Gespräch mit dem Saurier

Schreibende Paare

Autoren:
Sarah Kirsch, Rainer Kirsch
Besprechung:
André Schinkel
 

Schreibende Paare

ZUM LAUNCH VON NÄHEKURS - Schreibende Paare. Das Jüngste Gericht wird abgesagt. Über Sarah und Rainer Kirschs gemeinsames Debüt von 1965.

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„Gespräch mit dem Saurier“ ist wie gesagt noch nicht das Ereignis, das spätere Bücher von Sarah Kirsch bieten sollten, die große Dichterin schlummert noch in den Talentproben dieses Bandes – der vielgerühmte ‚Sarah-Sound’ ist hier überdeckt von einiger zaubrischer Verfusseltheit, mancher in späteren Jahren so viel treffsicherer gesetzten Pointe.
Gleichwohl scheint die Pointiertheit als typischer Wesensausdruck dieses Sprechens von Anfang an auch in die Sprache gelegt worden zu sein – eine gewisse Frechheit und melancholische Form der Verschmitztheit ist diesen frühen ‚Gesprächen’ bereits eingelagert. Ja, denn Kommunikation wird von Anbeginn gesucht, dem fahrigen Geliebten wird in einer Weise gedroht, dass man feixen mag und einem das Feixen beim dritten Feixansatz dann doch im Halse steckenbleibt. Ein ungetreuer, ein wankelnder Geliebter, wie wir ihn in seinem abwesenden Aggregatzustand in den noch ausstehenden Gedichten von Sarah Kirsch schlagend vorgeführt bekommen, möchte man schon nicht im Angesicht der jungen Kirsch gewesen sein:

Du willst jetzt gehen?
Das sag ich dem Mond!
Da hat sich der Mond
im Großen Wagen verladen,
der fühlt mit mir, weißzahnig
rollt er hinter dir her!

Die Klinke drückst du?
Ich sag es dem Wind!
Er schminkt dich
    mit Ruß und Regen,
peitscht dich mit Hagelkörmern,
glasmurmelgroß.

Du mußt jetzt fort?
Gut, ich sag es keinem.
Ich werde ohne Tränen
und Träume schlafen;
nichts hindert dich.

Und behaupte keiner, der noch Sensoren besitzt in dieser stumpfherzigen Welt, die letzte Drohung sei die geringste, weil sie so seltsam und still scheint. Man möchte nicht ohne Not in den Bann des Fluchs geraten, in dem die Frau sich kühl abkehrt … eine Kühle, die den Männern in ihrer eitlen Zuneigungsgier wie unbegreiflich vorkommt.  Jenen gefällt wohl eher ein zuckriges Zubrot wie das wunderliche, naive Gekicher des ersten Textes im Band:

Guten Tag, Lieber!
Willst du
nicht bei mir bleiben?
Ich bin schön
und kann lachen.

Wie einfach, wie bestechend. Wer mag das nicht hörn, auch wenn er erst, nach Kamm und Katze, die dritte Wahl für die Sprecherin ist. Über die Preisung der Dusche und den Gebrauch des Pecser Silvaners gegen Liebeskummer führt uns die Fahrt zu den ersten Dinggedichten, die etwas vom Sound dieser Dichterin ahnen lassen: jenes feine Gespinst aus Melancholia und Übermut. Die Biologin Kirsch, mit den Dingen der Natur tief vertraut, errichtet sich so für und für eine Sicherheit in der Unwägbarkeit der poetischen Äcker – „Am Mittag liegt das Meer am Strand“, „Aster, Rücklicht des Sommers“, das durch sein offenes (nur die Zeilen 1 und 3 jeder Strophe reimen sich) Korsett forsch galoppierende „Schnelles Feuer“ sprechen davon. Es sind alles Liebesgedichte, die ein frühes Glänzchen tragen … geführt bis zum Versöhnungsgedicht im Boot: „die Liebe ist im Lote, / seit heute wieder frisch.“
Letztlich müssen die Krebse in den Märtyrertod gehn, weil sie vergaßen, das Boots-Glück zu besingen. Eine redliche Aufgabe für Krebse, will man meinen. Die Liebe, sie ist grausam und schön … und unberechenbar, wie man weiß. Überhaupt ist die Reihe der Tiergedichte, die damit eröffnet wird, der wohl schwächste Part des Buchs – hier kommen Ameisen, Kängurus und Läuse zur Sprache, die man besser nicht kennt. Aber dann: „Die Katzen gehen wie Kühe auf den Wegen“ – da ist er plötzlich, der Klang, den man in „Schwingrasen“ oder in den Gedichten der ‚mittleren Kirsch’ vernimmt: der zu Herzklappern führt und zum „Noah-Nemo“-Raunen, in dem der Captain, immerhin, nach Beschluss der Logbücher sich in die große Hölderlin-Ausgabe versenkt. Und abschließend „Kleine Adresse“, das für die Verhältnisse nicht ganz ungewagt scheint; ein Sehnsuchts-, Aufbegehrens-Gedicht mit dem Versprechen, sich einmal nur umzusehn in den Straßen von New York, mit Stöckelschuhen, den Osten nicht zu vergessen, und zurückzukehrn:

    Ach, warum bin ich Dichter, ackre den Wagen
    der Schreibmaschine übers kleine Papierfeld, fahr Taxi
    und koche mit Wasser?
    Wär ich Ardenne, Gewichtheber, Fluß oder Eisenbahn –
    fortgehen möcht ich, sehn und
    wiederkommen.

