REZA - GSELLA - BENN

Leseempfehlung

Autor:
Andreas Greve
 

Leseempfehlung

FÜR DEN GEISTESGABENTISCH – Andreas Greve rät ab und zu

Man merkt: In der Hansestadt residieren Großkunden von Ihm, und ein wenig Opportunismus hat noch keinem geschadet. Aber ansonsten teilt er nicht zu knapp aus: „Schmähgedichte“ ist nicht nur eine ernste Warnung an den Leser, sondern auch eine klare Darlegung von Mittel und Ziel: Ungerecht um jeden Preis, um jeden Reim, um jede Pointe zu sein und in 95 % der Fälle auch noch den zuverlässigsten Garanten für derben, ja Humor überhaupt, im Boot zu haben: Die Schadenfreude. Da möchte man nicht Bielefeld sein oder Neubrandenburg, aber auch nicht Wolfsburg oder Erlangen – und nicht einmal Florenz. (Das wollte ich allerdings auch nie). Je weniger man über den Stadt-Gegner weiß, desto tiefer die Schläge. Nichts ist dem Dichter da lieber und werter als Unkenntnis und Ignoranz. Kurz: Sowas funktioniert großartig, wenn es Woche für Woche in identischer Bauweise an immer der gleichen Stelle erscheint – in diesem Fall auf „Spam“, der Satire auf Spiegel online. Da freut man sich schon vorher, da lacht man, da feixt man, da postet man es sogar direkt als Mail an die – bis dahin - befreundete  Familie in Hannover. Aber das alles ist genau das Problem bei einem ganzen Buch: Man kann es nicht den Freunden aus Hannover oder Bielefeld schenken – aber auch niemandem, dessen Stadt dort n i c h t geschmäht wird. Kurz: Thomas Gsella ist mit gutem Grund der von Robert Gernhardt geschätzte und seinerzeit von ihm für den Ringelnatz-Preis vorgeschlagene „Meista – und schon lange kein Gsella mehr“. Dennoch oder gerade deshalb: „Nenn mich Gott“ für 9.95 € beim Fischer Verlag. Besser is…

Thomas Gsella. Nennt mich Gott. Lyrik. Taschenbuch € 9,95 Fischer Verlage Frankfurt am Main 2008

Thomas Gsella. Reiner Schönheit Glanz und Licht Ihre Stadt im Schmähgedicht. 128 Seiten. 9,95 Euro. Eichborn Verlag Frankfurt am Main 2011

„IHRE VERSION DES SPIELS“: REZA

Ich sehe nicht von allen meinen Fragen ab, sondern schleppe sie einfach mit in die dritte Runde; diese immer und ewig gleichen Journalisten-Fragen versus neue Autorin. Das letzte Theaterstück von der weltweit aufgeführten – früher einmal Sängerin und Schauspielerin und jetzt – ja, nehmen wir doch einfach das blöde Wort: Erfolgsautorin – heißt so wie oben. In Paris beheimatet, jüdisch mit einem raffinierten Cocktail aus Eltern und Vorfahren aus der halben Welt, aber voll auf der Höhe mit tiefsten Tiefen menschlicher Schwächen und allem Schwachsinn des trendbesessenen Abendlandes. Als ich das dünne Bändchen – wie gehabt, beige-braun und bescheiden vom Libelle Verlag – im Oktober das erste Mal las, war ich auf dem Weg in den Urlaub nach Norwegen und als ich in Oslo um die Ecke bog, hatte das große, seriöse Theater dort „Kunst“ auf dem Spielplan. Vielleicht auch Ibsen, aber auf jeden Fall Yasmina Reza, die mit ihrem Stück „Kunst“ in wenigen Jahren zur meistgespielten Autorin der Welt wurde. Es geht um ein paar gute Freunde, die sich mehr als gründlich zerstreiten, weil der eine von ihnen sich ein weißes Bild, also eine Leinwand auf der nichts als Weiß ist, gekauft hat. Und das auch noch gut und richtig findet. Man versucht bei uns gerne, Reza argumentativ in den Boulevard abzudrängen, in Oslo thront das Nasjonal Teatret in der Tat mitten auf dem prächtigen Boulevard an der Karls Johans gate. Das Stück ist sehr lustig und sehr wahr und folglich nicht so gerne gesehen von gewissen Kulturbeflissenen, oder Leuten, die auch schon mal viel, viel Geld für weiße Bilder bezahlt haben – oder gar damit Geld verdienen. Verständlichkeit ist in Deutschland – immer noch - ein weiterer Makel in den Augen unbeirrbarer Gralshüter.

