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Interview
Persische Dichtung – neu übersetzt - Im Gespräch mit Ali Ghazanfari
GERRIT WUSTMANN: In der deutschen Lyrik des 21. Jahrhunderts stehen freie Formen im Vordergrund, in erster Linie wird mit Sprache experimentiert, Sprachräume erweitert, immer wieder finden sich aber auch Reminiszenzen an die Klassiker. In welchem Bezug, formal wie inhaltlich, steht die moderne iranische Lyrik zu Klassikern wie den von Ihnen neu übersetzten? Was für eine Lyrik schreibt die junge Generation?
ALI GHAZANFARI: Hier im Iran wird wie überall in der Welt, wo Literatur sozusagen die Nahrung der jungen Generation ist, mit der Sprache genau experimentiert, manchmal jedoch in übertriebener Weise. Diese Experimente machen viele Dichter im Iran, auch ältere. In der Vergangenheit war es sehr schwierig, und für eine bedauerliche Periode schien es fast unmöglich, freie Formen als Gedicht anzubieten. Als vor etwa 75 Jahren Ali Esfandiari, bekannt als „Nima Youschidsch“, avantgardistisch für freie Formen auftrat, wurden er und seine Gedichte aufs Härteste kritisiert. Er wurde sogar von einigen Literaten, die später selbst in freien Formen dichteten, unter anderem beschuldigt, die persische Dichtung und Literatur in eine völlig falsche und beschämende Richtung zu lenken. Aber Gott sei Dank! Er leistete Widerstand, und heute genießt er einen besonderen Ruhm.
Die Reminiszenzen an die Klassiker sind unvermeidbar, denn sie gehören der schönen persischen Sprache und sollen auch lebhaft weitergeführt werden. Wichtig sind hierbei die Innovationen der jungen Dichter, die die Courage besitzen, die klassische Dichtung mit neuen Metaphern zu legieren. Ich finde diese Innovationen wunderschön, denn sie öffnen neue Sprachfenster.
Die junge Generation befasst sich in dieser Form mit der klassischen Dichtung, wobei sie die freie Form auch darbietet. Eine Form der Dichtung, die man auch hier Postmodernismus nennt. Manche gehen dabei zu weit und verletzen die Sprache, sie reihen Wörter einfach aneinander oder ersetzen sie durch bedeutungslose Metaphern. Selbst ein Dichter wie ich, der sowohl in klassischer, als auch in der freien Form dichtet, versteht weder den Sinn noch die Richtung. Ein Dichter ist immer Teil der Gesellschaft, und seine Gedichte müssen gesellschaftliche, politische und soziale Aspekte seines Landes und die der Welt antasten. Er darf nie vergessen, sich einfach und deutlich für Menschlichkeit, Freiheit und Gerechtigkeit einzusetzen und diese in seinen Gedichten darzubringen. Sein Gedicht darf kein Verfallsdatum haben, sonst hat auch der Dichter eins!
GERRIT WUSTMANN: Während die Lyrik in Deutschland eher ein Nischendasein fristet, gilt sie in Iran als hohe Kunstform. Der Qur’an, der ja auch in Versen verfasst ist, liegt nicht selten Seite an Seite mit Hafez’ Diwan. Gibt es in Iran heute eine breite Öffentlichkeit für lyrisches Schaffen?
ALI GHAZANFARI: Hafez Diwan ist für die Iraner wie ein heiliges Buch. Ich stelle keinen Gegenstand auf seinen Diwan. Richtig! Die Lyrik ist im Iran eine hohe Kunstform und es gibt auch eine Vielzahl von Menschen, die sich mit Lyrik befassen, doch die Zahl der Leser und Lyrikinteressenten lässt auch hier nach. Eine sehr unangenehme Position der Lyrik, wie ich finde, die wir einer nicht sehr intensiven und langfristigen Kulturarbeit in Deutschland und Iran zu verdanken haben.
Man hat es zum Beispiel auch heute noch versäumt, beim Eintritt in die Globalisierungsphase einen Kulturplan aufzustellen – darunter leidet auch die Lyrik. Hierbei geht es nicht darum, alle Menschen für Lyrik zu interessieren. Es geht viel mehr darum, dass man durch Lyrik die Kulturen leichter zusammenbringen kann, und eine Basis der Völkerverständigung geschaffen wird. Lyrik ist ein wichtiges Element für den Kulturaustausch. Doch leider wird dieses Genre als eine Nebensächlichkeit betrachtet. Ich bin aber der Meinung, dass es eine Aufgabe des Kulturprogramms jedes Landes sein muss, sich intensiv damit zu befassen.
