# 008

IN AUGENSCHEIN - Gespräche über anonymisierte Texte (# 008). Zu Gast: Mónika Koncz

August 2013 | Hamburg


Der Fülle des lyrischen Textes steht die besonders hingegebene Lektüre gegenüber. Wie es den Text zu neuen, erleuchtenden Wortverbindungen treiben kann, wenn er sich den Spielen, Zwängen und Anforderungen eines lyrischen Einfalls hingibt, so kann auch die Lektüre durch Beschränkung in neue Richtungen wachsen: und an Aufmerksamkeit gewinnen, wenn die Sicherheit gewohnter Fangnetze fehlt. In dieses Wagnis will sich die Reihe Augenschein begeben, indem sie im Gespräch mit Lyrikern über Lyrik Namen und Titel verdeckt. Der blinde Fleck über dem Namenszug der Autoren soll einen freieren Blick auf das erlauben, was die Signatur ihrer Texte ausmacht. Da geht es um Stile, mehr als um Inhalte; gerade deshalb geht es um Beobachtungen und nicht um Wertungen. Kein Quiz, sondern ein Spiel, dessen Regeln sich im Moment erst formen. Nur das Material ist gegeben und älter als wir. Wir bleiben familiär, wir wollen spazieren, die Augen, Ohren und Hirne weit aufsperren. Deutlichkeit und Lösung können dabei selbstverständlich nicht in unserem Interesse liegen.

 

Mónika Koncz, 1985 in Senta (Serbien) geboren, studierte zunächst Germanistik und Geschichte in Freiburg, bevor sie ans Deutsche Literaturinstitut nach Leipzig wechselte. 2005 und 2006 veranstaltete und moderierte sie die LesebühneSlam Deluxe in Freiburg. Obwohl es sich bei Mónika Koncz um eine überzeugte Lyrikerin handelt, wurde sie auch für ihre Erzählprosa und ihre dramatischen Arbeiten bereits ausgezeichnet, unter anderem mit dem Paula Rombach-Literaturpreis (2008) und dem Drehbuchpreis Ansichtssache 3(2011). 2012 erhielt sie zudem Stipendien des Künstlerdorfes Schöppingen und der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, 2013 das Elf Perlen Stipendium der Stiftung Brückner-Kühner.

 

In der Rede über zeitgenössische Lyrik wird ja immer wieder die Bedeutung der "Zentren" der "Szene" hervorgehoben. Gibt es Züge, die Texte aus Berlin, Leipzig, Hildesheim etc. unterscheidbar machen, oder ist diese Geographie eher nebensächlich?

Diese Frage ist interessant, aber es wäre fast schon vermessen, darauf zu antworten, da ich ja keinen Überblick über alle Schreibschulen und Gruppierungen habe. Für Leipzig, wo man die Dichterkollegen gebündelt an einem Ort hat, kann ich sagen, dass jeder unterschiedlich schreibt. Es gibt keine Leipziger Schule. Es gibt aber durchaus einige Modeerscheinungen, wie die hartnäckige Kleinschreibung oder das Kaufmanns-Und oder einen Trend zur Unverständlichkeit, oder besser gesagt dem, was ich leserunfreundliche Lyrik nennen würde.

Also nicht die Unverständlichkeit, auf der das Heil der Familien und der Nationen beruhet, wie es bei Friedrich Schlegel heißt?

Da ist öfters eine Verspieltheit zu beobachten, die trotzig zeigt, dass sie nicht verstanden werden möchte und glaubt, dass das zur Modernität gehört. Aber dass an den Schreibschulen Gleichförmigkeit entstehen würde, wie man es oft hört, kann ich im Falle von Leipzig nicht behaupten. Eine allgemeine Adjektivarmut beklage ich. Ansonsten herrscht momentan ungeheure Vielfalt. Natürlich arbeitet sich das meiste an der hundertjährigen Tradition der Moderne ab, aber es gibt von allem beruhigende Ausnahmen, es gibt einen konstanten Bezug zur Antike, es gibt betont verständliche und zugleich komplexe Gedichte, es gibt ausgereiftes Handwerk. Aber es gibt eben auch Leute, die den Eindruck erwecken, als hätte es vor ihnen überhaupt gar nichts geben, als hätten sie den Unsagbarkeitstopos neu erfunden. Das scheint oft einen sprachkritischen Hintergrund zu haben, man will zeigen, dass die Sprache als ganze nicht trägt und nicht verstanden werden kann. Was aber ein ganzer alter Hut ist. Die Texte, die so entstehen, haben eben etwas Trotziges: Das Gedicht tut so, als wäre es ein Gedicht, verweigert sich dann aber völlig, sodass man sich fragt, warum man es überhaupt liest. Beziehungsweise, warum es geschrieben worden ist. Viel spannender als das Scheitern finde ich ja die Frage, warum es uns manchmal dennoch gelingt uns zu verstehen. [lacht]

Kann Unverständlichkeit auch eine Hoffnung nach Individualität beinhalten, als besonders subjektive Färbung, die den Text in der verwirrenden Vielfalt des anything goes unterscheidbar werden lässt?

Nein, das glaube ich nicht. Da sind mindestens zwei Aspekte wichtig. Auf der einen Seite gibt es den Hermetik-Vorwurf oder das Hermetik-Vorurteil der Leser, zeitgenössische sei Lyrik nicht genießbar, weil sie nicht verständlich ist und eine abnehmende Bereitschaft sich auf das Wagnis Gedicht einzulassen. Auf der anderen Seite vollzieht sich die Gegenbewegung der Lyriker: Dadurch dass immer weniger Leute Lyrik lesen und das Publikum noch nie sonderlich groß war, bekommt man zuweilen den Eindruck, dass nur noch Leute, die Lyrik schreiben, Lyrik lesen und deshalb nur Lyrik für Leute, die Lyrik schreiben, geschrieben wird. Dadurch wird es ein anspielungsreiches Elfenbeinturmgeschwurbel, voll mit philosophischen Ideen, die nur ein kleiner Kreis versteht. Ich glaube, da geht es vor allem darum, sich untereinander zu beweisen, wie gewitzt und modern man ist und wie sehr man sich der Außenwelt verweigert. Außenseiter sein, etwas Besonderes sein, nur noch für sich selbst verständlich sein. Das ist sehr schade und auch Unsinn. Es herrscht fast schon die Angst, dass ein verständliches Gedicht ein oberflächliches, unkluges und schlechtes Gedicht ohne Tiefe wäre. Ich schätze es ganz im Gegenteil sehr, wenn ein sehr komplexer und schwieriger Sachverhalt einfach und klar ausgedrückt wird. Einfache und banale Sachverhalte so auszudrücken, dass es kein Mensch mehr versteht, ist noch keine Kunst. Das ist ein Grundirrtum.

Dieser Rückzug ins "Private" schützt natürlich auch vor Kritik.

Ja, sobald man "verständlich" ist, ist man auch verletzlich und angreifbar. Ich habe den Eindruck, dass viele schreibende junge Menschen Angst haben, die Dinge, die sie sagen wollen, klar auszusprechen - sie müssten sich entblößen und könnten sich nicht mehr hinter intellektuellen Konstrukten verbarrikadieren. Aber alle großen Gedichte, die ich kenne, sind auf der Oberfläche zugänglich, während auf der Unterfläche unheimlich viel passiert und nie Mangel an Rätseln herrscht.

 

 

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