Gsellmanns Weltmaschine

Kurzprosa

Autor:
Mechthild Curtius
 

Kurzprosa

Aus Zeitblei. Grazer Erzählungen von Mechthild Curtius

28.01.2012

Den Namen >Gsellmann< habe ich beim Herumfahren im oststeirischen Hügelland in Blockbuchstaben gelesen, senkrecht auf einem sehr hohen Fabrikschornstein, unerwartet, zwischen lauter Wäldern, Viehweiden und Weinbergen. Da ist mir Kameramann Ernst Möhles Empfehlung für die Grazreise eingefallen, unbedingt Gsellmanns Weltmaschine zu besichtigen. In einem kleinen Gehöft tief im Tal, wo es keiner erwarte. Er hatte als erster einen Fernsehfilm über die Erfindung des österreichischen Eigenbrötlers gemacht.

Vor zwanzig Jahren war das norddeutsche Team zum Filmdrehen hingefahren und hatte in einem Gasthof unterhalb der Riegersburg übernachtet. Nach dem ersten Wegweiser häufen sich die Hinweise, als sei es ein Weltkultur-Erbe. Der Weg ist eher für Ochsenkarren als für Autos geeignet. Durch schönes Hügelland geht es, viele Wiesen werden gerade gemäht; dank einem kurzen schlimmen Heuschnupfen-Anfall fahre ich tränend und niesend an den vielen Fruchtbäumen vorbei, darüber gefaltet ist steife Gaze, getreppt wie Fabrikdächer aus Glas, Hagelschutz, erklärt ein Weinbauer am Wegrand, drunter Baum an Baum, Kirschen, Pfirsiche, Birnen und Äpfel - winzige, kleine, größere Spalierbäume, nicht höher als Menschenhand greifen kann. In einer >Weinrebenschule< hat man Felder in schnurgeraden Linien angelegt, die rötlichen Schösslinge sind von blauer Gaze gehalten. Die Täler und Hügel höher, breiter, untergliederter als im Südwesten, werden schroffer, trutziger, bis sehr breite und hohe Basaltkegel aus dem Grün ragen, mit Mischwald und kahl, zwei langgezogene Basaltrücken, einer durch schwarze Bäume strukturiert, auf dem anderen breitet sich das Schloss Riegersburg. Kantig, wie ein Dorf hingezogen, Weinstöcke auf dem Plateau, drunten im Dorf feiern sie ein Weinfest.

Zwischen dem lieblicheren Weinland und dem trutzigeren Obstland liegt alle paar Kilometer ein Gehöft, ohne Straßennamen einfach nummeriert;  langgestreckt ist das Tal der Gemarkung Edelsbach, in der Mitte eine Mulde, darin in kleines Gehöft, unerwartet: ein roter Porsche und ein  Mercedes aus >H<; aus Hannover war vor zwanzig Jahren auch Kameramann Ernst gekommen. Ein gepflasterter Hof, Scheune und Stall, hinter einem Fenster blinken bunte Lichter, da steht sie, laut Inschrift auf einem Holzpfeiler, die >Weltmaschine<. Maria  Gsellmann, die Tochter, stellt sie sich vor; sie verwaltet das kleine Museum, das Maschinen-Vermächtnis. Die alte Frau führt den Besucher in die niedrige Kammer. Gebeugt und doch wendig, quetscht sie sich zwischen die Gestänge, zählt sie auf, die surreale Sammlung der Sujets: Radkappen, Kitschfiguren vom Flohmarkt, alte Lampen, kaum zu fassen ist die Vielfalt der Gegenstände in der grotesken Versammlung. Eine Schwarz-Weiß-Fotografie an der getünchten Wand zeigt den mageren Mann, zwischen Wetterhut und schwarzem Anzug ein hageres Gesicht mit dunklen Augen und feingeschnittenem Mund. Wie der Bruder vom Stefan Zweig sieht der Franz Gsellmann aus, denke ich. Damals war er siebzig und hat ein Drittel seines Lebens an der Maschine gebaut. Festgehalten, festgeschrieben sind Daten im Faltblatt für die Besucher des kleinen Museums. Anfangs, steht in dem Faltblatt, hätten die Leute  den Kopf geschüttelt, der spinnt, wenn der Franzl mitten aus der Feldarbeit fortlief, weil ihm etwas für seine Lebens-Kreation eingefallen war. Nur Pfarrer, Uhrmacher und Schmied wussten wirklich davon, weil er ihre Hilfe brauchte, sonst durfte keiner zu seinem Werk. Unglücklich waren zunächst die Verwandten. Wie das alles anfing, wird im Faltblatt für die Ausstellungs-Besucher geschildert:  

