# 008

IN AUGENSCHEIN - Gespräche über anonymisierte Texte (# 008). Zu Gast: Mónika Koncz

IV.

 

der leere raum mit schwarz und

blau und dem bisschen welt am rand,

geviertelt hinter glas. die schatten

wie zum trocknen an der wand, der atem

sichtbar in der hohlen hand. und draussen

bellt ein hund, schrecken tauben aus dem schlaf.

schlagen tauben, die ich niemals sah, mit flügeln

schwarz und blau.

 

 

Sehr schön. Schönes Gedicht. Fertig. [lacht] Soll ich noch mehr dazu sagen? Ich finde es wirklich sehr schön, es ist homogen, die Bewegungen der Sprache und der Bilder sind sehr gut gemacht. Im Anfang ist der leere Raum, wie das weiße Blatt, das am Anfang jeder Dichtung steht: erstmal Nichts. Damit fängt alles an und damit kann man immer anfangen. Die Welt wird dann nach und nach im Schreibvollzug erschaffen, von den Rändern her stellt sie sich ein. Durch die Wiederholung von schwarz und blau wird das Gedicht abgerundet, es ist einmal abgelaufen. Es hat seinen Raum geöffnet und einmal abgeschritten und endet als Rund. Als Bewegung ist das ein Idealfall. Zwischen klarem Anfang und klarem Ende vollzieht sich eine Art Erkundung, die Inventur eines Raumes. Ich würde das Gedicht auch als ein poetologisches lesen. geviertelt hinter glas. Man teilt sich die Welt ein und ordnet sie unter dem Blick, durch die Betrachtung; durch das Aufschreiben wird es konserviert und liegt gleichsam hinter Glas. Das ist ein Beiklang von Museum in der Wendung geviertelt hinter glas. Auch die Schatten wirken angehalten, fixiert, ausgestellt, und gehören zu diesem Raum, in dem es scheinbar keine vergehende Zeit gibt. Sogar der Atem wird sichtbar und kann gehalten werden. Neben dieser Raumabschreitung aber gibt es auch ein Draußen, das nur akustisch und durch ein Tier hineindringt. Draußen erwachen Natur und Leben. Im Bezug auf dieses Draußen taucht auch plötzlich das lyrische Ich im Raum auf, die ich niemals sah, mit flügeln

schwarz und blau.Da ist ausgesprochen interessant, die Verschiebung ist sehr schön. Denn das ist ja im Grunde Poesie: das, was ich evozieren kann, obwohl ich es vielleicht nie gesehen habe, obwohl es vielleicht gar nicht da ist. Ich finde es sehr schön, zu sagen: etwas, das ich niemals sah, ist genau so und so. Es gibt eine geschaffene Welt und eine vorgestellte Welt und die beiden schieben sich langsam ineinander, entlang der räumlichen Markierungen von drinnen und draußen. Die Phantasie evoziert die Tauben und plötzlich sind sie trotzdem tatsächlich da, schwarz und blau. Die vorgestellte Welt des Endes kommt zur Deckung mit der konkreten Welt des Beginns. Die Frage, welche dieser beiden Welten denn nun wirklicher ist als die andere, stellt sich gar nicht mehr, weil deutlich wird, dass sie sich gegenseitig stützen. Das Gedicht ist eigentlich ein Ouroboros aus Wirklichkeit und Dichtung. Das gefällt mir sehr.

 


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