Pop don't ever die
In ihrer "Trilogie der Oberflächen und Unsichtbarkeiten" legt Nora Gomringer ihren finalen Band vor: Moden. Nach Monster Poems und Morbus ist dies das vorerst letzte Wort Gomringers zum Thema Scheinen beziehungsweise dem (populären) Schein. Im Detail der Oberfläche steckt das große Ganze und kann in Stichen befragt werden, so in etwa der Klappentext des bei Voland & Quist erschienen neuen Werks, wiederum mit der Audio-Fassung auf CD beigelegt, auf der Nora Gomringer, Bachmann-Preisträgerin von 2015, in ihrem eigenen Sound und typischer Färbung und Betonung ihre eigenen Texte eingesprochen hat.
"MAYBELLINE 306
Mit dieser Farbe
kriegsbemale, schaustelle, aufführe ich
eine Fure. Ja, das ist eine Mischung
aus Furie und Hure, die sich gut macht, wenn du
sie betrachtest, betastest, pachtest.
Ich kaufe in Masse und ständig
schreit und knallt sie. Wie gute Farbe es tut,
wenn zur Wirkung überlassen
ohne Kommentar
Wer ohne Farbe aus dem Haus geht,
bleibt umständig, Bayerische Creme, Beigekonzentrat.
Mit aufgemalten Lippen ist wenigstens markiert,
wo vom Ich erzählt werden könnte.
So ein Mund – ist wie der Körper –
auch nur ein Aufenthaltsort, twitterte ich,
und entsetzte Frauen sahen ihre Männer
dieses herzen."
Was sofort ins Auge springt bei dem Band, ist dass Text und Illustration völlig gleichberechtigt nebeneinander auftreten. Reimar Limmer, der als Grafiker auch die beiden vorangegangenen Bänder der Trilogie visuell gestaltet hat, illustriert jedes einzelne Gedicht mit seinen typischen Grobrasterschnipsel-Collagen. Wohlbekannter Zeitschriften-Glamour aus Beilagen, Wochenendleporelli und dergleichen. Sie besitzen einen hohen Pop-Appeal, konzentrieren sich oft auf eine entscheidende Stelle im Gedicht – wie ein Punctum – und liefern als Visuals ein sinnliches, optisches Vorverorten der Gedichtstimmungen. Es geht sowohl bei Illustration als auch bei den Gedichten offensichtlich stark um ein Retro-Gefühl. Was als "Moden" vorbeizieht, ist ein thematisches (Gedicht) Kommentieren von Bildern der 50er-70er, vielleicht 80er spätestens, -Ästhetik, das aber nicht viel von Heutigkeit hat. Es entzieht sich jenem heute und entführt in eine Welt aus "Blaukraut", "Zirkusleben" und Esther Williams, der "Million Dollar Mermaid" aus den 50ern. Dennoch wird dieses ferne "retro" nicht unbedingt abgefeiert, sondern in Gomringers klaren, stets sehr effizient und genau arbeitenden Versen kritisch angefasst und spöttisch ironisiert oder direkt angegriffen (zum Beispiel Spät-Imperialismus, Uniformen etc. in "Kleines Schwarzes Etwas"). Gomringers Sprache ist scharf und auf den Punkt. Ihre Gedichte sind weniger an der Form (oder formalen Abenteuern) als an dem Inhalt interessiert. Sie hat etwas zu sagen. Gleichwohl ist hier Form nicht ignoriert, sondern zur Dienerschaft herangezogen. In klassischer satirischer Tradition von Ringelnatz, Kaléko, Morgenstern oder Gernhardt nimmt sich Nora Gomringer ihres Themas an, nimmt es vor und durch und schafft es immer wieder, nicht in "fröhlichen Lehrgedichten" über dieses und jenes zu schwadronieren, sondern kurze, überraschende Treffer in jedem Vers zu landen. Ihre Texte sind farbig, fleischig und nie anämisch. Sie wollen gesprochen werden und sind selbst ansprechend und sicherlich einem breiten Publikum zugänglich. In Zeiten von Hermetik und Sprach-Tüftelei/ Tümelei hebt sich Gomringer klar ab und bestellt längst ihr eigenes Feld (es ist ihr insgesamt achter Lyrikband!). Auch in der Kürze steckt ein gewisses Kalkül, wie das Schmökern in genau einer Friseurzeitschrift nebenbei, kann durch Moden selbstironisch geblättert werden. Ihr neuer Band ist spaßig und gut anzusehen und hat wie in "Elfriede Gerstl" oder anderen Gedichten jede Menge ernste, politische Anliegen parat, die genauso mühelos eingebaut sind, wie das vergnügliche Sprechen über Oberflächlichkeiten und deren Nutzer; sicherlich die Quintessenz von Moden. Ein müheloses Vergnügen, mit vielen Stichen.
"UNIFORM
In Uniform geht der Gebeugte grad.
Je mehr Metall am Kragen, desto
höher sind die Ideale – so vielleicht
erklärt ein Veteran den Enkeln
das Kostüm.
Sind so alte Werte und derer Echos
an den Streifen, in dem Blätterwerk,
wo's raschelt und von Gleichheit flüstert.
Flüstern bleibt's, wenn keiner
in dem anderen auch sich selbst erkennt.
Wenn ich mich gegens Licht und damit
gegen andere halte, seh ich durch mich durch
und dort steht der Wille,
mir immer wieder zu begegnen.
In der Uniform steckt das Wissen
um den Umfang jedes Geistes und
die Messbarkeit der Leiber in den Absichten,
die seit Darwin klar umrahmt sind.
Es ist die eine Form, die alle bindet und
damit halten will. Darf keiner wachsen,
und wenn, dann nur in Maßen,
die vorrätig im Lager sind.
Das Bild, es trägt in manchem Zimmer
ein schwarzes Band, die Ecke
umschließt es glatt und glänzend, doch auch fest.
Man reicht der Witwe eine Landesfahne,
wenn der Gatte in Ehren in der Erde liegt.
Die Knöpfe sind dann allesamt
sehr dunkle helle Sterne an der einen Form."
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