Waldundwiesen-Kriminal-Erzählungen Teil 1/30

Prosa

Autor:
Mechthild Curtius
 

Prosa

Kirschenfliege. Liebes-Kriminal.

        Die forensische Entomologie, kriminalistische Insektenkunde, ist nun mein Beruf. Alles wegen der Kinderliebe unter dem Kirschbaum. Alles wegen der helläugigen Maria aus dem Obststädtchen Ceratz. Uralte römische Siedlung in der Wetterau soll das Dorf gewesen sein, heißt es, die Römer hätten mit ihrer Sprache die Weintrauben eingeschleppt. Und später zisterziensische Mönche das ebenso sonnenliebende Steinobst, Pfirsich, Aprikose und Kirsche, Cerasus.
Zu jedem Kirschenfest haben sie das gepredigt, die ganze Region lebt von den schwarzroten Süßkirschen. Das Gebäck aus Teig und Kirschen, genannt "Kerschemischel" (Kirschenmichel) , wurde gebacken; viel Saft, Most, Kirschwein und Edelbrand flossen durch hessische Kehlen. Bis aus Frankfurt kamen sie her. Es war im Jahr des Skandals, weil die schöne Tochter des Kirschbauern Griedelbach die Kirschenprinzessin war, unter der Krone aus Kirschen, rot wie Blut, war ihr Haar schwarz wie Ebenholz, Gesicht weiß wie Schnee, schöner denn je, Wetterauer Schneewittchen, schrieben die Frankfurter Zeitungen, und auch im Fernsehen konnte das jeder bemerken. Beobachten auch, dass sie sich so sicher wie jede bewegte. Aber die aus dem Dorf, die wussten es anders und waren empört: >Eine Prinzessin iss net blind! <

Bäume der Süßkirschen waren es, die unsere erste Liebe im Frühjahr mit Blütenblättern überschneiten. Das gesprossene Gras duftet Ende März zu den runden Blütenknospenkugeln hinauf. Im April recken sich die fingerlangen Ähren des Wiesenfuchsschwanzes und zeigen wie Pfeile in die weitoffenen weißen Kelche der Obstblüten mit den fliegenbeindünnen rotbraunen Staubfäden. Den Finger meiner Geliebten lege ich in eine Blüte, im nächsten Jahr wird sie es wissen, weil ich auf diese Weise versuche, der blinden Freundin die Formen und Farben mittels Fühlen und Riechen zu zeigen: ist eine Blüte weit offen, sind die Seidenhäutchen runtergeklappt, dann reift die Farbe von weißlich zu hellbraun. Das wieder nähert sich der Farbe vom Lehm, wie der riecht, weiß sie genau, wie der sich anspürt, körnig bei Sonne, schmierend zwischen zwei Fingern bei Regen und duftend wie die Scheunenwand, an die ich sie manchmal anlehne. Im Juni baumeln die Grassamen dem Mädchen in die Hand, steigen mir in die Nase, und ich muss niesen. Das ist dann, wenn die Kirschen reif sind und wir die dunkelroten Saftkugeln schmecken, samt Maden, das macht nichts. Wenn nur die grünblauen Fliegen fortblieben. Blüten, Blatt, überall über und unter, drunter und drüber. Haut und Haare. Fass zu, damit ich dich sehe. Wir überlegen uns, wie es wäre, wenn alle Menschen nur vier Sinnen hätten. Berühren statt Sehen. Kinderliebe im Gras. Stehen. Gehen. Rennen. Auf gleicher Höhe sind die Köpfe, fliegen braunrote Haare, Schleife schwebt fort in der Zugluft im Tal.  Nasse Halme würden dem weißen Kleid grasgrüne Flecke machen, verraten, Geheimnistuerei im Dorfe vorbei. Mitten im Wegrain. Hände, Gesicht, Arme, bis zum Ellenbogen, Stoff hochstreifen, keiner guckt, die Sonne rotiert sich ein Fenster durch die Regenwolken frei, Licht erhitzt, Wasser dunstet den Grasduft nach oben, Wind weht warm und heftig, Sturm bläst die Spinnenweben nördlicher Nebelfelder aus den Gehirnen und lässt die Grillen verstummen. Wer nie im Freien Liebe machte, der weiß nicht, wie Ameisen beißen. Zwischen Düften haben wir uns getroffen, die andere Gestank nennen. Denn Pheromone lassen Lebewesen sich einander unter Millionen erkennen, blinden Nüstern, die sich kräftigen unter der Hand, wenn die Augen, geschlossen, zur Ruhe gebannt sind. Sprich, damit ich dich sehe. Lang vorsichtig hin, damit ich dich begreife. Wir sind unter Schwarzkirschbäumen aufgewachsen. Sie hat von Anfang an mehr gespürt und gerochen. Gestört hat mich ihr verlorenes Augenlicht nicht. Beweg dich, damit ich dich sehe. Alle Sinne einzusetzen hab ich mir viel-leicht von meiner geliebten Blinden abgeguckt. Unsere Begegnungen zwischen Blüten und Düften haben meine Berufswahl beeinflusst. Daran habe ich damals nicht gedacht, dass ich einmal für die Richter Detektiv spielen werde. Denn >forensischer Entomologe< bin ich geworden.

War es Rache oder hat es ihrer Schönheit gegolten, dass ich nun im >Fall Kirschenmord< ermittle, weil die geliebte Frau selbst Opfer wurde. Maria, mein Mädchen. Auffallend ist der starke Befall von >Rhagoletis Cerasi<, der Kirschenfliege, dreieinhalb bis vier Millimeter lang. Blaugrün-metalliges Facettenauge vor lack-schwarzem Chitinrumpf, Zweiflügler. Der Kreis hat sich geschlossen und zum Fasergras unter dem Schwarzkirschenbaum geführt, wo unser Zweier erstes und letztes Liebesbett gewesen war.   

 

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