Neben dem Bekenntnis zur Hoffnung ist es seit jeher das Aufbegehren, der Wille zum Widerspruch, der die Dichter umtreibt. Ein frühes, wenn auch grummelndes Bekenntnis zu einem Beruf, dessen Ansehen selbst im Raunen besteht, und im Geheimnis; von den Ökonomen verlacht, den Empfänglichen bewundert, oft mehr des Mutes wegen, sich ihm auszusetzen. In der DDR war Sarah Kirsch etwa ab 1967 der hohe Rang ihrer Dichtkunst bescheinigt, ihr Ruhm kulminiert in den „Zaubersprüchen“ und den beiden Prosabänden 1973, und er fällt zusammen, sobald die Mutprobe überspannt ist. Am Anfang ihres Werdegangs holpert noch mancher Vers wie ein Traktor durchs Gelände … der Keim aber ist gelegt. Wir werden der Frau als „Erlkönigs Tochter“, im Zustand der „Schwanenliebe“ noch einmal begegnen. War es Rainer Kirsch oder höhere Fügung, die das erzwang: wir neigen uns dankbar.


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Der männliche Part des „Gesprächs“ kommt gesetzter daher, so, als wäre es ihm von Anfang an angelegen, einen voll ausgebildeten Dichter vorzuweisen. Rainer Kirsch, der in den Siebzigern und Achtzigern mit haargenauen Essays („Das Wort und seine Strahlung“; „Ordnung im Spiegel“) Maßstäbe setzte, ist seit jeher der Träger eines kühlen, geradezu aufklärerischen Parlandos. Darin ähnelt er einem anderen großen Einzelgänger der deutschsprachigen Dichtung: Peter Hacks. Der wohlgewählte Anspruch tritt uns im ersten Text der Rainer-Kirsch-Abteilung im „Gespräch“ in Form als Kätzchen entgegen, sein Hangeln wird zur Metapher für die Wünsche des Dichters:

Benjamin, der Sprößling unsrer Katze,
Sieben Wochen alt und noch sehr klein,
Klettert schon an meinem Hosenbein,
Krallt sich in die Haut mit jeder Tatze.

Nur weil er so eifrig heut am Werk war,
Nehm ich Benjamin in dies Gedicht;
Hätt er keine Krallen, tät ich’s nicht,
Denn er machte sich dann nicht bemerkbar.

Winzig klein ist für den Konsumenten
Ein Gedicht, wenn er’s im Buche liest;
Und damit er’s nicht so rasch vergißt
Und sich zwingt, Gedanken dran zu wenden,

Möcht ich, daß sie länger in ihm leben,
Allen Versen kleine Krallen geben.

Neben der virtuosen Beherrschung der Form ist es die Denkbewegung, die zu faszinieren versteht. Das Denk-Sonett beherrscht Kirsch bis heute meisterlich – in ihm bedenkt Petrarca, bei ihm untergekommen, seinen Husten … anders als bei den gewöhnlichen Menschen ist er (so nachzulesen in Kirschs Sammlung kleiner Schriften „Die Talare der Gottesgelehrten“ von 1999) sogar jambisch angelegt: bei aller Quälerei möglicherweise ein Zeichen der Auserwähltheit. Fußfest, streitbar tritt der Autor mit seinem ersten Gedicht auf; und er behält diesen Ton, den Widrigkeiten der Zeit zum Trotz, über sein Debüt bei. Diesem Anfang folgen die Sichtung der Umgebung und die namengebende Aussprache mit dem verblichenen Sauropsiden-Tier. Sie hört sich zunächst neckisch an und wunderlich, kippt aber mehr und mehr um in Agitation, dass der Mensch das Amt des Megalomanen übernommen hätte und durch sein Schalten und Walten dem ‚paläozoischen Fleischberg, / Riesenhaft, watschelnd’ über wäre: „Grinst du, vergleichst? Sackgassen wärn wir wie du, / Fehlkalkulationen der Natur, / Ast überm Nichts hängend, / Zum Brechen bestimmt von der eigenen Frucht:“ das Visionäre, das uns heute bewegt – in den Sechzigern undenkbar, nicht mit dem Fortschritt die Umgestaltung der ganzen Welt zu bedenken. Nun ja, sie hat zu der Situation, in der wir uns befinden, geführt; sorgt dafür, dass der Aralsee zur Salzwüste gerät; ein zweistelliger Prozentsatz der Landwirbeltiere zum Aussterben verdammt ist … aus häkelnden Heinis in den Parlamenten kalte Rechner wurden: wie je in den Parlamenten kalte Rechner gefragt sind … Wir wollen es Rainer Kirsch, seinem Traum von einer besseren Welt (in der wir die Schimpansen nicht mehr damit beschämen, wie eine Horde wild gewordener Schimpansen zu sein) zuzählen:

