Gespräch mit dem Saurier

Schreibende Paare

Autoren:
Sarah Kirsch, Rainer Kirsch
Besprechung:
André Schinkel
 

Schreibende Paare

ZUM LAUNCH VON NÄHEKURS - Schreibende Paare. Das Jüngste Gericht wird abgesagt. Über Sarah und Rainer Kirschs gemeinsames Debüt von 1965.

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Einen Dichter zu seinem Glück zwingen, bedeutet, ihn letztlich der Hingabe an das, der Beschäftigung mit dem Unglück, einen Einklang mit der Welt und den Gegebenheiten, wie sie Dichtern entgegenstehen, auszusetzen. An Sarah und Rainer Kirsch gemeinsamem Debüt ist dieses Ringen in zwei unterschiedlichen Zuständen zu besichtigen: der eine tritt fest in die Welt, sinnt schon den Enkeln voraus, die er vielleicht nie hat; die andere sucht ihren Weg, und es gelingen ihr bereits die ‚Ausrutscher nach oben’ … die die große Dichterin eher ahnen denn wissen lassen. Wie ein Pirol, dessen schönes Gefieder nur immer für die Bruchteile von Sekunden sichtbar ist, halten sich die Bernstein-Inklusen dieser frühen Talentprobe verborgen und sind doch da:

LEISE ZIEHT DUCH MEIN GEZELL
eine Dystonie,
und mein sonst so dickes Fell
wird transparent wie nie.

Kannst jetzt meine Venen sehn,
akkurat verzweigt,
wie sie in die Zehen gehen –
bleibst du mir geneigt?

Der beginnenden Souveränität dieser Sprache ist noch der Zweifel eingestreut, ob dies der richtige Weg sei. Dem Ordentlichen des Biologin-Seins folgt die zwar behauptete, doch, wie man denken mag, schwer erwogene Amtannahme als Dichterin. Anders Rainer Kirsch – es scheint, das Dichteramt sei ihm eben gemäß, er handhabt es mit selbstverständlichem Stolz. Wenn man den Radius bedenkt, den seine Dichtung unter den sich verkrümelnden Lesern noch hat, ist die Endzeile seines „2005“-Sonett, ist zu fürchten, traurige Realität geworden: nur dass das Schweigen der Enkel nicht sanft ist, es hat sich schlichtweg im Rumpeldipumpel der Zeit, in deren Maschinerien verlorn:

Unsre Enkel werden uns dann fragen:
Habt ihr damals gut genug gehaßt?
Habt ihr eure Schlachten selbst geschlagen
Oder euch den Zeiten angepaßt?

Mit den Versen, die wir heute schrieben,
Werden wir dann kahl vor ihnen stehn:
Hatten wir den Mut, genau zu lieben
Und den Spiegeln ins Gesicht zu sehn?

Und sie werden jede Zeile lesen,
Ob in vielen Worten eines ist,
Das noch gilt und das sich nicht vergißt.

Und sie werden sich die Zeile zeigen,
Freundlich sagen: „Es ist so gewesen.“
Oder sanft und unnachgiebig schweigen.

Ob die beiden je einen innigen Dialog der Liebe führten: an den frühen Texten ist er nicht oder eben kaum auszumachen. Sarah Kirschs leidenschaftlichste Gedichte, der fulminante Wiepersdorf-Zyklus, der Band „Rückenwind“, stehen noch aus, und die eine oder andere ihrer Prosaminiaturen (wenn man sie nächst der Dichterin interpretieren will) redet vom Trost, den sie sich lieber bei den Bögen und Epitaphen des Stadtgottesackers holte … Auch die gelegentlichen erotischen und obszönen Ausfälle in der ansonsten gebändigten Sprache Rainer Kirschs liegen noch fern. Vielleicht ist es jene nur bruchstückhafte Art und Weise der Kommunikation, die auch die Beziehung der beiden hat scheitern lassen, die sich in den Texten teilweise ausdrückt – aber das ist Spekulation. Für das Scheitern in der Liebe gibt es mannigfaltige, oft schlichte, nicht selten absolut irrationale Gründe. Das Reden und das Schweigen – sie entscheiden oft über das Gelingen, das Scheitern von Partnerschaften. Und es geht uns auch nichts an. Es bleibt, von der Faszination zu sprechen, die dieser Beginn auslöst oder die später eingelöst wird … Wir sehen hier zwei großen Dichtern beim Aufbau ihrer lyrischen Schlagwerke zu. Der eine, der es bereits beherrscht, hat es an die andere weitergegeben … so träumt man: der eine hat die andere zur Beherrschung ihres eigenen Schlagwerks, ein zärtlicher (vielleicht auch nicht) Einschließer, animiert. Sie wird ihn irgendwann im Ruhm überflügeln. Was die Dichter stiften, es möge auch forthin das Bleibende sein.


Literatur:
Sarah und Rainer Kirsch: Gespräch mit dem Saurier. Mit farbigen Tafeln von Ronald Paris. 112 Seiten, Berlin: Verlag Neues Leben 1965.
 

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