Anzeige
ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
x
ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Guevara, Riefenstahl und die Fatalitäten

Hamburg

Jonathan Safran Foer sparte nicht gerade mit Lob, als er über den bolivianischen Schriftsteller Rodrigo Hasbún sagte: „He is not a good writer, thank goodness. He is a great one.“ Wenn der Mittdreißiger mit palästinensischen Wurzeln als einer der besten jungen Autoren Lateinamerikas gilt, kommt das nicht von ungefähr: Der einschlagende Erfolg seines Debütromans El lugar del cuerpo und seiner Erzählbände spricht für sich. Dass sich dank Christian Hansens Übersetzung jetzt auch mehr deutschsprachige Leser*innen von Hasbúns Ausnahmetalent überzeugen können, ist vor allem deswegen schön, weil das Thema seines neuen Romans Die Affekte ein ziemlich deutsches ist.

Hans Ertl gilt im „Dritten Reich“ als der „Star unter den Kameramännern“, arbeitet für Leni Riefenstahl und Rommel. Im Nachkriegsdeutschland nicht mehr wohlgelitten, wandert er Anfang der Fünfzigerjahre mit Frau Aurelia und den drei Töchtern nach Bolivien aus. Der passionierte Bergsteiger hat gerade erst den Nanga Parbat erklommen, nun ist der Unruhegeist schon bald von der fixen Idee besessen, die verlorene Inkastadt Paititi zu finden.

Wie interplanetarische Wesen“ stapft Hans mit den älteren Töchtern Heidi und Monika und dem restlichen Expeditionsteam durch den Urwald; die aus Deutschen und indigenen Maultiertreibern bestehende Gruppe ernährt sich unterwegs von Tortillas mit Sauerkraut. Anpassungsschwierigkeiten scheint Hans Ertl keine zu haben, widmet sich mit derselben Hingabe und Akribie der Entdeckung präkolumbischer Schätze, wie er sich seinerzeit vermutlich der Produktion von NS-Filmen gewidmet hatte.

Die Expedition endet zwar nicht wie geplant, doch der Filmemacher lässt sich davon nicht beirren. Tatsächlich wurde die Arbeit an der Doku Vorstoß nach Paititi 1955 erfolgreich abgeschlossen. In Hasbúns Roman fungiert die Suche nach den sagenumwobenen Ruinen aber in erster Linie als spannender Aufhänger, der nebenbei Lokalkolorit liefert. Mehr noch als die Inkastadt und ihren Möchtegern-Erforscher interessieren den Autor die Menschen in Hans Ertls Umfeld; allen voran seine Töchter.

Die Paititi-Episode ist etwa aus der Perspektive Heidis geschrieben, die sich vom jungen Expeditionsgefährten Rudi noch ein wenig mehr angezogen fühlt als von den jahrhundertealten Inkapfaden. Wie all die anderen jungen Exilanten versucht auch sie, als „Zuzügler aus einer anderen Welt, einer gealterten, kalten Welt“ weder emotional noch beruflich auf der Strecke zu bleiben. Einfach ist das nicht, wenn man mit dem „verflixten Spanisch“ zu kämpfen hat – oder, wie Monika, an Nervenkrisen leidet.

Fast unmerklich, aber gleichsam einer inneren Logik folgend, verlagert sich der Fokus des Romans auf die Älteste. Monika ist die Tochter, die - trotz der grundverschiedenen Überzeugungen - dem Vater vom Wesen her am ähnlichsten ist. Von der alten inneren Unruhe und einer wachsenden Unzufriedenheit mit ihrer lieblosen Ehe angetrieben, gründet sie mit einer Freundin ein Armenhaus. Auch, „weil es das ist, was dir in einem so armen Land zu tun gebührt.“ Bolivien ist, wie so viele südamerikanische Länder zu der Zeit, im Umbruch. Als zunehmend politisch involvierter Mensch macht Monika keine halben Sachen, tritt Ende der Sechziger in die ELN ein, die „Nationale Befreiungsarmee“ Boliviens. Der Anführer der linksrevolutionären Guerillaorganisation, Che Guevaras Nachfolger Inti Peredo, wird ihr enger Mitarbeiter und Geliebter. Es dauert nicht lange, bis die Dinge beginnen, aus dem Ruder zu laufen.

