Der aufgebahrte Preisträger

Lesung

Autor:
Simone Trieder
 

Lesung

Tomas Tranströmer bei der lit.cologne

30.03.2012 | Hamburg


Öde liegt der Frühling
Der samtdunkle Wassergraben
kriecht neben mir
ohne Spiegelbilder.
Das einzige, was leuchtet,
sind gelbe Blumen.
In meinem Schatten
werde ich getragen
wie eine Geige
in ihrem schwarzen Kasten.  
Das einzige, was ich sagen will,
glänzt außer Reichweite
wie das Silber
beim Pfandleiher

Er sah so aus, als wollte er all das hier nicht und doch war er da und sagte, ich konnte es mir nicht vorstellen, Tomas Tranströmer hier vorzustellen. Nun tue er es.

Die lit. cologne ist ein Event. Genau das unterscheide sie von der Leipziger Buchmesse, mit der sie terminlich konkurriert. Zum 12. Mal beginnt die lit.cologne zeitgleich mit der Messe, dauert aber eine Woche länger.
Der Programmleiter der lit.cologne Rainer Osnsowski wurde im Deutschlandradio Kultur nach dem Unterschied befragt. In Leipzig lese man am Tisch sitzend mit dem Wasserglas. Das passt nicht zu Köln. Da muss schon mehr passieren.

Die lit.cologne ist eine typisch Kölner Frucht, DAS Event in der langweiligen Fastenzeit. Die Kölner versammeln sich gern, schrieb eine Zeitung, und vergnügen sich.  Manche Karten waren schon nach eineinhalb Stunden ausverkauft. Die für die Veranstaltung mit Karl Lagerfeld beispielsweise. Schreibt der auch, fragt man sich. Nein, er liest. Gern. Hat eine Bibliothek von 300.000 Bänden. Und er redet gern. Aber nicht mit allen. Er sollte an dem ausverkauften Abend mit Elke Heidenreich reden. Die hatte in der Brigitte einen Artikel über Lagerfeld geschrieben, darin plauderte sie Lagerfelds persönlichstes Geheimnis aus. Warum er Halbhandschuhe trage. Das hat natürlich keiner geahnt, dass er seine Hände verdeckt, weil man an ihnen sehen kann, dass er keine 17 mehr ist.

Lagerfeld  ließ anrufen, er komme nicht. 1500 verkaufte Karten in der Kölner Oper.  Elke Heidenreich gab als Klügere nach und verzichtete auf ihren Part. Es fand sich ein barmherziger Samariter: Roger Willemsen, der sowieso in den Programmen aller Festivals seinen festen Platz hat. Mit dem würde Lagerfeld reden. Aber erstmal blieb der Samariter mit dem tuschelnden Publikum allein. Lagerfeld kam eine halbe Stunde später. Diese und andere Skandälchen tauscht man nach den Veranstaltungen im Schokoladenmuseum aus. Dort ist der demokratische Treffpunkt von Machern, Literaten und Publikum. Dort darf man rauchen, ein Extra nur zur lit.cologne.  Dort kann man Dennis Scheck sehen, wie er Rotwein trinkt oder Frank Schätzings schöne Frau. Er selbst hing eben noch kopfunter, das weiße Hemd blutgetränkt in der Lanxess-Arena - vorläufig aus dem Leben geleitet vom WDR-Rundfunkorchester. Längst im voraus ausverkauft. Karten konnte man noch  für den Literaturnobelpreisträger Tomas Tranströmer im Schauspielhaus kriegen.

Am Abend schien aber auch das Schauspielhaus ausverkauft zu sein. Hanser-Verleger Michael Krüger gestand, dass er nicht an diese Veranstaltung geglaubt hatte. Das Publikum bangte noch immer, ob der Preisträger tatsächlich da war. Denn da saß ein schwarzgekleideter Mann neben dem schwarzgekleideten Krüger, den er nicht vorstellte, an einem schwarzen Doppeltisch. Ein Tisch für eine Person auf der schwarz und traurig ausgekleideten Bühne war noch frei. Links stand ein schwarzer Flügel. „Dann hole ich ihn jetzt mal“, sagte Krüger. Ging in die Seitenbühne, als würde er einen Ball holen wollen. Und rollte einen Mann im Rollstuhl herein, den Preisträger, dahinter schritt eine Frau. Die Frau des Preisträgers. Etwa zehn Fotografen standen rechts neben den ersten Reihen und schossen mit ihren Kameras in der Größe von Laubbläsern in einer langen Klickklickkette Fotos von dem Mann im Rollstuhl. Der winkte sogar. Mit der linken Hand. Den rechten Arm hatte er auf der Lehne aufgestützt und die gelähmte Hand hing kapriziös verbogen vor seiner Brust. Krüger schob den Rollstuhl in eine Linie mit den schwarzen Tischen.  Frau Tranströmer setzte sich an den Einzeltisch. Zwischen ihr und ihrem Mann klaffte eine Lücke von mehr als einem Meter. Bei dem sehr langen Beifall  suchte seine linke Hand die ihre. Doch als sie es spürte und seine Hand treffen wollte, hatte er sie schon zurück gezogen. Später zerrte sie hilflos an dem Rollstuhl, aber –  sie fahren nun mal nicht seitwärts.

Krüger stellte nun auch den Mann an seiner Seite vor: Hanns Grössel, er hat alles von Tranströmer übersetzt. Warum, kam mir als erste von vielen Fragen, sitzt der Übersetzer nicht neben dem Schweden. Damit er ihm immer mal was ins Ohr sagen kann. Oder kann Tranströmer deutsch? Oder ist alles zwecklos, weil er überhaupt taub ist? Sprechen wird er nicht, das stand fest, denn er hatte kein Mikrofon.  Als  Krüger aus den Erinnerungen von Transtömer las, reagierte das Publikum auf kleinste Kleinigkeiten, es war ja so bereit, es wollte sich so gern amüsieren, aber es gab nichts zu lachen. Man hatte eher Angst. Angst, dass der einsame Mann auf der Bühne eingeschlafen ist, Angst, dass er jeden Moment aus dem Rollstuhl rutscht. Nein, er ist wach, eben hat er versucht, ein Wasserglas zu erreichen, aber der Rollstuhl ist zu weit weg von dem Tisch mit dem Glas. Gottseidank, jetzt hat es die Frau bemerkt und reicht ihm das Glas. Hoffentlich bekleckert er sich nicht. Ist eh zu weit weg, um das erkennen zu können.

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