Am achten Oktober 1958 sah der Landwirt Franz Gsellmann aus Kaag bei Edelsbach in der Zeitung eine Fotografie des Brüsseler Atomiums. Wie eine Vision ist es ihm vorgekommen. Der Steirer Bauer ist so fasziniert von dem Bild gewesen, dass er nach Brüssel zur Weltausstellung zum Atomium pilgerte, wie andere nach Lourdes. Zurück von seiner Wallfahrt nach Brüssel, hat er in der Kammer seine >Weltmaschine< zu bauen angefangen. Lange hat es gedauert, bis die Öffentlichkeit die Bedeutung des Werkes zu würdigen wusste. >Steht als Schluss-Satz. Anschaulicher schildert die Tochter die Erfinderzeit des Meisters Gsellmann. Sie demonstriert, drückt auf einen Knopf, es zittert die armhohe Nachbildung der Kathedrale von Lourdes, es beben Wallfahrts-Reliquien, Kruzifix und Madonna, Uhren zwischen  Heiligenfiguren, im Gewirr der Gestänge und Rohre. Montiert auf einen Leiterwagen ist das Gebilde, keinen Gegenstand aus seiner Zeit hat er vergessen, so sieht das Monstrum aus. Besonders weist die Tochter  auf Porsche-Gebläse, Trockenhaube, Staubsauger und Sirene hin. Nur nach und nach setzt Maria Gesellmann die kleinen Getriebe in Gang, nicht zu viele auf einmal, sonst werfe es die Sicherungen raus. Zwei Mixer, ein Plattenspieler, Volksempfänger-Radio und Uhren rattern, ticken, quäken rotieren, stampfen .... alle möglichen Maschinchen bringen das Werk ratternd und scheppernd in Bewegung, bunte Lichter blinken, es tönt Musik. Ein Rauchfähnchen steigt auf und es wie stinkt nach durchgeschmortem Bügeleisen. Frau Gsellmann tut unbekümmert, sie schaltet hier und da das steirische Weltwunder aus. Reglos und stumm im Raum.

Das Gehöft besichtigen wir, gehen herum. Sohn und Enkel sind rüsten den Traktor. Begierig-neugierig befragt mich Maria Gsellmann, als ich leichtfertig das Wort Gesamtkunstwerk murmle: >Das Wort haben die vom Museum in Graz auch gesagt, die wollten unsere Weltmaschine mal haben!< Jetzt weiß ich, woher sie ihre Sprüche bezieht, die sie steif auf Hoch-Österreichisch hersagt: >Aus Versehen ist er ein Denkmalschützer geworden, hat der Herr Hofrat Doktor Plabutsch gesagt. Der Stübinger Volkskundler Plabutsch hat gejauchzt beim Anblick dieser längst verschollenen Gebrauchsgegenstände des heimischen ländlichen Alltags. Und ein Professor von der Universität München hat sich genauso närrisch gebärdet. Hergegeben haben wir nix.< Das Glumpat, der Ramsch, hat sich längst als kostbare Rarität herausgestellt, so hat Gsellmann unter tausend weggeworfenen und gefundenen Dingen die einzige noch erhaltene Strumpfrundwirkmaschine (eine zweite gibt es im Münchner Deutschen Museum) eingebaut. Nichts war ihm lieber als die frühen und einfachen Vorfahren seiner Maschine. Jahrelang ist er lieber auf den österreichischen Fetzen-Märkten (Flohmärkten) - und Schrottplätzen als bei der Ernte gewesen. Zögernd erzählt die Tochter Maria vom Vater Franz; eigentlich war er ein Steirischer Apfelbauer, hatte aber mit der Landwirtschaft nichts im Sinn, nur die Sehnsucht nach dem Tüfteln, wollte als Junge Mechaniker werden. Die Söhne hat es geärgert, die Tochter hat manches begriffen. >Nicht jeder mit einer Jugend-Sehnsucht geht als alter Mann auch auf Reisen und baut zwanzig Jahre an solch einem Lebenswerk!< Maria atmet auf und ich ahne, dass sie das weitersagen wird, als ich ihren Stolz stützen will und von >Kollegen< des Vaters erzähle:

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