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Kritik

Argonautin mit fliehender Stirn

Hamburg

Ein neugieriger, schaffender Band ist Martina Webers Häuser, komplett aus Licht. Als Taschenbuch soeben im Poetenladen Verlag erschienen, setzt er die bereits 2013 veröffentlichten erinnerungen an einen rohstoff fort, ebenfalls Poetenladen. Die Dünne des neuen Gedichtbands spricht angesichts der langen veröffentlichungslosen Zeit für ein hohes Maß an Selbstregulierung der Autorin. Tatsächlich wünscht man sich lesend, dass die Häuser, komplett aus Licht nicht aufhören mögen. Zu raffiniert, dabei staunend und fingerlos ist das Ganze.

In fünf Kapiteln geht Martina Weber etwas nach, das behutsam zwischen sinnlich Bekanntem und dem außersinnlich wörtlich Erschaffenen springt. Existenziell in einem Feld. An keiner Stelle ist die Schraube überdreht, oder irgendein verkürzter Selbstzweck erkennbar. Nach einem Essay genannten Einstieg, beginnen Gedichte, die optisch titellos und prosanah gesetzt sind, die einfach loslegen, fast unscheinbar greifen und wie nach einer kritischen Masse Verse ganz plötzlich angezogen haben und ein scharfes, oder viele Bilder treten aus dem Gemenge hervor. Der Titel ist schon die bestmögliche Zusammenfassung dieses poetischen Programms.

Am Abend Rob an den Reglern, Gruppendynamik. Wörter
wie Farben, Wandmalerei. Jean schlägt die Beine übereinander,
den roten Schal um die Schultern drapiert, liest er aus
seinem journal intime. Es gibt das Gedächtnis
der Landschaft. Farbfilter, kosmisches Licht. Und Wege,
die wir vermeiden, um keine Hirsche zu treffen. Schwenk
zum Café am Rand der Vogesen, wo es nur kalte Getränke gab,
keine Croissants. Am Nebentisch dieses Mädchen
in einem Kleid wie aus einem längst vergangenen Jahrhundert.
Bleistift, Papier, doch weigert sie sich, ein Haus zu zeichnen,
als wüsste sie nicht / mehr, was das ist. Durchs Bild rollt
ein brennendes Fahrrad. Erinnerung ist eine Treppe von Escher:
Nichts ist logisch, aber alles dreht sich in einem Kreis, der
kein Kreis ist.

Viele von Webers Gedichten in Häuser, komplett aus Licht setzen sich mit Grenzerfahrungen im wörtlichen Sinne auseinander. Reisend, beobachtend, privatim. Auch wenn hier mitunter sich die Referenzen Raum schaffen, von der Beschreibung auf Allgemeines, nur namentlich Zugängliches, zurückgegriffen wird, oder auch einige Reflexionen sich verheben, stört es die besondere Chemie in jedem von Webers Gedichten nicht. Sie bleiben staunende Texte, denen die Entdeckerlust anzumerken ist. Es scheint, als würde Weber ihre eigenen Texte bloß begleiten und gucken, wo sie hingehen, abbleiben. Sie mit ein paar Einschüben, sich ihrer Autorin rückversichern lassen. Das ist aber auch schon alles. Die Gedichte leuchten in einem positiven Sinne aus sich selbst heraus.

Stenographie, Seismograph, dieses Land schwimmt davon.
Ein ausgeleuchtetes Meer, nur die Flaschenpost segelt vorbei.
Hier ist dein Fahrschein. Zwischen uns eine Hecke oder ein
Drahtzaun (ich kann das nicht übersetzen), geflüstertes Licht.
Schnittmuster, grau, Morsezeichen wie verwaschene Ziffern. Es
gibt eine Grenze. Ich hatte ein bisschen herumgekritzelt, auf
diesem Papier, um etwas wiederzufinden. Die Wörter nicht
unterschätzen, aber es geht nicht um Wörter. Es ist eine kaum
beweisbare Wanderbewegung. Zieh deine Schuhe an, geh
weiter als über Asphalt, setz dich ruhig auf den Plastikstuhl, der
einmal zu einem Café gehörte und den die Nachmittagssonne
jetzt direkt beleuchtet. Es gibt keine Grenze, vielleicht. Der Titel
heißt: Die Autonauten gelangen ans offene Meer und diskutieren
über die Fortsetzung ihrer Erzählung. (Die Zahlen bedeuten
nichts.)

Martina Webers Häuser, komplett aus Licht ist ein Gewinn und obwohl dieses fast-zu-kurz-Gefühl da ist, sagt es doch nichts anderes als: Wow. Das behutsame, kluge Werk der Dichterin wächst vorsichtig, langsam. Wie bestimmte Steine, die man nicht vergisst.

Martina Weber
Häuser, komplett aus Licht
Poetenladen
2019 · 88 Seiten · 17,80 Euro
ISBN:
978-3-948305-00-0

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