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Prosa
"Weiß grüne Pfirsiche fallen" Hochzeitsreise nach Triest von Mechthild Curtius.
Kastanienwald wächst in den Hausgarten des Wärters, da wachsen Astern, Dahlien und Gemüse wie überall im Friaul. Vor den Kanonen geht der Blick in die Berge, über das Isonzotal. Dunst steigt auf. Ich fahre hinunter, ein Bus voller Kriegertouristen schnauft hinauf, ich finde die wimpeltragenden alten Schauplatzkämpen später inmitten der Bohnen- und Maisfeldebene in der sternförmig angelegten Feste Palmanova. Graswälle rundherum um die Stadt, durch Tore aus allen Himmelsrichtungen auf schnurgeraden Straßen bis zum Oktogonplatz, von dem sie sternförmig auslaufen, strategisch angelegt sind sie und heißen nach den Orten, in die sie führen: Via Udinese, Via Gorize, Via Triestine. Der vene tische Staat habe sich von hier aus gen Osten hin verteidigt, Provveditori hießen die Aufsichtsbeamten, 1593 sol len sie diese Festung angelegt haben, auf dem Reißbrett entworfen, der Stadtplan an der Mauer weist ein regelmäßiges Polygon vor, Meisterwerk der Militärarchitektur, schwärmt der Führer der Kriegstouristen. Der Stadtstern mit neun Spitzen ist trotz dem schön. Der Dom aus dem sechzehnten Jahrhundert, links und rechts davon gelbe, weiße, graue palazzobreite Häuser mit flach ausgebreiteten Dächern über geschlosse nen Fensterläden. Ab und zu fahren Autos rund um den Platz und verschwinden in einer der neun Straßen des Stadtsterns. Ein alter Rolls Royce mit englischem Nummernschild hält vor dem Cafe, grün und silbern ist er, "CD-Oldtimer-Rallye Milan-Moskau" steht angeschrieben, ein junger Mann mit Sherlock Holmes-Mütze über dieser rotfleckigen rauhen Britenhaut steigt aus und fragt auf Englisch nach der Straße nach Jugoslavien und kriegt keine Antwort, die Männer an der Bar schweigen ihn einfach an und aus, er läuft wütend zum Auto und fährt tosend an und fort, viel zu schnell. Ich folge langsam, auf der Suche nach einer "gottvergessenen Gegend". Durch Bohnenfelder, an Traubenfeldern vorbei, an Sonnenblumen mit hängenden braunvertrockneten Blütenköpfen, an Tomatenfeldern.
Ich komme vorbei an dünnen Wasserkanälen voller Entengrütze und eingefaßt von moosigen Steinen. Die Kanäle führen in ein Straßendorf, eine Allee aus knorrigen Platanen hinter einer langen Gutsmauer, am anderen Ende ist eine kleine Kneipe, und der Wirt sagt, das sei ein besonderer Ort. Stripoldo Friulano, uraltes Adelsnest. Von einer Stadtmauer umzingelt sind kleine Schloßbauten und Gutshäuser mit gutbestell ten Gärten, eine Residenz en miniature inmitten der Bohnenebene des Friaul. Stadttor, Städtchentor, alle Bauten im Zwergenformat. Dorfanger städtisch im Stil, die Kirche mit Sonnenuhr am Campanile, das Herrenhaus ist ein sehr breit hingestreckter um die Ecke der Stadtmauer laufender Bau, rotgelber Anstrich bröckelt und schimmelt, durch die Fenster duftet es modrig. Das Mauerwerk der Scheunen krümelt in den alten Buchsbaum und in die grünrosa Dolden verholzter Hortensienstauden, der Liguster ist oben gradegeschnitten, sonst wächst alles wild um mannshohe Säulen mit Zapfenkronen herum. Die meisten Fensterläden sind geschlossen, wie blinde Augen, die Häuser ungenutzte Gesichter. Da freut man sich über das Frauengesicht hinter einem Erker mit vorgewölbten Fenstern, rote Geranien und weiße Gardinen zeugen vom Leben. So ist alles in Stripoldo, halb verwelkt, halb belebt. Die Heiligenstatuen auf dem Kirchensims ragen schräg ins Himmelslicht, aus dem Gips stakst das Metall, wo mal ein Arm war; die Flügel der Engel sind rostig, und Jesus hält das Kreuz wie eine Waffe weitab in die Wolken. Der kleine Canale wabert vom grünlichen Schleim der Entengrütze, Efeu und Moos überwuchert seine verfallenden Wände. Es rattert monoton das rostige Schaufelrad und bespritzt die Schwäne mit Schaum.
Musik lockt an, ich gehe ihr nach und stehe auf dem Grasplatz vor einem Riesenphallus in einem Eisengerüst, eine Mortadella, Männer und Frauen schneiden Stücke ab, reichen mir eines, grüne Pistazien fallen heraus, dazu Pecorino, zu trinken Traminac und Tocai, Grave deI Friuli, Pinotlit. Männer kommen und gehen, Coleto Verech, Zaneto Mulinar, Agnur Sartor, friulische Namen. Der sie mir vorstellt, stellt sich mit Handkuß vor als Conte Raimondo di Stipoldi, zeigt mir sein Haus. Loggia über dem Portal, Fruchtkörbe aus Stein auf der Balustrade, über dem Eingang steht "Intima cantent". Es riecht innen, wie es aussieht, nach vielen Generationen, aus den vermachten Ahnengemälden blicken Männer mit schmalen Köpfen, oben sind die Gesichter so breit wie unten, mit schwarzbraunen Augen und der mundwärts hän genden Habsburger Nase. Von den Habsburgern stammen wir ab, erklärt der Conte, hier war alles fest in Ka- und Ka-Hand. Es mischt sich der Geruch frischer Früchte mit dem des alten Holzes und feuchter Wände. Das bedauert der Conte, schön seien die Wasserkanäle anzusehen, aber zu wohnen hier im Piccola Venezia sei lästig. Es solle alles restauriert werden mit staatlichen Mitteln. Wir gehen in die Nacht.
