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Schreibende Paare
ZUM LAUNCH VON NÄHEKURS - Schreibende Paare. Das Jüngste Gericht wird abgesagt. Über Sarah und Rainer Kirschs gemeinsames Debüt von 1965.
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Die Literaturgeschichte ist nicht völlig arm an Künstlerpaaren – oft beflügelt den einen Geist die andere Gepoltheit des Gegenübers … durch den Umstand, dass das ungestüme Aggregat der Liebe (sei es, weil sie frisch ist oder eben aus dem Abyss der Obsession kommt) bereits als eine Art Geisteskrankheit gesehn werden darf, ist die Summierung zweier Obsessionen nicht selten ein gewagtes Spiel. Außergewöhnlich erscheint es, dass sich in einem gemeinsamen Projekt diese Obsession gar nicht so ausdrückt, wie man sich das gemeinhin erhofft, als abschreckendes Beispiel oder Beweis für die Doublierung des Irrationalen. Das „Gespräch mit dem Saurier“, mit dem zwei bedeutende Lyriker ihren Einstand zunächst in die DDR-Literatur feierten, ist so ein gezügeltes Buch, es enthält neben den ersten essentiellen Texten auf der Seite Rainer Kirschs zudem noch so einiges an Unsicherem und nicht Fertiggedachten. Dass mit Sarah Kirsch eine der berühmtesten und meistgelesenen deutschsprachigen Dichterinnen der Gegenwart ihren Auftakt gab, angesichts deren „Zaubersprüche“ selbst der sonst unerbittliche Peter Hacks später ins Schwärmen geraten sollte: es ist dem Buch im ersten Teil nur bei einiger Aufmerksamkeit anzumerken. Die Autorin hat denn aus dem „Gespräch“ keinen einzigen Text in ihre gesammelten Werke aufgenommen – während einige der Sonette, die „Brötchen“-Elegie durchaus bis heute zu Rainer Kirschs Klassikern gezählt werden dürfen.
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Sarah und Rainer Kirsch waren von 1960 bis 1968 verheiratet. Sie hatte bereits in den Fünfzigern das Studium der Biologie in Halle aufgenommen, er war mit umfänglichen philosophischen Studien in Jena und eben Halle befasst. 1958 lernen sie sich kennen, ihre Beziehung hält zehn Jahre … das Kind, das Sarah 1969 gebiert, ist der Sohn von Karl Mickel. Da ist „Landaufenthalt“, ihr erster eigener Band schon erschienen, der dreifache Paukenschlag mit zwei Bänden Prosa und den legendären „Zaubersprüchen“ 1973 steht noch aus. Die Legende erzählt, dass Rainer Kirsch seine Frau anfänglich einschloß und sie so zum Schreiben mit mehr oder minder zärtlicher Attitüde zwang. Man muß ihm heute dafür dankbar sein – ihm, dessen Werk heute nur noch einer kleinen Schar Eingeweihter vertraut ist und der im „Gespräch mit dem Saurier“ gleich in dem ihm eigenen Ton auftritt. Der gebürtige Döbelner Kirsch lebt heute zurückgezogen in Berlin-Marzahn, zu seinem 70. Geburtstag 2004 erschien eine vierbändige Ausgabe seines Werks. Eine zweite, ebenfalls vierteilige Abteilung mit seinen Nachdichtungen und Stückadaptionen steht nach wie vor aus. Sarah Kirsch, die aus dem Südharz stammt, residiert, mit Petrarca-Preis und Büchner-Preis dekoriert wie nur wenige Lyriker hierzulande, ebenfalls in trauter Stille im Dithmarschener Exil. In den letzten Jahren hat sie vornehmlich Prosa publiziert, der letzte eigenständige Gedichtband, „Schwanenliebe“, liegt bereits zehn Jahre zurück. In einigen ihrer Miniaturensammlungen spielt Halle, insbesondere der Stadtgottesacker und die Gegend um das archäologische Landemuseum, eine kleine Rolle. Die Stadt ihres Studiums wie auch den Ort ihrer Geburt, Limlingerode, hat sie erst lange nach der Wende besucht.
