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Interview
Apocalypso - Aus Briefen von Ulrich Bergmann (Bonn) und HEL Toussaint (Berlin) 1993-2010
UB: Ich lebe wieder gern. Aber du meinst, das halte nicht an, wir mumifizieren uns bei lebendigem Leib in dem, was wir für Liebe halten. Und in meinen Geschichten schimmere das durch, sagst du. Ja, was ich weiß, lebe ich nicht. Ich habe nichts Besseres als diese Liebe, die im Werden schon wieder stirbt. „Tja, und so laufen wir dann. … verlängerte jugend, gesundes alter, verminderte arbeit, elektronisches weltgespräch,.. Genügt es, das zu verteidigen?“, fragst du. Ich weiß es nicht. Wir haben nichts Besseres. Ich vermute, dass wir im Wesentlichen nicht viel anders leben als unsere Vorgänger, allerdings verfeinert, aber Sinnsuche und –findung ist wie eh und je. Wildnis nimmt ab. Das Neue wird immer langweiliger. Es geht in der akzelerierten und immer massierteren Quantität unter, während Qualität stagniert. Glaube und Hoffnung auf echte (humanistische) Forschritte nimmt immer mehr ab – eine gute Voraussetzung allerdings für das SAPERE AUDE und die Umsetzung des Lebens in eine neue Bescheidenheit, vielleicht gelingt uns dann doch noch (List der Geschichte, List der Dialektik) eine bessere Welt, die sich jeder selbst setzt, so gut er kann – allerdings wird das bei Zunahme sozialmaterieller Unterschiede nicht gelingen.
HEL: ... Und reziprok wieder so wie Du den Arthur schreibst und der Arthur Dich: Wie gehn die „akzelerierten Quantitäten“ um mit uns? das sind ja dauertsunamis.
HEL: Modern bin ich wider willen, zumal ich gar nicht weiß auf was für ne moderne ich gesetzt bin: wer in der postmoderne moderne spielt, was für ne epoche vertritt der wohl? und von der postmoderne sieht man ja auch schon wieder die staubwolke, und bei der staubwolke weißt du nie ob’s was wird oder ob’s das war, mit sturm über Zipfelasien. Ich will nicht bausklave an der Chinamauer, ich will mein Kakanien wieder, provinz Belgica, druide, wenn auch nichtapprobiert, also der schweigepflicht entbunden. Vielleicht heißt „größer“ einfach: der saß nicht auf planstelle, der schuf sie: Shakespeare und so.
UB: Ich gebe zu, dass es größere und kleinere Epochen gab. Thomas Mann hatte das Glück, dass er sich mit seinen Romanen noch an den poetischen Realismus eines Fontane dranhängen konnte, vielleicht war er sogar der Vollender des Realismus in einer schon ganz anderen Zeit. Thomas Mann implantierte in das realistische Erzählen die Methode der Montage und gab seinen Romanen den Aspekt einer Großmetapher. Seine polyphone Ironie ist ein Erzählstil für die größten Gebäude - nämlich die Innenwelten seiner Romanhelden. In der Erfindung und im Erzählen (Ton und Ausgestaltung des Stoffs) ist Thomas Mann Fontane ebenbürtig, in der verknappenden Verdichtung ist Fontane stärker. Mann stopft teils zuviel Bildung in seine Romane, propft ihnen zu viele Anspielungen auf, vernetzt zuviel Welt und Geist. Vielleicht sind beide gleich große Giganten. Beide knüpfen an bedeutende Vorgänger an und gipfeln sie auf.
Ich habe für das Schreiben sehr verschiedene Motive. Teils ist es reine Lust an der Sprache - oder Spiellust. Teils verarbeite ich Dinge, die in mir sind. So gesehen sind manche meiner Erzählungen auch Zweitträume oder Tagträume, oder Erkenntnisvorgänge, die im Rahmen eines Kunstwerks ins Allgemeine erhoben werden, wenn sie mir gelingen. Und mich treibt die Lust an der Erschaffung einer verbalen Wirklichkeit an, die einen Erkenntnisprozess enthält und beim Leser (in seiner Deutung, falls er sie leistet) evoziert. Was die Wahrheit angeht, so finde ich den Gedanken, dass der Dichter wie der Mathematiker jeweils seine Sprache als Erkenntnisinstrument benutzt, überzeugend. Ich habe schon oft gedacht: Ein erzählerisches Kunstwerk hat viel mit den Tautologien zu tun, die die ganze Mathematik ausmachen - Russell und Whitehead zeigen das für die Aussagenlogik in ihrem Buch „Principia Mathematica“, und Ludwig Wittgenstein scheitert in seiner Sprachphilosophie an der Beschreibung der Welt durch Sätze - zuletzt ist auch das Nichtwissenkönnen ein tautologisches System auf der Grundlage von (nicht hinterfragbaren) Axiomen - wie sämtliche Sätze irgendeiner Mathematik.
