in Aachen lebende tschechische Autorin Klára Hůrková, die in Frankfurt lebende Türkin Safiye Can, die Rumänin Francisca Ricinski und viele andere international wirkende Autoren.

Poesie als Kustodin der Vielfalt

Das Projekt hat sich in den vergangenen zehn Jahren als ein bemerkenswertes Model für gelingenden interkulturellen Austausch etabliert. Bisherige Stationen des Salons waren neben dem Literaturhaus München, das Lyrik-Kabinett München, das Couven-Museum Aachen, der Universität Bonn oder das Institut Français Bonn und auf Einladung des syrischen Kultusministeriums in den Räumlichkeiten des Goethe-Instituts Damaskus.

Im Jahr 1987 schreibt der an der Columbia University Professor aus Palästina Edward W. Said ein bahnbrechendes Buch: »Orientalism«. Der Professor für englische Literatur verschiebt damit eine gesamte Debatte um die Auswirkung von Kolonialisierung auf die westliche Wahrnehmung. Die mediale Erzeugung und kulturelle Bildung von Stereotypen, ihre giftigen und für viele Menschen tödlichen Auswirkungen, die sie herbeiführen sowie Prozesse der Legitimierung, die auf solchen Stereotypen errichtet sind.

In einem Interview mit Salman Rushdie merkt Said an, dass nicht beispielsweise die Franzosen unter Napoleon umfangreiche Mythen des ›orientalischen‹ Alltags schufen, darin ein unaufhörliches Wechselspiel zwischen Serail, Shisha, Safran und dem Muezzin dahinginge, sondern umgekehrt auch die Menschen im ›Orient‹ einen stereotypischen Blick für das Europäische oder Amerikanische entwickelten.

Fouad El-Auwad will mit dem Lyrik-Salon solche kulturellen Mythen aufklären durch die poetische Vernunft. Das Ergebnis ist bemerkenswert, denn alle Dichter, die als Gäste eingeladen waren, berichten über den nachhaltigen Einfluss, den die Begegnung in diesem Kontext hatte. Ulrike Draesner beispielsweise hat ja bekanntlich im Verlag Luchterhand einen gesamten Gedichtband (»berührte orte«) ihren Reisen in Nordafrika gewidmet.

Es ist die radikale Veränderung der Sicht, die stattfindet, wenn weder Religion noch ethnische Fragestellungen oder politische Bemühungen oder wirtschaftliche Interessen die Zusammenkunft von Menschen prägen, die sich sprachlich zunächst fremd und unverständlich sind. Die Poesie meint hier Begegnung als Expressivität, Begegnung in aller Ausdrücklichkeit, im Zwischenraum der Metaphern und in der Verstrickung der Mitteilung – dem Schlüsselloch der Übersetzung.

The New Melting Pot in Old Europe

Der deutsch-arabische Lyrik-Salon ist daher ein Phänomen, das für die Literaturgeschichte der Gegenwart in Europa kennzeichnend ist. Er ist eben das, was die Signatur unserer Zeit wird. Es ist notwendig zu begreifen, dass Deutschland (und viele Teile Europas) gegenwärtig eine Phase in seiner Entwicklung vollzieht, die die Vereinigten Staaten von Amerika, England oder andere Kolonialmächte sehr viel früher erlebten.

Deutschland ist ein Schmelztiegel der Kulturen (geworden). Verspätet. Lange ohne die tatsächliche tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft anzuerkennen, ohne diese unumkehrbare und bereichernde Veränderung zu sublimieren und sie stattdessen als bloße »Einwanderung« abzutun und zu »diskutieren«, sie als etwas, das der Justierung an eine vermeintliche Leitkultur »noch« ermangelt, kleinzureden.

Aber: Es bilden sich Subkulturen, die nichts mit dem zu tun haben wollen, was deutsch ist – und auch nicht müssen. Ich erinnere an die China Towns in fast allen Metropolen der USA. Und Subkulturen werden aus sich selbst heraus kulturproduktiv. Sie suchen aus sich heraus Kontakt zu anderen neben ihr, außer ihn, zeitgleich mit ihr existierenden Kulturen.

Die Tatsache, dass man den Umgang mit Zugezogenen in diesem Land (sei es Amerikaner, Asiaten, Afrikaner oder Araber) stets als eine Integration verstanden hat, zeigt sich überall an den pseudokosmopolitischen Fassaden der deutschsprachigen Literatur. In Deutschland weiß man, dass Literatur von Werthaltungen und kulturellen Codes geprägt wird. Man weiß es aber halt auch nur.

In Deutschland hält man also an der Fiktion fest, ein vollständiges, mehr als alle anderen europäischen Länder globalisiertes Land zu sein und gleichzeitig die Romantik der indigenen teutonischen Scholle aufrechterhalten zu können.

In diesem Hinblick auf die Poesie muss man diesen Zusammenhang sehr klar begreifen, denn die Poesie ist die intimste Diskursform: was dort gelingt, kann auch in anderen Diskursen gelingen. Die Poesie stellt im Hinblick auf ihre Übersetzbarkeit und ihre interkulturelle Potenz folgende Frage an den Dichter:

Wie sehr kann ich mich in meinem Sprechen veräußern, mich einem anderen (durch Übersetzung) zugänglich machen, mich öffnen, ohne das Preiszugeben, was mein Sprechen eigentlich und ursprünglich ist?

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