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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

„Der Aufbruch ist meine ganze Existenz“

Hamburg

„Der erste Teil dieses Buches kostete mich einen Kühlschrank, der zweite Teil 3000 Euro.“ Was ist das für ein Dichter, der so über die Entstehung seiner Werke spricht? Ein Ironiker oder einer, der sagt, was Sache ist? Auf jeden Fall einer, der Lebenserfahrungen gesammelt hat, der sein Geburtsland Irak, wo er 1971 geboren wurde, verließ, um dem Militärdienst zu entgehen, und der 1998 eher zufällig in den Niederlanden landete. Einer, der dort jahrelang in Asylbewerberheimen lebte und der, nachdem er sich selbst die Landessprache beigebracht und bereits mehrere preiswürdige Gedichtbände und Prosawerke auf Niederländisch verfasst hatte, am Einbürgerungstest scheiterte. „Das kalte Nirgendwo hat Besitz von mir ergriffen“, heißt es zu Beginn von Kühlschranklicht, seiner ersten Publikation, die in deutscher Übersetzung erschienen ist – und es ist nicht nur die Kälte des Nordens, die mit dem schwachen Lichtstrahl durch die angelehnte Kühlschranktür dringt. „In dieser Kälte verweist / alles, was ich habe, / auf mein vergangenes Jetzt.“

Das ist der Ton, an den man sich bei Al Galidi zu gewöhnen hat – radikale Selbstbespiegelung ohne Scheu vor großen Worten, und doch spricht der Autor eine ganz einfache Sprache: „Wie grässlich, / die Mauer um mich selbst sein zu müssen.“ Der erste große Zyklus des Bandes, „Im Kühlschrank“, besteht aus 21 Gedichten, die laut Selbstauskunft im „Nachwort“ die Frage zu ergründen versuchen: „Kann ein Mensch durch eine bestimmte Situation vernichtet werden?“ Der reale Kühlschrank, dessen Licht während des Entstehens der Gedichte allmählich erlosch, wird zur traurigen Metapher des Scheiterns, das die Texte immer wieder umkreisen. Nr. 13 etwa halluziniert eine regelrechte poetische Persönlichkeitsspaltung. „Jemand, tief in mir, / vielleicht ich selbst“ ist „cleverer als ich und weiß, / wie er niederreißt, was ich aufbaue, / verbrennt, was ich säe / und tötet, was ich zum Leben erwecke.“ Vernichtet aber ist das Ich dieser Gedichte nicht. Der unaufgeregte Ton verstärkt den momenthaften Eindruck ihrer Entstehung, der Schwung der Schreibhand ist in ihnen noch spürbar.

Al Galidi wählt eine Position der Aufrichtigkeit, indem er seine eigene persönliche und menschliche Situation zum poetischen Raum erklärt und verallgemeinert. „Ich hänge an dir, Leben“, heißt es in Nr. 19, „Ich bewundere deine Kleider, / die du anziehst, um nackter zu werden“. Und dennoch haben seine Gedichte nichts Moralisierendes, ihr Hang zu allgemeiner Aussage führt weg von dem Kontext des heimatvertriebenen Flüchtlings, in dem sie auch gelesen werden könnten. Al Galidi findet in diesem gespaltenen, uneindeutigen und ständig in Bewegung befindlichen Ich auf der Suche nach Ruhe und Versöhnung eher die Grundfigur aller Dichtung. Nr. 8 von „Im Kühlschrank“ etwa lautet:

Wenn ich geschehe, bin ich meine eigene Zeit.
Geboren während des Aufbruchs,
im Aufbruch gelebt,
aber seit ich hier ankam,
kann ich nicht
weiter.

Mal auf Mal über
denselben Stein fallen. Ich binde
das Pferd vor meine Zweifel,
nicht vor meine Karre.

Weil nur der Schmerz
die Zeit überzeugen kann,
länger zu bleiben, bebe ich vor Angst
beim Wort Ewigkeit.