GERRIT WUSTMANN: Leider erscheint nur sehr wenig persische Literatur auf Deutsch. Neben den Klassikern gibt es Übersetzungen von Sadegh Hedayat – der „iranische Kafka“ -, Mahmoud Doulatabadi, Abbas Kiarostami, Abbas Maroufi (der in Deutschland lebt), Bozorg Alavi, Huschang Golschiri und einigen weiteren bedeutenden Autoren. Wäre es nicht interessant, besonders jungen iranischen Autoren durch Übersetzungen ein internationales Publikum zu eröffnen und über die Literatur einen interkulturellen Austausch zu fördern, der auf politischer Ebene kaum stattfindet?
ALI GHAZANFARI: Sie haben es auf den Punkt gebracht. Ich traf auf der Frankfurter Buchmesse den Leiter vom „Haus der Literaten“ im Iran. Er äußerte seine Sorge dahingehend, dass sehr wenige persische Werke ins Deutsche übersetzt werden, wobei der umgekehrte Weg häufiger geschieht. Ich habe ihm die Gründe genannt und auch einen Vorschlag unterbreitet. Zum einen ist die Übersetzung fremder Sprachen in die Muttersprache immens leichter. Leider stelle ich aber fest, dass Übersetzer aktiv sind, die in dem jeweils fremden Land gar nicht gelebt haben oder nur für eine kurze Periode dort waren. Die von mir genannten „Lexikonübersetzer“ schaden dabei beiden Sprachen.
Ein weiterer Grund ist, dass solche Übersetzungen nicht programmiert sind. Sein Bedauern auszudrücken, dass sehr wenig persische Literatur ins Deutsche übersetzt wird, reicht allein nicht aus. Hierzu gehören ein langfristiges Programm und die entsprechenden Mittel. Es ist völlig richtig, dass man über die Literatur den interkulturellen Austausch besser fördern kann, als auf politischer Ebene. Doch muss dieses Verständnis auf beiden Seiten vorhanden sein. Die verantwortlichen Organisationen im Iran müssen schnell reagieren und eine Arbeitsgruppe bilden, um die Werke zu selektieren und zu übersetzen. Anders ausgedrückt: Der fast ausgetrocknete Fluss braucht Wasser. Vor allem der jungen Generation würde es gut tun, wenn man diese Aufgabe neu überdenkt. Schauen Sie sich die drei erschienen Bücher von Rumi, Hafez und Saadi an! Diese Bücher müssten eigentlich von iranischen Organisationen und Behörden in ganz Iran verteilt werden, doch ich sehe keine Bewegung in dieser Hinsicht.
ALI GHAZANFARI: Hier im Iran wird wie überall in der Welt, wo Literatur sozusagen die Nahrung der jungen Generation ist, mit der Sprache genau experimentiert, manchmal jedoch in übertriebener Weise. Diese Experimente machen viele Dichter im Iran, auch ältere. In der Vergangenheit war es sehr schwierig, und für eine bedauerliche Periode schien es fast unmöglich, freie Formen als Gedicht anzubieten. Als vor etwa 75 Jahren Ali Esfandiari, bekannt als „Nima Youschidsch“, avantgardistisch für freie Formen auftrat, wurden er und seine Gedichte aufs Härteste kritisiert. Er wurde sogar von einigen Literaten, die später selbst in freien Formen dichteten, unter anderem beschuldigt, die persische Dichtung und Literatur in eine völlig falsche und beschämende Richtung zu lenken. Aber Gott sei Dank! Er leistete Widerstand, und heute genießt er einen besonderen Ruhm.
Die Reminiszenzen an die Klassiker sind unvermeidbar, denn sie gehören der schönen persischen Sprache und sollen auch lebhaft weitergeführt werden. Wichtig sind hierbei die Innovationen der jungen Dichter, die die Courage besitzen, die klassische Dichtung mit neuen Metaphern zu legieren. Ich finde diese Innovationen wunderschön, denn sie öffnen neue Sprachfenster.
Die junge Generation befasst sich in dieser Form mit der klassischen Dichtung, wobei sie die freie Form auch darbietet. Eine Form der Dichtung, die man auch hier Postmodernismus nennt. Manche gehen dabei zu weit und verletzen die Sprache, sie reihen Wörter einfach aneinander oder ersetzen sie durch bedeutungslose Metaphern. Selbst ein Dichter wie ich, der sowohl in klassischer, als auch in der freien Form dichtet, versteht weder den Sinn noch die Richtung. Ein Dichter ist immer Teil der Gesellschaft, und seine Gedichte müssen gesellschaftliche, politische und soziale Aspekte seines Landes und die der Welt antasten. Er darf nie vergessen, sich einfach und deutlich für Menschlichkeit, Freiheit und Gerechtigkeit einzusetzen und diese in seinen Gedichten darzubringen. Sein Gedicht darf kein Verfallsdatum haben, sonst hat auch der Dichter eins!