Der Zauberberg und die Zeit - das ist ein Spiel, ein Spiel mit dem Leben des Protagonisten, der seine Zeit verliert an seine bewusste Suche nach Lebenssinn, den Castorp im Schnee-Kapitel findet („Du sollst dem Tod keine Macht einräumen über das Leben“) und sogleich wieder vergisst. Castorp will lieben, liebt aber nur platonisch, noch nicht einmal sich selbst, er findet nicht den Weg zum begehrten Körper (Madame Chauchat) - und so wird der Roman zur Großmetapher, die wir wie einen Mythos verstehen können, der auch unser heutiges Leben beherrscht, wenn wir ihn nicht brechen. Wie Derrida ist Thomas Mann ein Mythenbrecher, als Erzähler und didaktischer Wiederverwender alter Mythen. Man(n) kann die Mythen nur mit den Mythen zerstören. Anders gesagt: Die Mythen (ver)wandeln sich nur, eigentlich bleiben sie bestehen, sie zerbrechen heißt also nur, sie zu erkennen. Vielleicht kann man einen Mythos (im Sinne archetypischen Seins) nur durch einen anderen Mythos, den wir drüber stülpen, aufheben, ganz im Sinne Hegels, also dialektisch. Nur in der Bewusstwerdung sind wir gottähnlich. Ich denke, der biblische Schöpfungsbericht kann in dieser Weise gedeutet werden.
HEL: ... Und reziprok wieder so wie Du den Arthur schreibst und der Arthur Dich: Wie gehn die „akzelerierten Quantitäten“ um mit uns? das sind ja dauertsunamis.
HEL: Modern bin ich wider willen, zumal ich gar nicht weiß auf was für ne moderne ich gesetzt bin: wer in der postmoderne moderne spielt, was für ne epoche vertritt der wohl? und von der postmoderne sieht man ja auch schon wieder die staubwolke, und bei der staubwolke weißt du nie ob’s was wird oder ob’s das war, mit sturm über Zipfelasien. Ich will nicht bausklave an der Chinamauer, ich will mein Kakanien wieder, provinz Belgica, druide, wenn auch nichtapprobiert, also der schweigepflicht entbunden. Vielleicht heißt „größer“ einfach: der saß nicht auf planstelle, der schuf sie: Shakespeare und so.
UB: Ich gebe zu, dass es größere und kleinere Epochen gab. Thomas Mann hatte das Glück, dass er sich mit seinen Romanen noch an den poetischen Realismus eines Fontane dranhängen konnte, vielleicht war er sogar der Vollender des Realismus in einer schon ganz anderen Zeit. Thomas Mann implantierte in das realistische Erzählen die Methode der Montage und gab seinen Romanen den Aspekt einer Großmetapher. Seine polyphone Ironie ist ein Erzählstil für die größten Gebäude - nämlich die Innenwelten seiner Romanhelden. In der Erfindung und im Erzählen (Ton und Ausgestaltung des Stoffs) ist Thomas Mann Fontane ebenbürtig, in der verknappenden Verdichtung ist Fontane stärker. Mann stopft teils zuviel Bildung in seine Romane, propft ihnen zu viele Anspielungen auf, vernetzt zuviel Welt und Geist. Vielleicht sind beide gleich große Giganten. Beide knüpfen an bedeutende Vorgänger an und gipfeln sie auf.
Ich habe für das Schreiben sehr verschiedene Motive. Teils ist es reine Lust an der Sprache - oder Spiellust. Teils verarbeite ich Dinge, die in mir sind. So gesehen sind manche meiner Erzählungen auch Zweitträume oder Tagträume, oder Erkenntnisvorgänge, die im Rahmen eines Kunstwerks ins Allgemeine erhoben werden, wenn sie mir gelingen. Und mich treibt die Lust an der Erschaffung einer verbalen Wirklichkeit an, die einen Erkenntnisprozess enthält und beim Leser (in seiner Deutung, falls er sie leistet) evoziert. Was die Wahrheit angeht, so finde ich den Gedanken, dass der Dichter wie der Mathematiker jeweils seine Sprache als Erkenntnisinstrument benutzt, überzeugend. Ich habe schon oft gedacht: Ein erzählerisches Kunstwerk hat viel mit den Tautologien zu tun, die die ganze Mathematik ausmachen - Russell und Whitehead zeigen das für die Aussagenlogik in ihrem Buch „Principia Mathematica“, und Ludwig Wittgenstein scheitert in seiner Sprachphilosophie an der Beschreibung der Welt durch Sätze - zuletzt ist auch das Nichtwissenkönnen ein tautologisches System auf der Grundlage von (nicht hinterfragbaren) Axiomen - wie sämtliche Sätze irgendeiner Mathematik.
Der Zauberberg und die Zeit - das ist ein Spiel, ein Spiel mit dem Leben des Protagonisten, der seine Zeit verliert an seine bewusste Suche nach Lebenssinn, den Castorp im Schnee-Kapitel findet („Du sollst dem Tod keine Macht einräumen über das Leben“) und sogleich wieder vergisst. Castorp will lieben, liebt aber nur platonisch, noch nicht einmal sich selbst, er findet nicht den Weg zum begehrten Körper (Madame Chauchat) - und so wird der Roman zur Großmetapher, die wir wie einen Mythos verstehen können, der auch unser heutiges Leben beherrscht, wenn wir ihn nicht brechen. Wie Derrida ist Thomas Mann ein Mythenbrecher, als Erzähler und didaktischer Wiederverwender alter Mythen. Man(n) kann die Mythen nur mit den Mythen zerstören. Anders gesagt: Die Mythen (ver)wandeln sich nur, eigentlich bleiben sie bestehen, sie zerbrechen heißt also nur, sie zu erkennen. Vielleicht kann man einen Mythos (im Sinne archetypischen Seins) nur durch einen anderen Mythos, den wir drüber stülpen, aufheben, ganz im Sinne Hegels, also dialektisch. Nur in der Bewusstwerdung sind wir gottähnlich. Ich denke, der biblische Schöpfungsbericht kann in dieser Weise gedeutet werden.