Prosa

"Weiß grüne Pfirsiche fallen" Hochzeitsreise nach Triest von Mechthild Curtius.

Im "Hotel di Teatro" beim alten Hafen von Triest haben wir vor zehn Jahren gewohnt und die Gassen bergab und bergauf abgesucht in dem Viertel, wo Italo Svevo gewohnt und James Joyce kennengelernt hat, der dort als Sprachlehrer lebte. Meterhoch sind die Hotelzimmer gewesen, Tanzsäle um ein quadratisches Bett, durchgelegen die Matratzen und voller graubrauner Flecken, das Doppelwaschbecken eine Meterspur nur. Nun sind die oberen Etagen zugenagelt, der Messingkäfig des Aufzugs versperrt. Aus einem Zimmer sind drei geworden. Durch die Holzlamellen blinzelt die ausgesperrte Sonne wie damals und funkelt im Meer. Das lockt uns heraus und an den quadratischen Platz vor dem Hafen. Wenn wir im Großstadtgetriebe sind, suchen wir dieses Mittendrinsein im Gewühl. So spüren wir die Kontraste zur Einsamkeit mehr, vor­ her im Fischernest Marano Lagunare am Wasser und nachher im Bauernnest Stripoldo Friulano.

Entlang der Hafenanlage reihen sich die Stapelschuppen, das Aquario und die Fischmarkthalle, glitschiger Fank blinkt im schweren Bau mit der Zuckergußkitschfassade. Trieste rund um den Hafen will mit jedem Gebäude reprä­ sentieren, die Prunkbauten der Hotels jenseits von Uferpromenade und Durchgangsstraße strotzen von Löwenhäuptern und Meeresgöttern mit geschweiften Schwänzen, die sich an den Ecken zu Fragezeichen und Schnecken einrollen. Tritonen und Neptune umzingeln die Versicherungskathedralen "Lloyd Adriatico" und "Assicurazione Trieste". Gehen die Augen höher, wird es vor ihnen glatt und klar, die Meeresbucht und darüber zum Horizont hoch, links und rechts rundherum laufen die Hügel mit den im Sonnenlicht grünen und im Schatten schwärzlichen Bergen, trom­ pe l'oeuil, farbentrügend. Und dazwischen die Häuser Triestes. Um die Lichtoper des Landschaftspanoramas konzentriert zu beobachten, setzt man sich vor der Dämmerung an die Mole zu einigen der dreißig pastellfarbigen Eissorten oder zum Wein. Je dunkler es wird, desto mehr Lampen betonen, wo Menschen wohnen, Fenster blinken auf, Laternen gehen an in den Bergen der Landzunge, die die Stadt hält. Häuser sind Lichtpunkte, Straßen ziehen sich als gelbe Leuchtpunktlinien hin. Umdrehen. Über dem Wasser der Meeresbucht mit rostigen Frachtern und weißen Booten scheint es langsamer finster zu werden, noch nicht schwarz, dickmilchgrau gestockt. Der russische rostige Frachter klappt das vordere Viertel aus Eisen hoch und entläßt langsam gleichmäßig rote Lastwagen wie Geburten. "Osceno", sagt einer am Nebentisch, und ich nicke. Warum im Dunklen entladen. Wo das Uferhotel "Excelsior" im gleißenden Licht liegt, wiederholen sich Fenster golden im Wasser. Es murmeln die Stimmen der promenierenden Menschen, es klappen die Stangen der Segelboote aneinander und wiegen sich im Wasser. In der Kanalstraße schwimmt ein rostiger Schlepper, "Thor Triest".

