Das freie Wort wird hart erkämpft
„Jeder Autor schaufelt sich sein Grab mit dem Stift.“
Ein Satz, den man sacken lassen muss. In der Türkei ist er Realität. In vielen anderen Ländern der Welt auch. Can Dündars neues Buch ist voll von solchen Sätzen. In der Übersetzung von Sabine Adatepe liegt es nun, pünktlich zur Frankfurter Buchmesse vor: „Verräter. Von Istanbul nach Berlin – Aufzeichnungen im deutschen Exil“. Es erscheint genau ein Jahr nach seinen „Aufzeichnungen aus dem Gefängnis“. Mehrere Monate hatte er, der studierte Politikwissenschaftler, Journalist und zuletzt Chefredakteur der großen türkischen Tageszeitung Cumhuriyet, in der Haftanstalt Silivri nahe Istanbul in Isolationshaft gesessen. Weil er als Journalist seinen Job gemacht und über illegale Waffenlieferungen des türkischen Staates an Extremisten in Syrien berichtet hatte.
In Silivri sitzen heute aus demselben Grund – Journalismus – zahlreiche seiner Cumhuriyet-Kollegen, aber auch der deutsche Journalist Deniz Yücel. Seit Dündar dort war, wurden die Haftbedingungen verschärft. Aus dem Gefängnis heraus Artikel zu schreiben, ist nicht mehr möglich. Die Post wird streng kontrolliert, die Inhaftierten dürfen oft nichtmal mehr die Bücher aus der Gefängnisbibliothek ausleihen. Der Witz ist: Auch ihre eigenen stehen dort.
Can Dündar lebt seit Mitte 2016 in Deutschland. Nach dem Putschversuch in der Türkei und der Hexenjagd auf Regimegegner konnte er nicht mehr in sein Heimatland zurückkehren. Seine Frau Dilek lebt noch in Istanbul. Ihr Pass wurde konfisziert, sie darf nicht ausreisen. Sie ist zu einer der zahlreichen Geiseln des Erdogan-Regimes geworden.
Dündar wurde seither mit Preisen überhäuft, traf den ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck im Schloss Bellevue, Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Jubiläumsempfang beim Spiegel in Hamburg, gründete gemeinsam mit Correctiv das Onlinemagazin Özgürüz („Wir sind frei“), das inzwischen auch als Printmagazin erscheint, in der Türkei aber noch vor dem Start geblockt wurde. Dündar hatte Schwierigkeiten, überhaupt Journalisten in der Türkei zu finden, die noch mit ihm arbeiten wollten. Nicht weil sie ihn nicht schätzen – sondern weil sie durch eine Kooperation selbst auf der Abschussliste landen würden. Seit dem zivilen Putsch, der auf den militärischen Putschversuch gefolgt ist, wurden Hunderte Medien verboten, über 170 Journalisten sitzen in Haft. Mehr als in jedem anderen Land der Welt. Tausende wurden arbeitslos, viele von ihnen sind geflüchtet.
„Verräter“, das ist der Titel, den der türkische Diktator Recep Tayyip Erdogan Dündar verpasste, aber Dündar kontert: Nicht er und seine Kollegen, die der Wahrheit verpflichtet sind, und denen die Türkei am Herzen liegt, sind die Verräter, sondern Erdogan und seine Steigbügelhalter selbst. Sie waren es, die eine aufkeimende Demokratie in eine repressive Diktatur ohne Pressefreiheit und Gewaltenteilung verwandelt haben. Aber die unbändige Wut des Despoten auf das freie Wort, das zeigt Dündar auf, demonstriert in erster Linie seine Angst. Ohne Gewalt könnte Erdogan sich gar nicht mehr an der Macht halten.
In den sozialen Medien und der gleichgeschalteten türkischen Presse wird Dündar immer wieder angefeindet, als „Terrorist“ verunglimpft, und Deutschland wird vorgeworfen, „einem wie ihm“ Unterschlupf zu gewähren. Dündar ist dankbar für die Sicherheit, die er hier genießt, wenn sie auch trügerisch ist, wie Drohungen und gar Besuche von AKP-Anhängern vor seiner Berliner Redaktion zeigen. Doch er Dankbarkeit ist für ihn kein Grund, zu schweigen. Im Gegenteil: Auch gegen Angela Merkel und die Bundesregierung teilt er in seinen Aufzeichnungen kräftig aus, und das mit gutem Grund. Den Flüchtlingsdeal mit Ankara sieht er als großen Fehler, er dokumentiert, wie die Kritik an den Menschenrechtsverletzungen der AKP nach Unterzeichnung des Deals augenblicklich verstummte.
Immer wieder habe er deutsche und EU-Poltiker gemahnt, die europäischen Werte auch gegenüber der Türkei aktiv einzufordern – doch er erntete kaum mehr als betretenes Schweigen. Er erinnert daran, wie Deniz Yücel die Kanzlerin auf einer Pressekonferenz gemeinsam mit dem türkischen Ministerpräsidenten auf die mangelnde Pressefreiheit ansprach. Die Kanzlerin wich der Frage aus, der Ministerpräsident sagte, es gäbe in türkischen Gefängnissen keine Journalisten. Dündar sah die Szene im Fernsehen. In seiner Zelle in Silivri. Später wurden 900.000 türkische Schulbücher vernichtet. Weil sie einen Text von Dündar enthielten. Wer Bücher verbrenne, der verbrenne irgendwann auch Menschen, schreibt Dündar. Gerade für Deutschland sollten solche Ereignisse die Kooperation mit dem Regime in Ankara in Frage stellen.
Dündars Buch ist mehr als eine persönliche Bilanz fataler politischer Umbrüche. Es ist auch eine Anklage gegen das, was in der Politik schief läuft. Nicht nur in der türkischen Politik. Die EU, das zeigt er deutlich, macht sich unglaubwürdig, wenn sie Menschenrechte predigt, diese aber durch Flüchtlingsdeals und Wegschauen mit Füßen tritt, wenn es um die Wahrung eigener Interessen geht.
Das AKP-Regime und seine Anhänger (auch in Deutschland) werden Dündar nach diesem Buch nur umso mehr angreifen und anfeinden – und damit demonstrieren, wie richtig er liegt. Mit jedem einzelnen Wort.
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