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Prosa

Autor:
Mechthild Curtius
 

Prosa

>www. PLOWDIW.bulgaria.com< -ein Mail-Gespräch zwischen Plowdiw und Frankfurt am Main

Plowdiw, 13. Mai 2002   
Liebe Elisabeth,  Kennen Sie das Buch von Ellen Ullman, einer amerikanischen Informatikerin: >Close to the machine<. In Frankfurt, bei Suhrkamp, st 2949 - hat mir mein ehemaliger Lektor geschenkt.  Beim weiteren Lesen Ihres Briefes fällt mir das ein. Wenn Sie mein Buch so schätzen, wäre das eine Ergänzung aus amerikanischer Sicht einer Informatikerin. - Diese wiederholten Hinweise auf das Sinnen-Arme im Virtuellen. Sie selbst vermissen das Akustische, nennen unsere Briefe LLL - LautLos-Letters- die angelsächsche Sprech-Dominanz gleichzeitig nutzend und verspottend. Wir hatten uns ja bewusst entschieden, vorerst nur diesen Weg der >E-Mails> zu testen, kein Gesicht zu kennen, nicht einmal eine so vor Augen führende Stimme des Telefons zu benutzen. Immer mehr Milliarden Menschen existieren weltweit und mit ihnen wächst die autistische Einsamkeit der Internettenden in ihren gefängnisartigen Zellen.

Wird das Sehen und Spüren von Wind auf der Haut, von allen Dimensionen der Straßen, der Felder, der Personen stark verdorben durch ihre noch nicht einmal papieren platten, noch nicht einmal gemalten, nach Acryl stinkenden Bilder? Sind wir dermaßen vom Simuliert Virtuellen der Netz-genutzten Stunden dominiert, dass wir am Ende alles anders wahrnehmen müssen? Bilder, Texte, Töne, Filme - per Mouse-Klick  wie gewonnen, so zerronnen? Nicht einmal ein Alptraum? Aber doch. Zu meiner Verwunderung – denn ich bin Essayist und rätsele an Ihren HinterStirnFilmen herum – wie Sie das  Aufschreiben von Erzählungen nennen – haben Sie eigenartig intensiv aus der Ferne gewirkt. Ausgerechnet nach einem Entspannungsspaziergang den Fluss entlang ist mir solch ein Traum wiederfahren. Beide arbeiten wir mit Sigmund Freuds Beobachtungen, vielleicht hat er Recht:

>Am braunen Fluss, trüb wie Linsensuppe und mit ekligen Abfällen statt Würsten darin, ist eine nackte Puppe geschwommen, aufgetaucht und verschwunden, hat sie wie ein Neugeborenes ausgesehen. Auf der Kaimauer saß ein Mädchen mit einem Papagei,  zwischen Taille und Hals hat das grüne Vieh an ihrer violetten Häkelweste geklammert, die Krallen in den Wollmaschen, den Schnabel neben dem Ohr, hat leise vor sich hin gekeckert im Wohlgefühl einer schnurrenden Katze. Papageienfedern sind in ein weißes Klinikzimmer geflattert, eine magere Mutter hat einen Säugling im linken Arm dicht an sich gehalten, in der ausgestreckten rechten Hand noch einmal den gleichen Kopf mit nassschwarzen Härchen und geschlossenen Augen. Zwölf Stunden vorbei, nun tauschen wir aus, um die Sauerstoffzufuhr zu retten, sagte ein Arzt und nahm der Mutter erst das Köpfchen aus der Hand und dann das heile Kind, manipulierte am dünnen Hals, an einer silbernen Halterung und schraubte den Kopf ab, streckte die Hand und setzte den anderen ein .....<

Nein.. weiter bin ich nicht gekommen, hochgeschreckt, aufgewacht. Ich fürchte, Ihre Horrorgeschichten stecken mich an. Auf Ihre auf den ersten suggerierten Blick lieblichen Landschaften fällt ohnehin keiner von meinen Kollegen herein, das sind alles Monster-Familien, Familienbande. Familiengespenster tanzen zu lassen, frei nach George Bernhard Shaw. Bei meinem Theorie-Leisten bleib ich gern Schuster; ihr Dichter müsst solche Mordgeschichten erst einmal durch das Hirn rennen lassen – welche Qual, nein danke. Das kann ich nicht. Dabei hab ich das Blutige richtig gerochen, Knacken des Kinderhalses gehört und ... wirklich zum Greifen nahe ist das gewesen. Und mit diesem angeblich toten Dell-Ding schreibe ich es Dir, liebe Eliza.

Wird Greifen und Befingern wirklich immer unwichtiger? Wie tasten die Fingerkuppen die Tastatur, ohne an Fingern und Händen und Armen zu baumeln? Wir dürfen schreiben, bis die Schultern entzündet quietschen, soeben auch. Code-Spielen - Spielball werden, wenn nicht.

Weiter im Buchtext: Das Kapitel von dem Talkshow-Symposion?  Bei allem Lachen über WissenschaftsWortFechter - Talk wie Talg - es ist ja nicht das Medium, das die Sprache verschlägt - die meisten Menschen – Bauern, Handwerker, Arbeiter - hatten hand-festere leiblichere Ausdrucks-Weisen als Sprechen und Schreiben schon immer gehabt - warum sollen wir auch alle das Gleiche machen?  Weil sie sich in dieses Medium trauen müssen, das zum ‚Sprechen’ auf hingedruckte Wörter gestellt ist, müssen sie dürfig wirken, von Aug zu Auge sind ihre Gebärden, Laute, von Mimik und Hand und Fuß mehr als unterstützt.  Wissenschaftler sind nicht nur überheblich, sondern so dumm, wie sie die anderen abkanzeln.

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