Prosa
>www. PLOWDIW.bulgaria.com< -ein Mail-Gespräch zwischen Plowdiw und Frankfurt am Main
Am braunen Fluss, trüb wie Linsensuppe und mit ekligen Abfällen statt Würsten darin, ist eine nackte Puppe geschwommen, aufgetaucht und verschwunden, hat wie ein Neugeborenes ausgesehen. Auf der Kaimauer saß ein Mädchen mit Papagei, zwischen Taille und Hals hat das grüne Vieh an ihrer violetten Häkelweste geklammert...
Frankfurt, 6. Mai 2002
Lieber Djoro Gergitzow, guten Morgen, Danke für die Einladung zum Symposion >Überleben der Sprache<. Danke für Ihr Buch, das Grundlage wird. Literatur werde sich um andere Wege bequemen, keineswegs schwinden, unsere Autoren können sich Sprachen und Personen einverleiben. Für Sie in Bulgaria gilt wie für mich in Germania, unsere Mutter- und Vater-Sprache umso genauer zu verdichten, damit sie sich in einigen hundert Jahren nicht zu schämen braucht, weil sie so öde ist wie all zu viele Bücher. Auf die Verlage als Zukunfts-Transporteure können wir uns nicht mehr verlassen. Die Frage nach den Wegen des poetischen Überlebens möchte ich Ihnen stellen, darüber sollten Sie oder wir einen Internet-Dialog installieren: WIE ÜBERLEBEN PROSA & Poesie, wenn der Verlag als klassischer Vermittler in die Gegenwart und auch in die Zukunft hinein entfällt? Auch früher feine Verlage mit ziselierten Stil-Experimenten oder auch schilderndem Erzählen, das Farbe und Form suggeriert, die sich und wie sie sich von Tag zu Tag ändern, wählen prompt das Altgängige als markgängig aus.
Sie schreiben von neuen Eliten ... Es schaffe Möglichkeiten für mehr Menschen, Zugang zu Denken und Informationen und neuen Literatur- und Kunst-Formen für alle? Ägyptischer Mittelpunkt der Welt. Mag sein. Bei Isis und Osiris Kreislaufdenken. Hinauf ins Universum. Mittelpunkt der Welt - da muss der einzelne die Umgebung leider - nach humaner Genesis nicht anders möglich - egozentristisch erfassen, das Blickfeld zu erweitern sollten sich Wissenschaftler und Schreiber wenigstens wünschen. Ein Quentchen bewirkt es. Gibt es allgemeine Angebote in WorldWideWeb, Unterhaltungen zu führen, so wie die unsere?
Ich bin gespannt, wie viel sich in den zehn Jahren geändert hat in Bulgarien. So lange ist das schon her! Wieder möchte ich literaturwissenschaftliche Arbeit mit Reisevergnügen verbinden und einige Tage durch Ihr Land reisen. Ich kam zum ersten Mal nach Bulgarien im Herbst 1992, zum Canetti-Symposium. Wollte vorher das gesegnete Land ansehen, Canettis Mutter hatte so recht damit, so elendig die von ihr geschilderten Rosenfelder inzwischen verholzt, die eigenen Familienhäuser der Stadt Rousse oder Růse oder Rustschuk - wie sagen Sie – bröckelnd, wenn nicht gar ganz in die Nesseln gefallen waren.
So, Maja hat also geheiratet, Zwillinge bekommen und ist Professor geworden? Sind die Zwillinge so schön wie sie? Maja Razbojnikova mit ihren großen vorgewölbten Ikonenaugen hatte uns am Flughafen von Sofia geduldig erwartet; wir hatten uns schon viel erzählt, weil der Währungsumtausch so zeitraubend war und mein Freund nach beunruhigend langer Zeit wie ein Hamster ausgestopft mit tausend kleinen schmutzigen Lewa-Scheinen herauskam; die Inflation galoppierte. Hundert Deutschmark waren mit fünfzehnhundert Lewa ein Monatslohn, aber es waren die alten kleinen Scheine der guten Zeiten, als man dafür das Zwanzigfache erhielt. Oder nichts.
Einige Wissenschaftler der Tagung kamen aus Plowdiw, oder Plovdiv – das ist unterschiedlich mit den Transkriptionen – was raten Sie? Vor der neuen Reise ein Jahrzehnt später möchte ich mich ein bisschen auskennen.
Vorher sind wir damals durch das Land gefahren, nach Růse gelangt, ich hatte Berichte für Zeitungen und eine Reiseerzählung für die Grazer Zeitschrift Lichtungen geschrieben 1992; aber solche trivialen Sachen, wie ich sie Ihnen nun schreibe, ausgelassen. Ganz sicher die dauernden Versuche des Begleiters Petr, mich zum umarmen und dergleichen mehr. Noch leidenschaftlicher hat er zum Glück von seiner Heimatstadt Plovdiv gesprochen, alle anderen Orte damit verglichen und fertiggemacht. Ein bulgarophiler Gast war ich, aber Petr St. ließ nichts neben den Rhodopen gelten, das Paradies stelle er sich so vor, hat er wirklich gesagt und dabei feurig gefunkelt. Während er uns herumfuhr.
Gebirgsketten im Norden und Süden. Norden Stara Planina. Altes Gebirge. Greis des Gebirges, sehr weit fort, noch nie durch eine so breite Ebene gefahren, die Straßen von Walnussbäumen bestanden, sehr groß und sehr alt,knorrige Stämme, tief herunter reichend Äste, gerollte Blätter und braune Früchte, Leute stehen auf Autos und schlagen mit Stangen Nüsse ab, essen sie und füllen sie in Säcke. Zwei Frauen in Kopftüchern fahren Säcke auf ihrem Eselswagen davon, der vorn herzförmig geschweift und mit roten Herzen bemalt ist. Und die gaben uns Nüsse und rieten wieder zu den Rhodopen. Was hat es damit auf sich?