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Essay
Er ging zu Andrea Doria - Die permanente Reform an den deutschen Universitäten
Die Reform der Reform der Reform frisst die Reform der Reform. Warum? Es sind keine Kinder mehr übrig, und Revolution sagt man heute nicht mehr; besonders im Verwaltungswesen. Besonders wo diese Verwaltung auf leicht entzündliche Gemüter trifft: auf Studenten, an Universitäten. Gefressen wird dennoch, und nachdem die schon jetzt so genannten Alten Studiengänge verschlungen sind, werden die Neuen wiedergekäut und im laufenden Betrieb stetig weiter verändert. Eine Änderung jagt die nächste, eine Umstellung die andere, und all die Universitäten, die gleichgeschaltet werden sollten, stehen sich immer mehr als unvereinbare Fremdkörper gegenüber. Auf dem jüngst vergangenen Bildungsgipfel mit Ministerin Schavan allerdings schien den Verlautbarungen nach alles in bester Ordnung zu sein mit den Bologna-Reformen. Reform wird gesagt, wohl, um den Beigeschmack von Schafott zu vermeiden, den „Revolution“ hinterlässt. An der Sache muss sich dabei nichts ändern. Es ist abzusehen, dass die geänderten Studienpläne noch weiter geändert werden, sei es durch den Druck, den der Bildungsstreik erfolgreich ausübt, sei es durch die anstehenden Kürzungen, die den schnöden Mammon pünktlich zur Ankunft der doppelten Abiturjahrgänge erwarten. In der besten aller Welten ist es wie immer herzlich schlecht.
Der berüchtigte Bologna-Prozess geht, aufbauend auf ähnliche Übereinkünfte seit 1997, auf Unterschriften zurück, die 1999 in der Stadt geleistet wurden, die die älteste Universität Europas besitzt. Die Ziele bestanden in einer Erhöhung der studentischen Mobilität auf dem Kontinent, der strafferen Strukturierung des Studiums, sowie, selbstredend, in der durchschlagskräftigen Berufsqualifizierung. Diese Ziele und ihre grundsätzliche Erreichbarkeit möchte ich hier nicht weiter besprechen: das Problem ist die Umsetzung, das Übel liegt in den Folgeschäden, in der Logik der Lawine. Konsekutive Studiengänge wurden eingeführt, genannt Bachelor und Master, die plötzlich in kurzer Zeit herbeiführen sollten, was die alten langen Studien ihrem Selbstverständnis nach nur indirekt herbeiführen wollten: Ausbildung statt Bildung. Hier könnte bereits ein wenig Nostalgie aufkochen. Aber die Tage, als beispielsweise August Wilhelm Schlegel im Rahmen der Universität großartig gelehrte und ökonomisch nutzlose Dinge tat und etwa als Professor in Bonn zweisprachige Bücher in Sanskrit und Latein drucken ließ, die waren längst schon, längst schon vorbei. Die heutige Katastrophe liegt vielmehr in den Reformen, die sich mit der Reform kombinieren, und den Reformen der Reform. Denn die komprimierte Zeit des Studiums blieb nicht lang die einzige Änderung. Die Einführung der Studiengebühren (in der Folge des entsprechenden Urteils des Bundesverfassungsgerichtes 2005) sei hier exemplarisch auf die Nadel gespießt, wie es auch die Faust ins Auge war. Die Reform wollte, wie es so schön heißt, eine „Harmonisierung der Architektur der europäischen Hochschulbildung“ erreichen, aber die Baumeister scheinen vergessen zu haben, dass sie es nicht mit Steinen zu tun haben. Selbst die alte christliche Metapher von den lebendigen Werksteinen, aus denen die Kirche gefügt ist, erschien mir schon immer zu brutal, um eine interagierende Gruppe von Menschen zu beschreiben. Nun aber wurden alle studentischen Handlungen wirklich degradiert zu einem Ziegel im konsekutiven Gefüge, Stein und Mörtel ist es geworden, und man wagt kaum zu vermuten, wer sich hier eine Pyramide schichtet. Nein, es muss auch heute im Zeitalter der Abgeklärtheit erlaubt sein, das Bild noch drastischer zu fassen: man wagt kaum, zu vermuten, wer die universitäre Wiese zum Torfstechen freigegeben hat, um die neue Architektur aus Stampflehm mit tristem Brennstoff zu versorgen.
