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# 008
IN AUGENSCHEIN - Gespräche über anonymisierte Texte (# 008). Zu Gast: Mónika Koncz
In die Mitte des Sees flottierend, setzen sie Segel,
dröhnend die Aale, wenden sich ab vom Genus, halten
Brocken, bereit die Jagd in die Schonung zu räumen,
zu angeln, nahe Saragossa, Aragonien, Inseln des Atlas’,
die Fische zu rufen, die Begriffe aus den Augen zu reiben,
zu Tisch mit milchigen Speisen und tanzenden Pilzen.
Den Schnee rette, den Schnee rufe in armen Nächten,
die Undurchsichtigkeit kippt es ins nächste Vorspiel,
die windschiefen Welten, Überschüsse triezen den Kopf,
setzen die Fahrt schmackhaft fort, mittig den Riss
schließt er ein, wendet die ausgebeulte, grobe Furcht,
am Rande der Nebelklassen setzen die Vibrationen über.
Auch dieses Gedicht scheint recht streng gebaut, regelmäßige Verspaare, es wirkt aber stärker antikisiert.
Antikisiert?
Damit meine ich Elemente wie den Genus, die Inseln des Atlas, Hinweise auf den antiken Mythos, Andeutungen. Ich frage mich, was Nebelklassen sind, das erschließt sich mir nicht ganz. Aber es gehört irgendwie zum Bereich der Schifffahrt, die hier in ihrer alten Tradition als Metapher aufgerufen wird: als Metapher für das Leben, für die Dichtung selbst. Ein lyrisches Sie begibt sich hinaus auf Fahrt, die Fische zu rufen, den Schnee zu retten. Es könnte ein barockes Gedicht sein, auch wenn es kein barockes Gedicht ist. Vor allem die Verschiebung am Ende, setzen die Vibrationen über, das ist eine sehr moderne Bewegung, die in einen Kontrast mit den gesuchten, alt wirkenden Formulierungen und auch Konzepten in den vorhergehenden Strophen tritt. In der Mitte setzt die Kippbewegung ein. Es gibt in diesem Gedicht noch die alte Vorstellung von mehreren, verschiedene Welten, die man entdecken kann - und nicht nur eine einzige globalisierte Welt, die schlichtweg vernetzt ist. Fische und Schnee können noch angerufen werden. Das ist sehr schön.
Aber eine gewisse Distanz wird schon eingenommen: es wird berichtet, dass der Schnee angerufen werden kann. Das Gedicht selber hält sich von Anrufungen fern. Oder?
Das Gedicht beschreibt eine Abkehrbewegung von den Anrufungen, den alten Gewissheiten, dem heimatlichen Hafen. In der Mitte kippt das ganze, und im letzten Vers, löst es sich auf und gewinnt plötzlich Gegenwart. Die alte Sicherheit des Atlas, der die Welt auf seinen Schultern trägt, die Götter des Ortes, bricht plötzlich weg. Die Auflösung hat sich schon damit vorbereitet, dass die Begriffe aus den Augen gerieben werden. Da klingt auch eine gewisse Sehnsucht mit. Der sichere Hafen wird verlassen, hinaus in Offene. Zugleich ist da eine Tendenz zur Verpuppung: Welten in den Welten und ein Vorspiel vor dem Vorspiel vor dem Vorspiel, eine Art mise en abyme. Überschüssiges, Windschiefes, es geht um eine Reisebewegung, in der verschiedene Welten ineinander kippen, um sich am Ende in Nebeln und Vibrationen aufzulösen. Vom Ende her wird auch die unklare Bedrohung klar, in die man hineinfällt, sobald man den Hafen verlassen hat, sobald auch die Anrufungen vielleicht nicht mehr funktionieren. Furcht und Bodenlosigkeit werden spürbar. Nach Aufbruch vom klassischem Boden, hinaus aus dem Hafen, bleiben nur Vibrationen, die übersetzen - wohin auch immer. Ich finde, das ist ein ausgezeichnetes Gedicht, und es ist unmöglich zu sagen, ob ich damit fertig bin.