GERRIT WUSTMANN: Während die Lyrik in Deutschland eher ein Nischendasein fristet, gilt sie in Iran als hohe Kunstform. Der Qur’an, der ja auch in Versen verfasst ist, liegt nicht selten Seite an Seite mit Hafez’ Diwan. Gibt es in Iran heute eine breite Öffentlichkeit für lyrisches Schaffen?
ALI GHAZANFARI: Hafez Diwan ist für die Iraner wie ein heiliges Buch. Ich stelle keinen Gegenstand auf seinen Diwan. Richtig! Die Lyrik ist im Iran eine hohe Kunstform und es gibt auch eine Vielzahl von Menschen, die sich mit Lyrik befassen, doch die Zahl der Leser und Lyrikinteressenten lässt auch hier nach. Eine sehr unangenehme Position der Lyrik, wie ich finde, die wir einer nicht sehr intensiven und langfristigen Kulturarbeit in Deutschland und Iran zu verdanken haben.
Man hat es zum Beispiel auch heute noch versäumt, beim Eintritt in die Globalisierungsphase einen Kulturplan aufzustellen – darunter leidet auch die Lyrik. Hierbei geht es nicht darum, alle Menschen für Lyrik zu interessieren. Es geht viel mehr darum, dass man durch Lyrik die Kulturen leichter zusammenbringen kann, und eine Basis der Völkerverständigung geschaffen wird. Lyrik ist ein wichtiges Element für den Kulturaustausch. Doch leider wird dieses Genre als eine Nebensächlichkeit betrachtet. Ich bin aber der Meinung, dass es eine Aufgabe des Kulturprogramms jedes Landes sein muss, sich intensiv damit zu befassen.
GERRIT WUSTMANN: Leider erscheint nur sehr wenig persische Literatur auf Deutsch. Neben den Klassikern gibt es Übersetzungen von Sadegh Hedayat – der „iranische Kafka“ -, Mahmoud Doulatabadi, Abbas Kiarostami, Abbas Maroufi (der in Deutschland lebt), Bozorg Alavi, Huschang Golschiri und einigen weiteren bedeutenden Autoren. Wäre es nicht interessant, besonders jungen iranischen Autoren durch Übersetzungen ein internationales Publikum zu eröffnen und über die Literatur einen interkulturellen Austausch zu fördern, der auf politischer Ebene kaum stattfindet?
ALI GHAZANFARI: Sie haben es auf den Punkt gebracht. Ich traf auf der Frankfurter Buchmesse den Leiter vom „Haus der Literaten“ im Iran. Er äußerte seine Sorge dahingehend, dass sehr wenige persische Werke ins Deutsche übersetzt werden, wobei der umgekehrte Weg häufiger geschieht. Ich habe ihm die Gründe genannt und auch einen Vorschlag unterbreitet. Zum einen ist die Übersetzung fremder Sprachen in die Muttersprache immens leichter. Leider stelle ich aber fest, dass Übersetzer aktiv sind, die in dem jeweils fremden Land gar nicht gelebt haben oder nur für eine kurze Periode dort waren. Die von mir genannten „Lexikonübersetzer“ schaden dabei beiden Sprachen.
Ein weiterer Grund ist, dass solche Übersetzungen nicht programmiert sind. Sein Bedauern auszudrücken, dass sehr wenig persische Literatur ins Deutsche übersetzt wird, reicht allein nicht aus. Hierzu gehören ein langfristiges Programm und die entsprechenden Mittel. Es ist völlig richtig, dass man über die Literatur den interkulturellen Austausch besser fördern kann, als auf politischer Ebene. Doch muss dieses Verständnis auf beiden Seiten vorhanden sein. Die verantwortlichen Organisationen im Iran müssen schnell reagieren und eine Arbeitsgruppe bilden, um die Werke zu selektieren und zu übersetzen. Anders ausgedrückt: Der fast ausgetrocknete Fluss braucht Wasser. Vor allem der jungen Generation würde es gut tun, wenn man diese Aufgabe neu überdenkt. Schauen Sie sich die drei erschienen Bücher von Rumi, Hafez und Saadi an! Diese Bücher müssten eigentlich von iranischen Organisationen und Behörden in ganz Iran verteilt werden, doch ich sehe keine Bewegung in dieser Hinsicht.
GERRIT WUSTMANN: Ich danke für dieses Gesprach.