Als ich begann, zu studieren, nahm ich das, was mir begegnete, naturgemäß als Normalität hin. Gewiss hatte es die Spannung des Experiments, den zweiten Jahrgang eines B.A.-Studiengangs zu besuchen, den noch niemand abgeschlossen hatte. Die Nachbesserungen, die die Evaluationen des ersten Jahrgangs gebracht hatten, tröpfelten nach und nach ein. Indessen dachte ich, aufgegangen in einem Alltag langer Tage, es sei normal, so viele Veranstaltungen zu besuchen. Universität war doch etwas anderes als Schule. Ich wusste von keiner Alternative, als jedes Semester eine groteske Anzahl von Hausarbeiten noch während der Vorlesungszeit zu verfertigen, und gleichzeitig Seminare und Klausuren vorzubereiten. Ich dachte, es sei normal, nicht nur nach Gebühr lustig zu sein und sich zu betrinken, sondern auch als Hörer aller Fakultäten das Angebot andrer Institute sowie Ringvorlesungen zu den randständigsten Themen der Welt zu besuchen. Da ich das Glück hatte, nach wie vor an der Nabelschnur meiner Eltern zu hängen, wurde es normalisierte Gewohnheit, dass ein studentischer Arbeitstag eben zehn bis zwölf Stunden dauern würde. Vielleicht muss man dazusagen, dass ich nicht Jura oder Medizin studierte, sondern Deutsche Literaturwissenschaften.
Ich freundete mich mit dem Motto an, das der große Leon Battista Alberti auf seine Schaumünzen hatte prägen lassen: „Quid tum!“, was nun!, was als nächstes!, und das ist mit einem Unterton freudiger Neugier zu verstehen. Als sich aber gegen Ende des Studiums absehen ließ, dass ich meine mir zugemessenen sechs Semester mit vier verschiedenen Prüfungsordnungen studiert hatte, war ich längst unmutig geworden. Oft genug fand sich im ganzen Institut nur ein einziger Mensch, der wusste, welche Leistung wo zu erbringen sei, und da er verständlicherweise recht beschäftigt war, das den Dozenten und Studenten zu erklären, verlor auch er bald den Anschluss und den Überblick. Vollends ärgerlich wurde es, als ich, Student eines Verwaltungskonstrukts, das angeblich geschaffen wurde, um meine Mobilität zu erhöhen, nur deshalb kein gültiges Erasmus-Semester absolvieren durfte, weil ich eben ein B.A. war. Nicht einmal in Wien ließ sich noch Germanistik studieren, wenn man einmal in Süddeutschland angefangen hatte. (Inzwischen weiß ich, dass es sogar in Städten, die mehrere Universitäten beherbergen, Probleme gibt, die teilweise schon traditionsreiche Zusammenarbeit aufrecht zu erhalten.) Das waren durchaus seltsame Effekte, aber lehrte mich viel über Worte, den Sprechakt des Versprechens und Politik. Aber dann wurde weiter geändert, und eine Welle der Kompensation wurde spürbar. Die Streichungen waren nun beim Studieninhalt angekommen, denn von der Zeit war nichts mehr übrig. Bei gleich bleibender Vorlesungsdauer wurden die Inhalte immer größer, damit sie dem bloßen Namen nach in die Module eingemauert werden konnten. Es begann ein unseliges Geschacher mit Punkten und Prüfungen. An jedem nachrückenden Jahrgang sahen wir verwundert, dass die etwas ganz andres studierten, nicht zuletzt viel weniger. Die Spannung des Experiments war eine Wahrnehmung aus der falschen Perspektive gewesen: wir waren nicht die Experimentatoren gewesen, sondern die Versuchskaninchen. Man könnte vielleicht sagen, dass wir schließlich, nach sechs Semestern, unseren Abschluss auf den letzten trockenen Planken eines sinkenden Schiffes gemacht hatten; wenn schon völlig überarbeitet, so doch weidlich mit hochwertiger Information gemästet. Aber man kann es nicht sagen, denn ein sinkendes Schiff behält wenigstens der Splitterung seine Form. Genau genom¬men gab es meinen Studiengang bereits nicht mehr, als ich ihn abgeschlossen hatte.