Pannen bei der Liveschaltung
In einem der wahrscheinlich überzeugendsten Gedichte aus seinem jüngsten Band, der „madlitzer elegie“, hebt Jan Wagner aus der schlichten Beobachtung und schriftlich fixierten Reihung der gewonnenen Eindrücke zum melancholischen Abgesang auf einen allemal geschichtsträchtigen Landstrich an, ohne diesen zum Glück und sehr geschickt anders als nur durch knappe Erwähnung im Titel kenntlich zu machen:
am morgen geht der maulwurfstöter um
im gelben regenmantel, löscht die haufen,
und ein paar starkstrommasten segnen stumm
das nasse land. die kronjuwelentraufen,der wind, als ob er würfle oder lose,
und forstmaschinen kriechen durch den wald
wie urgeschöpfe, langsamer als moose.
nur einmal um den see, und du bist alt.
Die Bilder und die von ihnen evozierte Atmosphäre sind selbst stark genug und reichen aus, die antagonistischen Kräfte in dieser Landschaft vors innere Auge zu bringen, so daß der leicht bemüht wirkende und letztlich funktionslose Reim unnötig ist als Ausweis von Sprachmächtigkeit und beinahe schon ein wenig stört. Dies trifft auf manche Gedichte des neuen Bands zu, obwohl es sich bei den Reimkapriolen natürlich um Jan Wagners lyrisches Markenzeichen handelt. Doch solange er aus eigener (oder vielleicht auch nur gut fingierter eigener) Anschauung schreibt oder sich früherer Zeiten erinnert, folgt man ihm sehr gerne, selbst in recht persönlichen Gedichten wie „ein onkel“ oder „tante trude“, denn es gibt im Leben wohl nur wenige Augenblicke, die keiner derartigen poetischen Zuwendung wert wären. Als Beispiel dafür sei der Beginn des Gedichts „parkhaustage“ zitiert:
hingelagert wie götter, ein olymp,
zusammengehalten von abgasaromen
und spannbeton, dem flackern der neonlampe:
deck fünf für uns, und ein deck weiter obender leuchtend abgestellte große wagen.
ich sehe uns noch: ein grölendes pack
von halb- und viertelstarken, verwegen,
trunken von freundschaft und doppelbock;
Weil Jan Wagner nicht aus dem brühwarmen Augenblick, sondern aus einer abgeklärten Distanz schreibt, wird die zarte Ironie ermöglicht, der heitere Humor, der sich nie über seinen Gegenstand derb lustig macht, beispielsweise in der „elegie auf einen lateinlehrer“. Denn gleichzeitig zehrt manches Gedicht ja vom vermeintlich sterilen Bildungsgut, so der „brief an die astomoi“, jenes bei Plinius erwähnte Volk, die Mundlosen, die an den Quellen des Ganges leben und sich allein von Gerüchen ernähren sollen. Unversehens kommt ein verblüffender Hintersinn in dieses Capriccio, weil diese Mundlosen im scheinbaren Mangel uns in puncto sinnlicher Wahrnehmung überlegen sind. Und wenn unter harmlosem Titel „schaf, hahn, ente“ im Jahr 1783 auf ihre historisch verbürgte Fahrt in der Montgolfière gehen und unter Zuhilfenahme von allerhand wissenschaftlichem Vokabular suggeriert wird, sie wären vielleicht nie zur Erde zurückgekehrt, dann werden diese Luftschiffer zu weitblickenden Auguren der politischen Zukunft eines Regimes und das Gedicht gefällt durch seine spielerisch erzielte Doppelbödigkeit.