Der Hang zu großen Worten ist im zweiten Teil, „Im Universum“, noch ausgeprägter. In diesen 26 Gedichten, zu deren Inspiration er sich für mehrere Monate ein Zimmer am Meer mietete, steht laut Eigenaussage des Autors „das Kühlschranklicht über allem und jedem…, es erhebt sich über die Verzweiflung.“ Vielleicht braucht es jemanden von außerhalb des eurozentrierten Kulturraums, der ohne übertriebenes Pathos oder esoterische Anwandlung dem Gedicht zurufen kann: „Geh und lehre die Menschheit Einfachheit, / Toleranz, Vergebung.“

Es ist anzunehmen, dass dem Autor das Niederländische als Sprache für seine Poesie der schlichten Menschlichkeit zupass kommt. Stefan Wieczorek gelingt es in seiner umsichtigen Übersetzung, im Deutschen diese Leichtigkeit wiederzugeben, ohne abstrakt zu werden – wie zum Beispiel in Nr. 11 von „Im Universum“:

Die Fliege
öffnet sich nicht für andere,
um zu erfahren, wer sie ist.

Die Menschheit
schon.

Die Fliege
hat Angst, getötet zu werden,
nicht davor, zu sterben.

Die Menschheit
hat sowohl Angst, getötet zu werden als auch zu sterben,
und mitunter auch davor, zu leben.

Die Fliege
hat nur
die Fliege.

Die Menschheit
hat alles,
sogar dieses Gedicht,
das ich für
die Fliege geschrieben habe.

Der dritte Teil des Bandes, den der Autor als „Einzelgedichte (die den Absatz von Kühlschranklicht befördern sollen)“ verstanden wissen will, zeigt einen weniger philosophisch-allgemeinen, dafür einen politischeren und ironischeren Rodaan Al Galidi. Er ist da als Liebhaber zu erleben, der in „Für eine verträumte Frau“ frech sein Begehren formuliert: „Ich werde dich lieben, / für immer. / Wenn das nicht lang genug ist, / dann zumindest bis morgen.“ Die Niederlande, wo Al Galidi erst seit 2007 als Asylbewerber anerkannt und inzwischen ein erfolgreicher Autor ist, dessen jüngster Roman Hoe ik talent voor het leven kreeg [Wie ich Talent zum Leben entwickelte] ein Best­seller ist, bekommen ihr Fett weg, etwa in „Ich bin integriert“ oder in seiner völkerpsychologisch witzigen „Ode an die niederländische Frau“ oder im absurden Gedicht „Meeting“: „Das Meeting / ist das Meeting des Niederländers / mit dem Meeting“.

Es finden sich aber auch bittere Texte über den sog. „Arabischen Frühling“ und sein Scheitern und über das europäische Desinteresse und Unverständnis, wo Al Galidi seine eigene Rolle als Dichter, der sein Land im Stich gelassen hat, problematisiert. „Gemein und schändlich / stahl ich das Blut und die Tränen meines Volks / und schachere damit auf Festivals“, beginnt die letzte Strophe des Gedichts „Ich der Dichter“. „Sogar dieses Gedicht schreibe ich, / um zu beweisen, dass ich noch Mensch bin.“

Es ist dieser geradezu existentialistische Ton, den Al Galidi mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit trifft. Seine Gedichte verlangen vom Leser, dass er sich uneingeschränkt einlässt auf sie – eine Dichtung des Aufbruchs und der Verzweiflung, die „mit einem aufrichtigem Gefühl geschrieben“ wurde; eine Dichtung, aus der, mit William C. Williams, der ‚wahrhaftige Geist des Wandels‘ spricht:

Versuch, wegzugehen

Spatz, bring mir bei zu fliegen,
ich zeige dir, wie man Gedichte schreibt.
Bring mir bei, ein Nest zu bauen,
ich zeige dir, wie man einen Verlag findet.
Gib mir deine Federn,
ich gebe dir meine Jacke.
Gib mir deine Angst,
ich gebe dir meine Katze.
Gib mir deinen Zweig,
ich gebe dir mein Schlafzimmer.
Spatz, gib mir dein Leben,
ich gebe dir meinen Käfig.

Rodaan Al Galidi
Kühlschranklicht / Gedichte
Übersetzer: Stefan Wieczorek
Verlag Hans Schiler
2016 · 112 Seiten · 16,00 Euro
ISBN:
9783899301090

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