Monatskolumne
Kochkunst
April 2012
Wenn meine katholische Freundin am Herd steht, weiß ich vorher immer, daß sie dort alles falsch macht, auch wenn es hinterher hervorragend schmeckt. Also ging ich mal wieder in die Küche, um in die Töpfe zu sehen. Diesmal stand auf dem Herd eine Pfanne, in der sich verschiedene Sorten Gemüse und Hähnchenfleisch geschmacklich verbinden sollten. Meine Freundin goß Wasser hinein, es zischte und ich dachte mir, ob sie nicht ein bißchen zuviel Wasser in die Pfanne gegossen hat. Und das gab ich ihr dann auch zu bedenken. Wenn nämlich zuviel Wasser reingegossen werde, erklärte ich ihr, koche es niemals mehr rechtzeitig wieder heraus. Und dann sei die Soße am Ende zu dünnflüssig. Und dünnflüssige Soße, sie wisse doch, dünnflüssige Soße könne ich nun überhaupt nicht leiden. Meine Freundin rührte mit dem Kochlöffel in der Pfanne und richtete ihn dann unvermittelt gegen mich. Sie stellte die leicht zu beantwortende Frage, ob ich kochen würde oder sie? Ich antwortete ihr, daß offenkundig sie koche, es doch aber nicht schlimm sein könne, wenn ich …worauf meine Freundin sich jedes weitere Wort von mir verbat. Hinter mir verschloß sich die Küchentür. Ich bin es zwar gewöhnt, auch dann noch einen guten Rat zu geben, wenn er nicht gefragt ist, doch ein weiteres Eingreifen ins Kochgeschehen wurde mir durch die Androhung von Konsequenzen verwehrt. Eine dieser Konsequenzen wäre gewesen, daß ich an diesem Abend hungrig geblieben wäre. Die anderen Konsequenzen hätten sich über die nächsten Wochen erstreckt.
Nun sollte man nicht annehmen, daß bei uns nur meine katholische Freundin kocht. Es gibt ein paar wenige Gerichte, die ich lange geübt habe und deshalb problemlos kochen kann. Dazu gehört Pasta in Tomatensugo oder gefüllte Auberginen. Ich finde es nämlich gut, wenn Gerichte eine eindeutige Bezeichnung haben und ein klar umrissenes Geschmacksprofil. Diese Eindeutigkeit lassen die Gerichte meiner Freundin oft vermissen. Sie macht aus dem, was vorrätig ist, irgendein exotisches Gericht, ohne es klar zu kategorisieren. Wenn ich skeptisch gucke, sagt sie, ich sei wie meine Oma, nur jünger. Aber das ist falsch. Oma akzeptiert nur die Kategorie „deutsche Küche“. Also keine Pasta in Tomatensugo. Es heißt Nudeln mit Tomatensoße und es schmeckt auch so. Die Tomatensoße besteht aus einer Mehlschwitze, in die Tomatenmark hineingegeben und dann mit Salz und Pfeffer verfeinert wird. Das Ganze ein paar Minuten leicht köcheln lassen und fertig ist die deutscheste aller Tomatensoßen. Adolf Hitler hätte sich die Finger danach geleckt. Kein Oregano, kein Olivenöl, niemals Knoblauch. Knoblauch ist der Russe unter den Zutaten. Der kommt ihr nicht ins Haus. Vermutlich hat gerade diese Ablehnung des Knoblauchs bei mir später zu einer etwas unkritischen Knoblauchbegeisterung geführt.
Salzkartoffeln als eherne Grundlage eines jeden Gerichts mag meine Oma am liebsten. Es gibt die historische Anekdote, Mussolini habe, um die Natur des Italieners zu kräftigen und ihn schlagkräftiger werden zu lassen, die Nudel durch die Kartoffel ersetzen wollen. Im Umkehrschluß läßt sich sagen, hat der Siegeszug der Nudel in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg viel zur Befriedigung und somit zur Befriedung dieses Landstrichs beigetragen. Und an meiner Oma läßt sich beobachten, was ein über Jahrzehnte hinweg betriebener Kartoffelverzehr im Grunde anrichtet. Sie ist jähzornig und streitsüchtig, und man kann froh sein, daß der Einfluß meiner Oma inzwischen auf ihre Wohnung beschränkt bleibt. Nur ihre Telefonanrufe erinnern noch etwas an den spätantiken Hunneneinfall. Diese Telefonate dauern mindestens eine Stunde, in der sie ununterbrochen auf mich einredet. Soviel Kraft entfaltet man nur, wenn man zu Mittag mal wieder einen Berg Salzkartoffeln verdrückt hat. Zu ihrem Leidwesen gehöre ich der verweichlichten Nudelgeneration an und habe vor einigen Jahren sogar italienische Pastateller erworben, die meine Wehrtauglichkeit noch weiter herabgesetzt haben. „Pasta, Pasta“, rief meine Oma am Telefon, als ich den Fehler begangen hatte, ihr von diesem Kauf zu berichten, wenn sie dieses Wort schon höre, sie kenne nur Zahnpasta. Früher habe man Italiener übrigens Spaghettifresser genannt. Nach jenem Anruf, dem ich nichts entgegenzusetzen hatte, außer einer kleinen Portion Tagliatelle zu Mittag, mußte ich mich, entkräftet wie ich war, erst mal eine halbe Stunde hinlegen.