Doch nicht immer läßt sich die einfühlsame Darstellung mit der Gestaltung vereinbaren. Die Absicht, vermeintlich Unbedeutendes durch möglichst kunstvolle Darstellung in den Rang des Unwiderruflichen zu erheben, ist nicht bloß sympathisch, sondern gleichsam das Fluidum des großen Gedichts. Nur tut Wagner zuweilen des Guten zuviel, erstickt das Thema im Artifiziellen oder, schlimmer noch, bauscht es zu einer Wichtigkeit auf, die es vielleicht gar nicht besitzt, ein poetischer Budenzauber, der im ersten Moment betört, sich im zweiten jedoch als syllabischer Leerlauf herausstellt. Dazu gehören etwa die „klage um goliath“, „die verbotene stadt“, „lob des kamels“ oder „rettich“. Man bewundert darum zunächst im „kleinen krähenhymnus“ die exakt abgezählten Silben pro Zeile und den ungemeinen Assoziationssturm, muß dann aber feststellen, daß man am Ende vielem Lärmen um nichts gelauscht hat und wohl doch lieber zu einem von Marianne Moores Tiergedichten gegriffen hätte. Die bei solchen Gedichten immer wieder zu bemerkende selbstverliebte Länge wirft zudem oft die notwendige Verdichtung über Bord und geht ― zum Beispiel ― zum geschwätzigen „krebsfischen“:
der fisch muss stinken, marie,
so sehr, daß alle vier enden der erde
sich krümmen und die sterne
noch schneller in ihr dunkel eilen.öffne die truhe am hafen,
wo er seit tagen ruht, für unruhe sorgt,
so tot und verborgen er ist ― passanten
drehen sich um, und liebespaare flüstern.
Jan Wagner versteht sein Handwerk, unbestreitbar; der souveräne Umgang mit verschiedenen Reim- und Gedichtformen ― darunter Terzine, Villanelle und Sonett ― ist beeindruckend und ein hohes intellektuelles Vergnügen, die Vielfalt der Themen und des originelles Aspekts, unter dem sie betrachtet werden, läßt keinerlei Monotonie aufkommen. Trotzdem entsteht im Laufe der Lektüre ein immer schalerer Geschmack, der selbst bei aller Gutwilligkeit nicht mehr schönzureden ist. Man will das Buch gut finden und kann es doch nicht.
Nun zieht jeder, der einen hochdekorierten Lyriker wie Jan Wagner kritisiert, den Zorn jener auf sich, die ihn mit Preisen überschütten, und muß sich wohl dem Vorwurf aussetzen, es rede nichts anderes als der blanke Neid aus ihm. Es sei hier trotzdem die These gewagt, daß vielleicht am wenigsten der Autor und am meisten die Lobhudler Schuld sind am letztlichen Mißlingen der „Live Butterfly Show“. Je mehr Ehrungen Jan Wagner einheimst, desto weniger scheint er zu wagen; desto größer scheint der Erfolgsdruck zu sein; desto geringer fällt der selbstkritische Blick aus. Man müßte dies nicht erwähnen, wenn man es nicht in den letzten Jahren des Öfteren bemerkt hätte, so dass es sich offenbar um eine Symptomatik des Literaturbetriebs handelt. Was hat man denn bei dem Schmetterlingsgedicht eigentlich gesehen? Auftakt, Tusch: „da war er plötzlich, ließ sich lautlos nieder / am Bistro Tisch“ ―: doch die folgende Show ist eine Flut zusammengetragener hübscher Worte, die zwar das Scheitern einer du-heftigen Beobachtung thematisieren, am Ende aber offenbar die Kritiker so beeindrucken wollen wie der „trenchcoatflügler“ seinen undankbaren Zuschauer ―: intellektuelle Wortblenderei mit Themen, die gerade en vogue sind.
ging es um flugkunststücke, looping, volte
von atlasspinner, kardinal und hektor-
bläuling, walzernde apollofalter,
den flügelschlag, den wirbelsturm,
die halbstündliche fütterung mit nektar?
Bei aller deutlichen Sympathie für viele einzelne Gedichte bleibt die Zusammenstellung insgesamt blaß, ein Aufguß früherer Texte, die gelungener waren. Es fehlt Wagners Lyrik zunehmend an belebender Frische, an Dringlichkeit, sei diese nun aus der eigenen Erfahrung oder der abstrahierenden Vorstellung gespeist. Ist Jan Wagner am eigenen Anspruch gescheitert? Auf keinen Fall. Nie kann der zu hoch sein. Aber die Routine ist hier nicht länger nur Gefahr geblieben, sondern hat sich in viele Gedichte wie Mehltau eingeschlichen. Man würde sich für das nächste Buch etwas weniger Artistik, weniger Beliebigkeit, und mehr essentielle Statements mit Ecken und Kanten wünschen.
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