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Unser Buch – bezeichnenderweise heißt es … wenn auch geschichtlich nicht ganz korrekt … „Gespräch mit dem Saurier“ – führt uns die Bronzezeit einer literarischen Erhebung, die man später unter dem Begriff der ‚Sächsischen Dichterschule’ zu fassen, in eins zu bringen suchte.
Anfang, spätestens Mitte der sechziger Jahre kam es in der jungen Lyrikszene der DDR zu einer ganz und gar neuen wie eigentümlichen Konzentration von Talenten, die sich, unter Fürsprache von Stephan Hermlin und vor allem durch die Förderung ihres Nestors in Leipzig, Georg Maurer, aufmachte, das Schöne mit dem Nützlichen zu binden. Dabei durchaus unerschrocken, trieb die erste Generation dieser Dichter eine (nach Richard Pietraß) „gesellende Hoffnung“, das im Sozialismus in Angriff Genommene müsse nur verstanden werden und durch Kritik in den richtigen Umlauf geraten können.
Viele der Vertreter und Anrainer dieser beileibe nicht nur aus dem Sachsenland stammenden Schule gerieten im Lauf der Jahre selbst in den Fokus staatlicher Sicherheitsbemühungen, so etwa Karl Mickel und eben Rainer Kirsch. Sarah, die zu den ersten zählte, die gegen die Biermann-Ausweisung 1976 petitierten, musste 1977 selbst die Republik verlassen. Ihr weiteres Werk wurde innerhalb der DDR-Grenzen mit Schweigen belegt bis 1989.
Neben Leipzig und Dresden ist als wichtiger Ort der Schule Halle anzusehen: hier lebten mit Elke Erb, Heinz Czechowski, Sarah und Rainer Kirsch einige ihrer bedeutendsten Vertreter. Vielleicht ist es von daher besser, von einer ‚Mitteldeutschen Schule’ zu sprechen, zumal die Stadt Halle schon lange den Anschluss an Sachsen verloren hatte … der in ihr angesiedelte Mitteldeutsche Verlag als DDR-Hausverlag von Mickel und Volker Braun, später Thomas Rosenlöcher und Kerstin Hensel eine wesentliche Rolle in der Öffentlichkeit der sich lose formierenden Gruppe spielte.
Heute kann man kaum noch von einer existierenden ‚Schule’ sprechen, das DLL in Leipzig hat die dem Hause innewohnende Tradition nicht gewahrt; und doch hat sie zwei Büchner-, drei Huchel-, einen Hölderlin- und fünf Wilhelm-Müller-Preisträger gezeitigt – einige ihrer Vertreter werden bis heute zu den bedeutendsten Autoren des Landes gezählt. Wenn das der alte Maurer wüsste. Oder, um bei Kirsch zu bleiben: „Und die Träume ganz beim Namen nennen; / Und die ganze Last der Wahrheit kennen“ … wenn auch die Bedrückungen wechseln, die Maximen bleiben sich gleich.
Mittlerweile gibt es eine partielle Rückbesinnung auf Maß und Form, wie sie den Visionären einer neuen Klassik vorschwebte – der Versuch, das Heutige ins Eherne zu fassen und so auf seinen Gehalt zu prüfen, ist noch nicht beendet. Gottlob, möchte man rufen (wenn man gläubig wäre) angesichts des vielen Unfugs, der in den Feuilletons herumstiefelt und mit dem Zerkrümeln der Sprache befasst ist. Eine Klassik wird damit vielleicht nicht errichtet, eher ein Klassizismus in notorisch antiklassischer Zeit, und dieses Scheitern wird den fahlen Beigeschmack haben, es wenigstens versucht zu haben, aber das: immerhin. Das Schöne mit dem Nützlichen zu binden – in der aufgenommenen Zwiesprache mit dem Altvorderen erfährt es einen zarten und doch zuweilen wie mit dem Holzhammer gewirkten Auftakt. Sie ist, was das Letztere betrifft, zurückhaltender, jedoch naiver; er kleidet Hoffnung und Kritik in etwas feinere Sprache, ohne sich gänzlich vom Agitatorischen lösen zu können. Fürderhin wird man die beiden unter Beobachtung halten.