    Geirrt.
    Unser Säbelzahntiger
Sitzt in uns selbst. Wir
Brechen den Panzer auf
(Lach nur: biogenetische Grundregel, aber:
Nichts wiederholt sich!),
Brechen ihn auf und lachen und weinen
Und verstehn (ja, Großhirnzellen, mein Lieber!),
Entfesseln die Hände einander, baun
Städte für uns, für lebendige Kinder!
Zuck nur! Was heißt überleben? Wir
Bevölkern das All,
Machen uns selbst,
Werden Menschen,
Wir sind!

Wo eine Überzeugung ist, ist eine Überzeugung. Sie wird, selbst im „Gespräch mit dem Saurier“ schon, mehrfach gebrochen und wieder aufgenommen. In den beiden Langtexten am Ende des Buches etwa, wird das Kommende gefeiert, in der Schluss-Kantate „Wir freun uns auf den Wind vor morgen“. Es ist anders gekommen, das Blut ist kühl wie das der Saurier, wir, über die Rechenschieber, die digitalen, der Neuzeit gebeugt …
Allerdings – kaum ein ernsthaftes Liebesgedicht findet sich hier! Wo es doch um die Sichtung des Gemeinsamen auf den Schultern schreibender Paare gehen soll, eine Ungeheuerlichkeit. Allenfalls die traurige Feststellung, dass der sehr Weise über seinem Weise-Sein die Liebe vergaß, sticht ins Auge. Weil sie nicht in sein Konzept von Erfolg, Betulichkeit, Sicherheit passt. Allein, die Offerten, die Drohungen der Dichterin im Voraus – sie bleiben ohne Antwort. Moment … Wir korrigieren uns. Wir haben nicht aufgepasst. Naja, zwei sind es doch, die dem Beweis der Kühle entgegenstehen. Und ein halbes, weil eher staatstragendes. Quasi-Liebesgedichte.
So, so. Denn sie reden zumeist auch von etwas anderem – etwa, wie die Jazz-Posaune Kommas und Doppelpunkte setzt, dass Zeit ist, sich über die kühle, leuchtende Haut der Geliebten zu wundern. Wie sich die Welt im Blick auf den Hals der Geliebten verhält, an der der Geliebte in Form einer Linsenkette hängt und das Gewisper der anderen sich mit der Verwertbarkeit der Hülsenfrüchte in der Suppe befasst … „Jazz Me Blues“, „Beobachtung von deinem Hals aus“ und die kleine Epopöe „Das jüngste Gericht“ – es sind Gedichte, die einen Bericht über die Leidenschaften ihres Verfassers zulassen, auf die Anwürfe der Geliebten („nichts hindert dich“) aber gehen sie nicht ein. Ihre Protagonisten sind eher Mittel zum Zweck, etwas über die Welt zu ergründen: die Leute, die die Selbstaufgabe des Geliebten nicht schätzen, die Tiefe des Jazz, der der Generation als Aufbegehr, Ausdruck von Lebensform (vgl. ein ganz ähnliches Poem bei Volker Braun) dient und wie nebenbei, die Schönheit des Wesens beweisen, das man zur Session mitgebracht hat …
Am schönsten, auch wenn ein Liebespaar lediglich als auslösendes Moment dient, gelingt der Spagat aus Ausblick, Gefasstheit und der Einforderung von Kritik (die die Besserung der Zustände erwirkt) in „Das jüngste Gericht“: der Mund von Gott, vom Chor der Impotenten befeuert, bleibt stehn, mumifiziert; und die Hosianna-Rufer wie die Teufel zerfallen zu Asche, während der Mann sich um die gedemütigte Muttergottes bemüht und an die Welt telegrafiert:

    DAS JÜNGSTE GERICHT
IST VERHINDERT WEGEN AUSFALLS
VON JUSTIZPERSONAL.
WER WILL, KANN JETZT WEITERSCHLAFEN.

Und am nächsten Tag findet ein Fest statt, zu dem alle Verliebte und Sünder eingeladen werden, und bis es soweit kommt, ist das Paar „guter Dinge“. Man mag sich dieser Art Agitation schwer entziehen, auch wenn man weiß, das Fest ist auch wieder vom Heer der Impotenten und Schnüffler durchsetzt. Kunst und Dichtung sind eben, wie der bekennende Kirsch-Verehrer Felix Bartels seinem Blog diktiert, Räume, in denen die Wünsche der Menschen, anders als in der realen Realität, ein Zuhause haben dürfen wie je.