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# 008
IN AUGENSCHEIN - Gespräche über anonymisierte Texte (# 008). Zu Gast: Mónika Koncz
Ich kann mir diese Landschaft denken jederzeit
die Natriumdampflampe der Dorfstraße entlang
die feucht wird vom Tau, wo der Lehm klebt
schillernde Rinnsale Benzin den Gräben entgegensickern.
In den Hecken wachsen dem Dunkel Ohren
und die Paare mit kundigen Händen buchstabieren
den Sommer durch. Wolfsmilch im Nacken
auf dem Spielplatz beim Naturfreundehaus.
Auch hier wieder formale Strenge auf der Oberfläche, zwei mal vier. Ein lyrisches Ich evoziert eine Landschaft, sehr wahrscheinlich eine erinnerte Landschaft, auch wenn wir das nicht sicher wissen. Es beginnt sehr konkret mit der Natriumdampflampe und der Dorfstraße. Zugleich scheint hier jemand Assonanzen zu mögen, Dampf/Lampe oder Lehm/klebt. Der Zusammenhang der Elemente wird lautlich gestiftet. Die konkrete Schilderung der Siedlung bricht mit der zweiten Strophe plötzlich ab, da wird es nun vielmehr poetisch, wenn dem Dunkel Ohren wachsen - eine schöne Personifizierung, eine gelungenes Bild. Was mich allerdings stört sind die kundigen Hände. Kundig worin? Wie sähe das mit unkundigen Händen aus? Welche Fähigkeit braucht man denn, um den Sommer zu buchstabieren? Das wüsste ich sehr gerne. Der Vers gibt in diesem Sinne zu viel und zu wenig gleichzeitig. Es sagt nichts über die Hände, ich würde es streichen.
Die Paare mit Händen buchstabierenwäre allerdings eine ziemliche Irritation.
(lacht) Ja, irgendein Adjektiv braucht man an dieser Stelle schon. Aber es interessiert mich gar nicht so sehr, was diese Hände können müssen, als vielmehr was das für Hände sind. Gerade weil es Paare sind! Mir fehlt da der Liebesakt; das scheint zwar angedeutet, aber zu schüchtern, zu wenig. Der Schlussvers hingegen erscheint mir als ein sehr typischer Dreh für die zeitgenössische Lyrik: die abrupte Verschiebung aus einem sehr poetischen und uneigentlichen Sprechgestus, mit großen, bedeutungsschwangeren Worten, in eine konkrete und vollkommen banale Situation. Die Kraft der Metaphern löst sich auf, muss ganz konkret verortet werden. auf dem Spielplatz beim Naturfreundehaus. Das wirkt fast wie ein ironischer Einwurf, der alles zerbricht. Dieser total belanglose Nicht-Ort wird zwar einerseits durch das Vorhergehende, die Erinnerung poetisiert, aber er zieht auch seinerseits einen Bruch durch das Gedicht, nimmt es zurück. Am Anfang wird die Landschaft vom Ich evoziert: Ich öffnet die Landschaft, Ich ist das erste Wort. Aber es taucht nicht mehr auf und so wird mir mehr und mehr schleierhaft, wo das Gedicht eigentlich mit sich hin will. Warum und für wen evoziert dieses Ich seine Erinnerung? Der literarische Mehrwert ist mir noch nicht ganz verständlich. Das Gedicht hat schöne Wendungen, aber der Spaß endet recht plötzlich, endet beim Naturfreundehaus.
Hat nicht jede Erinnerung diesen Zug ins private, vielleicht privatistische?
Natürlich, aber die Frage bleibt, warum eine Erinnerung, ein evozierter Ort bedeutsam ist - für den Leser. Was an diesem Gedicht meint mich, was zeigt es mir noch über die konkreten Begrifflichkeiten hinaus? Was bedeutet deine Erinnerung für mich? Das würde ich als "literarischen Mehrwert" bezeichnen und das fehlt mir hier. Zudem ist der Text sprachlich nicht homogen, befindet sich in einer seltsamen Mischung: das technische und botanische Vokabular, sehr deutlich und sachlich, stößt zusammen mit einem Sommer, der durchbuchstabiert wird, mit einem Dunkel, dem Ohren wachsen.