Festwiese, Feuerwerk, Springbrunnen und Mühlrad sind beleuchtet in buntchangierenden kreisenden Farblichtern. Stripoldo ist voll feiernder Leute, Greise tanzen mit Greisinnen, Bambini werden im Takt gewiegt, Kinder fassen sich bei den Händen, Liebespaare balzen, ich tanze mit dem Conte und er lacht: "Nicht so wild. Ich bin alt." Lichtfassaden spiegeln sich in den Canali di "Piccola Venezia Stipoldo".
Der Text erschien 1997 in "Lichtungen, Heft Trieste" Graz.
(Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Jaroschka)
© Curtius & Hauke. Wörter Curtius % Bilder Hauke. Bei Texte & Bilder
Ich komme vorbei an dünnen Wasserkanälen voller Entengrütze und eingefaßt von moosigen Steinen. Die Kanäle führen in ein Straßendorf, eine Allee aus knorrigen Platanen hinter einer langen Gutsmauer, am anderen Ende ist eine kleine Kneipe, und der Wirt sagt, das sei ein besonderer Ort. Stripoldo Friulano, uraltes Adelsnest. Von einer Stadtmauer umzingelt sind kleine Schloßbauten und Gutshäuser mit gutbestell ten Gärten, eine Residenz en miniature inmitten der Bohnenebene des Friaul. Stadttor, Städtchentor, alle Bauten im Zwergenformat. Dorfanger städtisch im Stil, die Kirche mit Sonnenuhr am Campanile, das Herrenhaus ist ein sehr breit hingestreckter um die Ecke der Stadtmauer laufender Bau, rotgelber Anstrich bröckelt und schimmelt, durch die Fenster duftet es modrig. Das Mauerwerk der Scheunen krümelt in den alten Buchsbaum und in die grünrosa Dolden verholzter Hortensienstauden, der Liguster ist oben gradegeschnitten, sonst wächst alles wild um mannshohe Säulen mit Zapfenkronen herum. Die meisten Fensterläden sind geschlossen, wie blinde Augen, die Häuser ungenutzte Gesichter. Da freut man sich über das Frauengesicht hinter einem Erker mit vorgewölbten Fenstern, rote Geranien und weiße Gardinen zeugen vom Leben. So ist alles in Stripoldo, halb verwelkt, halb belebt. Die Heiligenstatuen auf dem Kirchensims ragen schräg ins Himmelslicht, aus dem Gips stakst das Metall, wo mal ein Arm war; die Flügel der Engel sind rostig, und Jesus hält das Kreuz wie eine Waffe weitab in die Wolken. Der kleine Canale wabert vom grünlichen Schleim der Entengrütze, Efeu und Moos überwuchert seine verfallenden Wände. Es rattert monoton das rostige Schaufelrad und bespritzt die Schwäne mit Schaum.
Musik lockt an, ich gehe ihr nach und stehe auf dem Grasplatz vor einem Riesenphallus in einem Eisengerüst, eine Mortadella, Männer und Frauen schneiden Stücke ab, reichen mir eines, grüne Pistazien fallen heraus, dazu Pecorino, zu trinken Traminac und Tocai, Grave deI Friuli, Pinotlit. Männer kommen und gehen, Coleto Verech, Zaneto Mulinar, Agnur Sartor, friulische Namen. Der sie mir vorstellt, stellt sich mit Handkuß vor als Conte Raimondo di Stipoldi, zeigt mir sein Haus. Loggia über dem Portal, Fruchtkörbe aus Stein auf der Balustrade, über dem Eingang steht "Intima cantent". Es riecht innen, wie es aussieht, nach vielen Generationen, aus den vermachten Ahnengemälden blicken Männer mit schmalen Köpfen, oben sind die Gesichter so breit wie unten, mit schwarzbraunen Augen und der mundwärts hän genden Habsburger Nase. Von den Habsburgern stammen wir ab, erklärt der Conte, hier war alles fest in Ka- und Ka-Hand. Es mischt sich der Geruch frischer Früchte mit dem des alten Holzes und feuchter Wände. Das bedauert der Conte, schön seien die Wasserkanäle anzusehen, aber zu wohnen hier im Piccola Venezia sei lästig. Es solle alles restauriert werden mit staatlichen Mitteln. Wir gehen in die Nacht.
Festwiese, Feuerwerk, Springbrunnen und Mühlrad sind beleuchtet in buntchangierenden kreisenden Farblichtern. Stripoldo ist voll feiernder Leute, Greise tanzen mit Greisinnen, Bambini werden im Takt gewiegt, Kinder fassen sich bei den Händen, Liebespaare balzen, ich tanze mit dem Conte und er lacht: "Nicht so wild. Ich bin alt." Lichtfassaden spiegeln sich in den Canali di "Piccola Venezia Stipoldo".
Der Text erschien 1997 in "Lichtungen, Heft Trieste" Graz.
(Mit freundlicher Genehmigung von Dr. Jaroschka)
© Curtius & Hauke. Wörter Curtius % Bilder Hauke. Bei Texte & Bilder