Antarktis-Hirnwäsche

Prosa

Autor:
Mechthild Curtius
 

Prosa

Antarktis-Hirnwäsche - Der Steinböke-Mord im Drosteland

Mein Ein und Alles ist meine Tochter Lisa gewesen. Wir drei eine glückliche Familie, Tochter Lisa, Gattin und Mutter Hedda und ich, Vater und Gatte. Beruf Naturwissenschaftler, spezialisiert , doch interdisziplinär. Geheimwissenschaft. Genetik. Hirnchirurgie. Und wie hätte gerade ich es bewirken sollen, dass das Kind Lisa den Hirntod erlitt, eindeutig durch Prügel, so stark, dass Teile der rechten Hirnhälfte in die Linke eingedrungen sind, hat der Gerichtsmediziner gesagt und belegt. Er ist ein Gott für mich, hat meine Frau Hedda vor Gericht ausgesagt über mich. Ihre Gehirn ungeschädigt, da sehen Sie es, nur das Nasenbein gebrochen so oft, dass sie nicht mehr durch die Nase hat atmen können. Mit offenem Mund hat sie geatmet, abstoßend war das, da habe ich nicht an mich halten können, und alsbald hat Hedda nicht mehr essen können, sich eben durch einen Strohhalm ernährt. Die Hauptsache ist, wir bleiben zusammen in Liebe. Liebe ist Leiden. (Schöne Liebe das.)

Was wollen Sie damit sagen? Schon wieder? Sie! Nun, und wenn ich sie habe strafen müssen aus Liebe, nur aus Liebe hat sie es auf sich genommen, zu meinen Füßen auf dem Boden zu schlafen, vergangen hat sie sich und mir zuwidergehandelt, sich doch zu mir gelegt, während ich in tiefem Schlaf lag, auf dem Boden sei es so kalt. Da habe ich sie züchtigen müssen, und sie in die Wanne mit Eiswasser zu setzen bot sich an, kenne ich ihre Angst vor grimmiger Kälte, weil sie sich als Kind auf der Flucht die Füße erfror, in Sommerschuhen aufgebrochen zu hastig und in den Viehwagen ungeheizt und der Winter so kalt im heutigen Polen. Wissen Sie, zu weit östlich ist das, sibirische Kälte in damaligem Winter. Meinen Sie, der Anblick wäre schön gewesen, ihre Füße ragend aus der Wanne, so verkrüppelt diese erfrorenen Extremitäten? Keine Fußerotik ist das. Als sie sie gefunden hätten, seien nicht nur die Füße sondern auch die Beine voll Wunden gewesen. Waren sie das? Woher soll ich das wissen? (Angeklagter, erinnern Sie sich!) Schön ist unser Heim im fruchtbaren Lande. Wir fahren zu dritt die schnurgerade Straße entlang, Hedda tritt hinten, ich vorn, und vor mir thront im Strohkorb das Kind. Wir fahren, wir fahren, treten im Gleichschritt, tandem-tandem, nichts ist schöner, Sommerland zu genießen als Tandemfahrradfahren zu Zweit, es sei denn zu Dritt. Wir fahren und atmen den Dunst des angewärmten Getreides. Der Staub des Häcksels liegt wie ein Watteteppich über Westfalen. Die Bauern sind bei der Kornernte; als träge Flecken schieben sich Schatten der Wolken über die ocker, gelb und braun schillernden Felder. Gedellt wie ein Zinnteller ist das Land. Sein Rand sind die Höhenzüge des Teutoburger Waldes; Tellergrund ist das westfälische Flachland. Bald bilden bizarre Wolken Lichtkringel, deren Schatten wandern über die Felder.

Es kommt die Stunde, da wandelt das Licht westfälisches in südländisches Land: Pappeln stehen wie Zypressen, nur silbern statt schwarz, flacher die Hügel, verhaltener die Farben. Fahler der Himmel und doch trau ich mich, über sein Grau silbern zu sagen und statt Gelb des Getreides sage ich golden. Die Wiesenraine blühen, die Ökologen bekriegen sich vor unsern Ohren mit den Bauern, weil weiße Kamille, blaue Kornblume, violette Kornrade und roter Klatschmohn samt seinen Läusen weit in die Frucht hinein wachsen. Wilder Rittersporn lila und Winden weisstrichterig und violette Wicken wickeln sich um die Kornhalme und umwuchern die Ähren. Behindern die Ernte, poltert der Bauer. Zieht dann ackernd davon, bis sein Mähdrescher vor dem geraden Horizont steht; still ist es wieder, es singt nur die Lerche, die über dem Feld vibrierend steht. Lisa, das Mädchen mit den zwei Zöpfen in der Farbe der Ähren, will vom Fahrrad herunter, in den Schatten, raus aus dem Fahrtwind. Die silberglattstämmigen Buchen stehen über dem blumenpflückenden Kind, das läuft dann seitwärts in die Weide mit den Pferden, vor der grauen Straße mit dem Abflussgraben steht das Steinkreuz mit schmerzkrummem Heiland.