Am anderen Morgen (so geht es weiter in alten Romanen nach Liebesnächten) steht den vielen Paaren die Hochzeitsnacht noch bevor. Es ist Sonnabend und Tag der Heirat. Überall posieren Bräute mit Schleiern und Blumenkränzen, die großäugige Braune trägt eine weiße Kapuze über dem Spitzenrücken ihres knöchellangen engen Brautkleides, zerrt ihren blonden Langweiler vor den russischen Frachter im Trockendock, dichter heran an die rostige Schiffsschraube; um ihr weißes Kleid ist ihr offensichtlich nicht bange, er zickt herum und deutet auf die Smokingbeine, ein Mann mit Videokamera ist immer dabei, reckt sie, streckt sich, zappelt, turnt von einem Bein auf das andere und hält alles als Filmband fest, Commedia dell'arte. Szenen einer Hochzeit, noch einer, noch vieler. Vor jeder Kirche eine andere Hochzeitsgesellschaft, gegenüber dem "Hotel di Teatro" wartet eine Familie vor einem Blumenladen, der Florist preßt der Braut das Bukett in den Arm, schmückt den weißen Alfa Romeo, behäkelt das Blech mit Girlanden aus Margeritenköpfen an Seidenbändern, fixiert Kalla und Lilien auf der Kühlerhaube als Galions-Bukett, darinnen eine Barbiepuppe als Braut und ein Ken im Smoking. Vor dem Schloß Miramare sind Hochzeiter und im Park bei den verholzten Hortensien und an den moosigen Brunnen. In Rilkes Duino und in dem Zahnradbähnchen nach Opicina.

Auf Piazze, in Bars, an den Straßen standen und saßen vor zehn Jahren dunkelgeklei­dete Männer, zwischen ihnen ist mein Mann verschwunden. Ging hinein, um schon wieder etwas zu essen, immer gieriges Reptil, kam nie heraus. Nach zwei Tagen fuhr ich allein in die Provinz. Sieben Tage später haben mich die Carabinieri zurück nach Trieste geholt, in das Hotel geführt, das Bett auseinandergezerrt. Seither weiß ich, daß die Matratzen unter den scheinheilig weißen Laken blutfleckig sein können. Nachweislich stammten die noch roten und feuchten Flecken von ihm. Nachweislich bin ich, seine Gattin, zur einschlägigen Stunde in Stripoldo gewesen, der Conte war Zeuge. Einer Hochzeitsreise tödliches Ende, und das nicht mal in Venedig. Das kommt davon.

Abgelegene Nester haben wir immer gesucht, wir, das ist seitdem alle Jahre ein anderer und dabei immer ich. In der brisanten Zeit vor zehn Jahren bin ich allein. Eines der slowenischen Dörfer will ich finden und hören, wie sie beide Sprachen sprechen, beide Sitten haben, beiderlei Speisen kochen, und wie das wohl ist so zwischen zwei Stühlen. Vorbei an den Bohnenfeldern, die mit straßenbreiten Maschinen gepflückt werden, in den Zähnen hängen noch beim Fortfahren Bohnenhülsen. Im karstigen Hinterland gerate ich in Sackgassen, jeder Feldweg endet an einem Schlagbaum, jede Straße mit einer Dogana/Douane. Die Dörfer sind zweisprachig ausgeschildert wie in der Lausitz, an der Oder, in den Pyrenäen, solche Mischrätsel mag ich. Die Nester sind öd und die Kirchen nackt, ich gehe in die einzige Bar und trinke ein kleines Glas brau­ nen Schnaps wie die Männer am Tresen, die mir wirklich slowenisch zuprosten, soweit ich das erkennen kann. Wie Hustensaft schmeckt der Schnaps, und warum ich mich auch sonst wie als Kind fühle, kann ich nicht erklären. Auf der Suche nach selt­ samen Begegnungen zu sonderbaren Regungen fahre ich weiter bergan, der Wegweiser "Monte Micheie" lockt mich. Der Monte stellt sich heraus als keine Kapelleneinsamkeit, sondern als Kanonenmuseum. Weiß grüne Pfirsiche fallen auf die rostigen Totschießer und zerplatzen zu Mus, das die Wespen anlockt. Der

zurück