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Prosa

Autor:
Mechthild Curtius
 

Prosa

>www. PLOWDIW.bulgaria.com< -ein Mail-Gespräch zwischen Plowdiw und Frankfurt am Main

Frankfurt, 15. Mai.
Lieber Djoro, nun haben Sie vor lauter Überlegungen über die Veränderungen des Wahrnehmens selbst das Anschauliche vergessen. Nämlich über Ihre Stadt und die Umgebung zu berichten. Ich erinnere mich an eure Dörfer als dermaßen still, dass die kleinen Bäche laut rauschen, gegen so fremde wie mich sind die Menschen freundlich, eine alte Frau hat  mir einen Spitzenkragen geschenkt. >Grüße, Frau, in Frankfurt maine Sohn und maine Enkeltechter<.
Vieles in Farben Fremde war mir  im Stil vertraut:Häuser mit eckigen und halbrunden rostenden ziselierten Balkonen, knallblau und rosa gestrichene Stadthausfassaden, dicht unter dem Dachgiebel Jugendstilbalkon voller Antennen. Den hegen sie hier als Denkmal, dort hockt das Gewirr von Draht mitten den Schmiedeeisen- Schlieren und wie ein zweites Kunstornament. Holztauben sitzen drauf, gurren und vögeln, werden immer mehr, die Art Déco-Ranken-Reliefs sind gerade tief genug für die Nester, Engelsköpfe weiß von Vogelscheiß. Autos fahren selten, ich höre sie, wenn es so still ist, bis amerikanische Musik aufstampft. überall und immer wieder, selten auch orientalische, balkanische. Hören. Sehen, Riechen, faulig nach Fisch und Gemüse. Italien ähnlich, wäre nicht das fremdartig orientalisch wirkende Würzgemisch Kamun., das ich durch einen arabischen Studienfreund  kenne. Neugierig, einem fast zusammenbrechenden Haus in die Eingeweide zu sehen, kann den Freskenresten nicht widerstehen, gehe durch eine stinkenden Gang in den Hof, der ist von Holzhaus- und Steinhaustrümmern gefüllt. Und was so riecht nach hundert Jahren Fäkalmuseum, ist das Erdlochklosett dicht hinter dem Durchgang, noch immer benutzt.
Im historischen >Haus des Architekten< am Felsenhang mit den Ausgrabungen wie bei euch dieser vorgeschwungene Mittelteil wie ein breiter Erker, dann über dem Portal ein Kopf, Mensch oder Tier. Haus des Äffchens das berühmteste genannt. Wir trinken Kaffee auf einem winzigen Podest über der unteren Straße. Wir kaufen zwei flache irdene Teller, der junge Verkäufer stellt sich als Bildhauer vor, er hätte Ausstellungen in Frankfurt und Dresden und München, kann genügend Deutsch, mein Freund versteht sich mit ihm, seine Mutter versteht sich mit mir; über mein Orthodoxkreuz aus Walnussholz haben wir uns kennen gelernt.

Sie laden uns zum Mittagsmahl ein, Gemüsesuppe, Riesentomaten,Kamunwurst und Kaschkavalkäse. Petr wohnt in einem zehn Jahre alten Neubau, dünne Wände, vieles schon entzwei, Eigentum sei es ihm wie vielen Leuten, gut so, zu teuer die neuen Mieten, Kindergarten 600 Leva im Monat, wo einer 3000 bis 4000 verdiene im Durchschnitt, seine Frau ist Kindergärtner, seine Tochter Soja studiert in Berlin Ost. An der Wand hängt wie in manchen Läden und Cafe ein jungaussehender schlanker Mann, ihr König. Petr erzählt über sein Land: daß Kasarnlak weniger die Stadt der Rosen als die der Rüstungsindustrie gewesen sei, Tausende hätten dort gegen viel Geld gearbeitet und möchten nun nichts anders machen, er sei nicht für Krieg, keiner in seiner Familie sei Kommunist gewesen. Er will uns seine Gegend zeigen, wir folgen ihm zum Auto durch eine Fabrikstraße, am Fabriktor stehen Frauen und warten auf den Bus, Kurzarbeit. Vor dem Einsteigen in einen grauen Peugeot schlägt er das Kreuz und berührt die silberen Sankt Christopherus-Medaille am Armaturenbrett.  Er fährt  nordwärts. Der höhergelegene Wald ist herbstlich rot und gelb eingefärbt, Armenien ähnlich, unter grauer scharfgratige Berglinie, ehe er uns nach Arbanassi fährt. Die Häuser sind von übereinander liegenden Granitplatten bedeckt, grau über den knalligblauesten Hauswänden, die ich jemals sah. Reiche Fernkaufleute, die ihre Handelstraßen nach West und Ost und Süd und Nord zogen, hätten im 17. Jahrhundert hier letzte Spuren hinterlassen, die früheren Überbleibsel seien die der Bojaren.

Einen Vetter, berühmten bulgarischen Dichter, will er vorstellen, Ardir Stojchevi. Das Schmiedeeisentor führt über Grasfilz mit Storchschnabel- blumen auf Steinhäuser mit Holzoberbauten zu, die einen quadratischen Hof umschließen, Walnussbaum in der Mitte. Wir folgen dem Petr über eine Außentreppe in Innenräume, der vordere ganz von ledernen Sitzpolstern ausgelegt, auf dem ein rundes Tablett aus geschlagenem Silber mit vielen Mokkatassen steht. Daherum hocken immer die Gäste, erklärt Petr. In der geweißten Decke blaue Ornamente, Wände und Türen aus Nussholz feingeschnitzt, in einigen Räumen Kachelöfen, von außen zu heizen, in der Küche eine Art Wabenherd mit drei Öffnungen. Petr erzählt mir auf meine Fragen unklare Geschichten, dann keucht ein fetter großer Mann die Treppe hoch, Falten und Säcke schlagen um das Kinn bis zu den haarigen Ohren, er erklärt alles ganz anders, die Jahrhunderte wirbeln nur so durcheinander, Bodchari höre ich. Manchmal redet er französisch dazwischen. Petr übersetzt meine Fragen und seine Antworten, wie es ihm gefällt; da hat die Fantasie von allen Seiten zu tun. Der hintere Raum ist intim und nur ein einziges Polster, in die Ecke gestellt eine Ikone zwischen blauen Hortensien.
Fort und weiter, durch die breite Hauptstraße ins offene Land, links und rechts kilometerweit halb abgeerntete Felder, die sich breit über Erdwellen schlagen, Leute bei der Ernte, nur zweimal mit Maschinen, sonst per Esel und Karre.  Überall gelblicher Mais: Kolben senkrecht auf Holzwagen gesteckt, oder längs samt Gestrüpp, Mais auf Dächer und Höfe geschüttet und an Wänden gebaumelt, auf einem Dorfweg liegt ein Maiskörnerhaufen, in offenen Schuppen hochaufgestapelt, auf freiem Platz in großem Blechtopf gesotten und aus der Hand gegessen. Tomatenernte und Paprikaernte kauern Menschen in Feldern. Frauen pflücken Hagebutten unter den Walnussbäumen, ernten Nüsse, die sich der Sonne entgegenhalten und dem zertretenden Schuh, um die süßen Kerne zu essen.