Essay
Dichter dran - Slamburg Hamburg
„Es war mal wieder einer dieser verkackten Abende, wo es zu früh dunkel wurde und zu spät hell…“ So könnte ein Poetry-Slam-Text beginnen. So etwa irgendwie. Oder auch anders. Also: „Es war irgendwie mal wieder so in etwa einer dieser irgendwie verkackten Abende“ oder so. Auf jeden Fall gehört das Irgendwie irgendwie zum Slam dazu und es fragt sich, ob damit die Freiheit des Autors oder die Freiwilligkeit des Zuhörens angedeutet sein will. Egal – auch dieses kleine Wort gehört zum Vokabular der Performer, dem Outspoken Word – Pause - „egal“, Luft holen und dann weiter im Text. Die Zeit ist knapp: 5 Minuten plus. Bis die Uhr klingelt - oder auch darüber hinaus, wenn die Texte gut sind und es sind verdammt gute Stücke dabei und wirklich gute Entertainer oder auch rührende-berührende Vortragsamateure. Persönlich ist gut. Stakkato ist gut. Wiederholungen sind gut. Gut ist gut. Und manchmal dazu eine Melange aus Peinlichkeit, Unsicherheit und Hybris. Wer sehen will, was gemeint sein könnte, der schaue und klicke – um ganz bewusst k e i n e n Hamburger hervorzuheben – im Internet unter, sagen wir, larsruppel.de das bläuliche Limelight-Video-Bild.
Der Slam, eigentlich Live-Act vor und mit dem Publikum - und damit sehr Ort und Zeit gebunden - ist auch im Netz ausgesprochen präsent.
Hamburg gilt als die deutsche Hauptstadt des Poetry Slam. Nirgendwo wird mehr und öfter geslamt. Und mittlerweile bis in die Bastionen der Hochkultur - das Literaturhaus, die Kirche, das Schauspielhaus oder die etablierten Kunst-Institutionen - hinein. Vom sommerlich-saloppen „Poets on the Beach“ zum Salon-Slam „Perlen vor die Säue“. Vielerorts vorne dabei: das Youngster-Duo „Team und Struppi“ (Foto!!!) Vom Ur-Slam-Dauerbrenner aus dem letzten Jahrtausend „Molotow-Club“ auf St. Pauli zum kleinen Kneipen-Turnier „8min. Eimsbüttel“. Jüngstes Beispiel für Salonfähigkeit: MACHT TRIFFT RICHTER – Ein Poetry-Slam im Rahmen der großen Gerhard-Richter-Ausstellung „Bilder einer Epoche“. Sechs Hamburger Slammer nahmen sich je ein Bild des Groß-Malers vor und fabulierten minutenlang, was der Kopf und die Vorlage hergab – vom eigenen Blatt. Die Veranstalterin - und Mitbegründerin von „Macht e.V.“ - Friederike Moldenhauer moderierte und dirigierte die vielköpfige Publikums-Jury, für die diese Art von Schnellverzehr teilweise selbst eine Premiere war. 1. Runde, 2. Runde, Sieger. Fertig. 200 Zuschauer wollten sich das nicht entgehen lassen, diese doppelte Kopfnuss: Erst eine Führung durch die Ausstellung der“ Bilder einer Epoche“ (nach Fotos gemalt hat) und dann- auf der nahen Keller-Bühne – einige davon noch mal durch den Filter der Performance-Poeten. Die Ausstellungsmacher des honorigen Bucerius-Kunstforum am Hamburger Rathausmarkt waren deutlich beeindruckt von der Resonanz. Neue Nutzer. Neue Blicke. Fusion eben. Even Con-Fusion, als ausgerechnet in dieser modernen Disco das Mikrofon dauernd den Geist auf gab.
Hartmuth Pospiech, Aktiv- und Passiv-Kenner der Szene – und seit über 10 Jahre im Duett mit Tina Übel Slamburg-Moderator im „Molotow-Club“ - schrieb im Vorwort eines Sammelbandes „Dann erscheint das fast schon wieder zu selbstverständlich: dass einer einfach so an einem Abend mitten in der Woche in eine Kellerspelunke gehen und zweihundert Leuten etwas vorlesen darf. Ohne Umweg über Verlage, Lektoren, Wettbewerbe, Fernsehen oder Feuilleton. Dass auf der Bühne seine Knie oder Hände zittern dürfen – und er vielleicht gerade deshalb geliebt wird.“
In der selben Strasse, wo eine literarische Lesung nur von einem Dutzend Zuhörer besucht wird, zieht es fünf Häuser weiter 50,60,70 Leute in eine enge Kneipe, um im 5-Minuten-Takt Texte von Leuten zu hören, von denen sie noch nie vorher gehört haben. Und die sie bewerten dürfen. Beide: Mann und Manuskript. Tatsächlich sind die Mehrheit Männer. Vielleicht, weil es auch eine Form von, ja, nun, man darf nicht zart sein. Ein leicht getrübtes Selbstbild hilft. Mut zum Risiko. Sowohl für die Akteure, wie fürs Publikum ist die Hemmschwelle sehr niedrig gelegt. „Low key“ nennt Friederike Moldenhauer den Schlüssel dazu. Sehr niedrig. Man muss sich etliches anhören… Aber dennoch gilt das, was die „Welt“ einmal so schön konstatierte: „Deshalb braucht sich auch niemand mehr Sorgen um den Zustand der deutschen Gegenwartsliteratur zu machen. Ihr geht’s ganz gut. Sie lehnt gerade am Tresen und trinkt ein Astra aus der Flasche.“