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Prosa

Autor:
Mechthild Curtius
 

Prosa

>www. PLOWDIW.bulgaria.com< -ein Mail-Gespräch zwischen Plowdiw und Frankfurt am Main

Plowdiw,  27. Mai 2002.  
Guten Tag, Eliza, warum bringt mir dieser italienische Roman deinen Brief ins Gedächtnis? Damit bereite ich mich auf meine Reise nach Triest vor: Italo Svevo lese ich seit vorgestern. >Ein Mann wird älter<. Wer schreibt  >Eine Frau wird älter< ?  Wer kann es schreiben? Du. Willst jedoch vorerst gewiss Lustigeres finden. Er wird dir gefallen. Dass man sich in wichtigen Zeitabschnitten zurückerinnere, stimmt. Auch Svevo zweifelt am beabsichtigen Lebensentwurf. Der sei gefällige Dichtung, Wunschdenken die Legende vom Künstler. Wie weit hat man seine Vita entworfen, wie sehr ist man durch Epochengeschichte und Zufall hineingeschlittert? Italo Svevo weiß viel über Liebe, auch ihr Chaos, schildert die Frauen liebevoll, kann doch nicht aus seiner romanischen Männerwelthaut und misst mit zweierlei Maßstäben, er darf andere lieben, sie nicht. In der Ehe, Seite 157 (Senilità, 1957) humanisiere sich wegen des Erlaubten der Trieb. Richtige Beobachtungen macht Italo Svevo: >Wenn man sich über ein Frauenhaar beugt, dort ein Licht zu sehen vermeint, das gar nicht existiert.< Schön, stimmt. Aber doch schreibt er zehn Seiten später, dass er sie betrog, und er litt gar unter dem Gedanken, sie könne nach seinem Tod einen anderen so lieben wie jetzt ihn. Senilità, so ist es, nicht irgendwie, Hormone und Lebenserinnerungen drücken nächtlich im Kopf, der sich sowieso  zuviel vorstellt. Den präzisen Beobachtungen fällt Franz Kafka ins Wort: Aufmerksamkeit sei das menschlichste, wo Liebe nicht sein könne. Doch wo sie finster sind, wachsen Spinnen der Furcht.
Kriechen ins Netz, sollen in ihrem Fadenkreuz bleiben,  in diesem unserem Wörter-Netz haben sie nichts verloren.

Frankfurt, 28. Mai.
Guten Morgen, Djoro,  richtig bemerkt, es ist wirklich vier Uhr, wenn ich anfange zu schreiben. VOR TAU UND TAGE- BUCH habe ich es früher genannt, schreibe seit den vielen Film- und Lesereisen vor zwanzig Jahren. Taufte das ewige Tagebuch vor zehn Jahren um in >Des Roten Fadens Lüge<, weil ich feststellte, dass man viele Assoziationen weg-lügt.  Auch umdichtet. Ich hasse zwar das ungefiltert Auto-Biografische als stil-karg und fantasie-armselig, aber die  raffinierteste Verdichtung lässt sich umgekehrt  zum Wegrennen vor der Wirklichkeit missbrauchen. Zweitausend Seiten Tagebücher sind Materialiengrundlage, seit zwanzig Jahren meist während der Reisen in Hefte und Blöcke geschrieben, anschließend zu Hause in Maschinenschrift ausgearbeitet; in Graz hat mich Markus zum Computer genötigt. Gelegentlich wurden Partikel als Reiserzählung veröffentlicht in Zeitung, Zeitschrift, Anthologie – sind vor allem als Landschafts- und Ortszenen-Materialien in Erzählungen und Romane gewandert, Erinnerungsstütze, Formulierungs-Studie, Materialiengrundlage. Eine Person schreibt, wo sie geht und steht, wenn sie sich daran gewöhnt hat;  sie fixiert Beobachtungen mit den jeweils gängigen und zugänglichen Mitteln und Medien.

Über deinem Kapitel vom Spinnen-im-Inter-Netz bin ich eingeschlafen, Alptraum im bekannten Proteismus: Platz wird Bassin, Bassin wird Bett, Wassergekräusele zum gekrumpelten Seiden-Laken, Silberseen-Glanz sein Satinweiß. Die eigenen Spinnen mutieren zu schwarzen Taranteln und  fressen die fremden, unsere täglichen Bilder; druckerschwarz stinkend auf dem Papier und über Bildschirmen türmend, da ziehen die Bilder auf gläsernen glasigen Schirmen vorbei - selten schön wie gemalt - locus amoenus meist SchwarzinGrau. Allen Personen, die Kinder im Krieg waren, explodieren Bomben lebenslänglich in blauen Häusern  - implodiert Menschengemächt als Fetzen und setzt sich als Exkremente in aasige Augen in Köpfen, deren Hirnmasse ohnehin vor Furcht bebt. Gier -Gallert Geld-Gier GiftundGaben.  Microfon Horrovision. Microchips  Videoclips  Glosserlips  Realitystrips. Massenmörder bekennen in Todeszellen, wie sie morden, dass sie töten, dass Knaben mordbesessen Herzen essen. Die ganze Nation am Television. Mit Mann und Maus, mit Kind und Kegel, die Kleinsten lutschen lachend Lollipop, wenn peng peng einer umfällt, jauchzen sie Plop! Das tut nix, im Pistölchen ist nur Wasser, sie spielen nur, sie sind ja noch so klein, ihr Herz pumpt aufgeregt, ihr Hirn ist rein.
Den letzten Fernsehfilm haben wir für MDR über Erfurts Krämerbrücke gedreht, mit der Ponte Vecchio in Florenz konfrontiert.  Ende April im Erfurter Studio geschnitten.  

Plowdiw, 29. Mai.
Gute Nacht, Elisabeth, wir haben die Fernsehberichte gesehen. Bald werden wir uns zum erstenmal von Aug zu Auge sehen!  Am letzten Tag in Bulgarien liefen wir im Sonnenschein bei Minusgraden, in eigenartig trockener golden beleuchteter Kälte. Hell belichtet wirken die weit geöffneten Schlehenbüsche und Wildkirschenwipfel zwischen gelbem Grün, die Waldböden übersät von den weißen Sternen der Buschwindröschen, Bäche und Flüsse glitzern silbrig und schäumen schnell,  ein Bach rieselt durch das Grundstück  des Weinguts, wir laufen durch das blaue Tor, im Obstgarten mit Spalierbäumen und knorrigen Weinstöcken sind lange Tische voller Speisen und Weinen, es ist eine Hochzeitsfeier gewesen, die Gäste kamen aus mehreren Ländern, der Bräutigam hat überall Vettern und Cousinen.  Auch in  Frankfurt und Plowdiw.

 

aus: Mechthild Elisabeth Curtius & Mario Makiolka: Porentiefe Wasser-Fälle. Erzählungen, 2002.

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