Essays
Schreibende Paare - für jedes Paar ein Kunstwerk eigener Art, die richtige Mischung zwischen Nähe und Distanz zu finden. Ulrike Draesner nähert sich dem Thema.
Mag sein, dass die Zukunft so aussieht: wirklich erfolgreiche Bücher werden keine Bücher mehr sein, sondern „Inhalte“, die simultan auf verschiedenen Medienplattformen laufen, von Spezialisten jeweils zur Lese-, Film-, Game- und Produktstory verarbeitet. Selbstverständlich sind hier nur mehr Teams am Werk, die Notwendigkeit vielfältigster Ideen und der geforderte Dauerausstoß lassen nichts anderes zu. Irgendjemand oder –etwas speist ein Plot- und Eigenschaftsrepertoire ein, das ständig variiert und weiterentwickelt wird. Auch hier geht sinnvollerweise ein Team ans Werk. Dem Ewigkeitsanspruch der Figuren und dem riesigen lebenden Gegenüber des Produktes in der 24Stunden-Welt des Netzes könnte es eher gewachsen sein als ein Einzelner.
Noch aber stimmt das Klischee: das Verfassen eines Romans, einer Erzählung oder eines Gedichtes ist im Kern ein einsames Geschäft. Zwar gibt es allenthalben Schreibberatung, einschlägige Seminare und professionelles Coaching blühen - leicht kann man sich darin verlieren, mit anderen zu kommunizieren. Am Ende aber bleibt das literarische Schreiben, wie ich es kenne, ein „innerer Verkehr“. Nicht einsam (weil auf andere bezogen), aber etwas, das ich allein mit mir, dem Medium „Gedicht“ oder „Roman“ und der Sprache für den erfindend zu benennenden „Inhalt“ ausmache. Wir drei, altvertraut, unter uns.
Und dann ist da unversehens ein Liebes- und Lebenspartner, der das Gleiche, für sich, unternimmt? Ist da plötzlich einer oder eine, die sich zurückzieht, die Tür hinter sich schließt und ebenso wenig wie man selbst über die entstehende Arbeit reden will? Oder einer, der lustvoll all das praktiziert, was man selbst überhaupt nicht kann: gnadenlos redet er über den kleinsten Schreibfortschritt, spuckt ungehemmt unausgegorene Gedanken aus, will neueste Produkte vorlesen, während man überhaupt keinen Kopf dafür hat, weil in diesem Kopf bekanntlich (müsste der andere das nicht wissen! Nein, verstehen?) die eigenen Figuren und Sprachstücke, die eigenen unausgegorenen Ideen und Anspannungen des Erfindens ihr unwesenhaftes Wesen treiben?
So aber beginnt sie erst, die Parallelität. Das Zwischenweltenleben zu zweit.
Wer schreibt, entwirft imaginäre Räume nicht nur, er lebt auch darin. Mein Partner sagt manchmal, ich sei wieder mit den Schreibaugen aus dem Arbeitszimmer gekommen! Noch eine Stunden später könne man in meinen Augen meine Figuren sich bewegen sehen, nicht aber mich. Ich weiß, was er meint: ich brauche Zeit, um wieder in der Wirklichkeit anzukommen, die ich mit wirklichen Menschen, nicht Figuren, teile. Nur meinem Kind gelingt es, mich gleich zu sich hinüberzubeamen.
Wie aber ist das, wenn nicht nur einer „so ist“ (zumindest ab und an, und jedenfalls immer wieder, manchmal vielleicht auch wochenlang), sondern beide? Wunderbar: da mag die Abwesenheit des einen dem anderen, der eigenen Abwesenheit wegen, gar nicht auffallen! Kein Problem – aber auch keine Partnerschaft. Oder man synchronisiert sich: taucht gemeinsam ins
jeweilige Schreiben ein, und wieder daraus hervor. Hier folgt der Schriftzughappy end– was für ein Film!
Die Schreiblebenswirklichkeit sieht anders aus. Wie umgehen mit der Parallelität der Anstrengungen und Unsicherheiten? Wie umgehen damit, was man „Konkurrenz“ nennen könnte: der starken Spiegelung und Vergleichbarkeit auch im Beruflichen, die durch das doppelte Schreiben in den Privaträumen mit Einzug hält? Das Vergleichen kann nicht ausbleiben, fruchtbar oder zerstörerisch. Es fällt einem schließlich auf, wenn ständig Fernsehteams durch die Wohnung trampeln…. an einem vorbei. Oder wenn der andere Dinge schreibt, die man in keiner Weise nachvollziehen kann. Wenn sie einem Angst machen. Wenn man sich unversehens darin wiederfindet.
Schon wartet das nächste Klischee: Wie immer kommt es darauf an, ob das Paar die Parallelität konstruktiv oder destruktiv fasst. Das gilt selbstverständlich für alle, die sich lieben und den Beruf teilen. Doch beim Schreiben kommt etwas hinzu; ich glaube, es verbirgt sich in dem unscheinbaren, aber wenig harmlosen Wort „teilen“.
Der Unwägbarkeiten sind viele, und oft zu viele, im Spiel. Wir sprechen zumindest fürs Romanschreiben von langen Zeiträumen: Zeiten der Unsicherheit, der konzentrierten Arbeit, der Anstrengungen und auch des Kampfes um eine oder alle Figuren, um Konstruktion, Sprache und Form. Da mag es manchmal schwer sein für den einen Partner, noch zu wissen, mit wem er es zu tun hat - und andersherum. Wenn das sich potenziert, wenn zwei „nur“ schreiben, keiner ein festes Einkommen hat, man parallel ständig zuhause sitzt – wenn man sich vorstellt, wie da jeder eindringlich in Träumen, Gedanken und Arbeit Räume besiedelt, die den anderen nicht aussperren, aber auch nicht unbedingt enthalten, oder - schwieriger noch -, in seltsamen Verzerrungen und vielleicht für einen selbst als Schreibenden undurchschaubaren Verdrehungen eben doch enthalten, ahnt man allmählich, was für eine Spiegelhöhle entstehen mag. Und welches Fingerspitzengefühl in der Partnerschaft notwendig wird, damit die Parallelität so nah oder weit geführt werden kann, dass sie beiden passt. Nun ist es für jedes Paar ein Kunstwerk eigener Art, die richtigen Mischungen zwischen Nähe und Distanz zu finden – allemal, da sie sich gern immer wieder ändern. Doch handelt ein Nichtschreibpaar wenigstens nur mit den vielfältigen Wirklichkeiten der realen Welt und all ihren Interpretationen, Spiegelungen, Wahrnehmungen, Wunschbauten und Beziehungstaten. Bei zwei Schreibenden aber gibt es auf jeder Seite eine Extrawelt hinzu.
Es öffnete sich die Tür und es kam, gut im Saft, an den Seiten üppig gerundet, fußlos mit der ganzen Unterseite sich vorschiebend der grüne Drache ins Zimmer herein. Formelle Begrüßung. Ich bat ihn völlig einzutreten. Er bedauerte dies nicht tun zu können, da er zu lang sei. Die Tür musste also offen bleiben, was recht peinlich war. Er lächelte halb verlegen, halb tückisch und begann:
Durch Deine Sehnsucht herangezogen, schiebe ich mich von weither heran, bin unten schon ganz wundgescheuert. Aber ich tue es gerne. Gerne komme ich, gerne biete ich mich Dir an.
Franz Kafka, Kritische Ausgabe. Nachgelassene Schriften,Fragmente II, (Schillemeit, New York 1992), S. 547f.