Ein anderes, sehr erfolgreiches Reza-Stück war „Der Gott des Gemetzels“, das 2006 in Zürich uraufgeführt wurde und dann vom (hausarresterfahrenen) Roman Polanski zusammen mit Yasmina Reza in ein Filmskript adaptiert wurde. Ich denke, dass ein langer unfreiwilliger Aufenthalt in geschlossenen Räumen die Sinne dafür schärft, dass wir nicht einmal die Welt da draußen brauchen, um an ihr zu verzweifeln oder an unsere eigenen Grenzen zu stoßen. „Character is a person under pressure“ lautet eine Drehbuchregel und genau das zelebrieren die beiden New Yorker (keine Angst, es wurde in einem Studio in Paris gedreht) Ehepaare, angeführt von einer extrem verspannten, besserwissenden und –wollenden Jodie Forster auf der einen Seite und einem Arsch von Anwalt, der über weite Strecken durch sein tolles BlackBerry  mit der Welt bzw. dem Geld in Verbindung bleibt und der sich seine verbindliche Blasiertheit sicher früh in seiner Geburtsstadt Wien erahmt hat: Christopher Waltz. Ich soll hier aber keinen Film besprechen, ich weiß, aber ich konnte auch nach einem weiteren kompletten Durchlesen der 85 Seiten des neuen Stückes „Ihre Version des Spiels“ – diesmal im Zug von Wuppertal nach Hamburg – immer noch nicht herausfinden, was genau mir nicht behagte. War es nur der Leseeffekt, dass es mir irgendwie harmlos vorkam? War es die Konstellation, dass eine bekannte, aber öffentlichkeitsscheue Autorin sich doch zu einer Lesung überreden lässt und dabei von einer jagderprobten Journalistin aufs Korn genommen wird: Wie viel ist von Ihnen und wie viel haben Sie sich ausgedacht und wenn ja warum? usw… Man kennt die Fragen, die auch gerne umgekehrt werden, wenn ein Autor privat z u auskunftswillig ist. Es ist für keinen befriedigend, auch nicht für den Kleinstadtbibliothekar, der selber heimlich schreibt. Auch nicht für den Leser, möchte ich hinzufügen und mein Verdacht ist, dass sich Yasmina Reza persönlich in dieses Stück und damit vor die normalerweise schonungslose Demontage geschoben hat. Ich weiß nicht, was genau mir fehlte (vielleicht ein weißes Bild?). Jedenfalls möchte ich in diesen Tagen, an denen der Polanski-Film in die deutschen Kinos kommt – und der ist vor allem für Leute, die Kammerspiel mögen und wissen, dass jeder ohne besonderen Grund, aber aus gegebenen Anlass (z.B. wenn es um die Kinder geht) aus der Haut fahren und fürchterlich aus der Rolle fallen kann – lieber zum „Gott des Gemetzel“ raten. Als Quellen-Studium:

Um auf der Lese-Seite zu verbleiben, empfehle ich deshalb das Theater-Stück:
Y A S M I N A   R E Z A »Der Gott des Gemetzels« Schauspiel. Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel
96 S., gebunden mit Fotos aus der Zürcher Uraufführung Euro 14,90  Libelle Verlag, Lengwil CH

 

Wenn i c h mir was wünschen könnte, wären das allerdings die Gesammelten acht Reza-Stücke in zwei gebundenen Bänden. Ebenfalls aus dem interessanten alemanischen Kleinverlag Libelle. Von mehreren Übersetzern: Aus dem Französischen von Eugen Helmlé, Bernd C. Sucher, Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel

Ich habe den Preis schon mal abgemacht.
 

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