Nicht, dass Hasbún daran dächte, diesen historischen Kontext zumindest ein wenig zu erklären. Damit macht er es seinen Lesern nicht gerade einfach. Noch dazu stellt einen mancher Kapiteleinstieg bisweilen vor die Herausforderung, erst einmal die jeweilige Erzählstimme identifizieren zu müssen. Diese Arbeit zahlt sich aber allemal aus, denn die knapp 140 Seiten des Romans haben es in sich. Allein Monikas militante Aktivitäten im Untergrund bergen ja ein enormes Spannungspotenzial; das bewies Jürgen Schreiber mit seiner 2009 erschienenen Monographie über die Frau, die oft etwas pathetisch als „Che Guevaras Racheengel“ bezeichnet wird.

Die Versuchung ist sicher groß, in einem semifiktiven Text Zusammenhänge zwischen ihrer Radikalisierung und Hans Ertls Rolle in der NS-Zeit sichtbar zu machen, Parallelen zur Baader-Meinhof-Gruppe zu ziehen. Hasbún hat aus dem Stoff - zum Glück – keinen reißerischen Politthriller gemacht. Er setzt auf Affekte statt auf Effekte, und schafft aus dem brisanten biografischen Rohmaterial einen stilistisch raffinierten und gehaltvollen Kurzroman, lakonisch und dabei sensibel erzählt.

Paititi „wird beim Erscheinen von Fremden unsichtbar“, sagt die Inka-Legende. Vielleicht ist es mit dem Phänomen Ertl ganz ähnlich: Je mehr man sich ihm mit (westlichen) psychologischen Erklärungsmustern nähern will, umso weniger greifbar wird es. Hasbún schlachtet das Thema glücklicherweise nicht voyeuristisch aus, sondern verlässt sich beim Schreiben ganz auf sein - erstaunlich großes – Einfühlungsvermögen. Und ein wenig setzt er wohl auch auf die Faszination, die Mitläufer und Rebellen auf viele ausüben.

Ob sie „die Leni mal kennengelernt hätte“, wird Trixi beim Baden in den Tropen von der späteren Partnerin ihres Vaters gefragt, als sei nicht die Riefenstahl gemeint, sondern irgendeine alte Nachbarin. Trixi ist überhaupt die vielleicht interessanteste "Randfigur" des Romans, weil sie am meisten beobachtet und hinterfragt; gerade auch sich selbst. Als ihre große Schwester zur meistgesuchten Person in Südamerika wird, denkt sie, „dass ich an alldem schuld sei, dass nichts davon passiert wäre, wenn ich meinen Vorsatz, mit dem Rauchen aufzuhören, eingehalten hätte.“

Nichts ist Hasbún zu trivial. Im selben unsentimentalen, nüchternen Ton schreibt er über Trixis beschauliches Weihnachtsfest mit ihrer Mutter und über Inti Peredos riskante Unternehmungen im Untergrund.  Als seien es gleichwertige Details in Monikas Lebensgeschichte, erzählt er von ihrer enttäuschenden Hochzeitsnacht und davon, was in ihr vorgeht, als sie von der indigenen Hausangestellten auf der Farm ihres Vaters „unterwürfig“ begrüßt wird: „Es war insbesondere diese ganze Dienstboterei, die sie in der Notwendigkeit bestärkte, den Kampf fortzusetzen.“

Rodrigo Hasbúns Roman fesselt vor allem wegen dieser präzisen, klugen Beobachtungen im Alltag einer entwurzelten und geächteten Familie, die in ihrer neuen Heimat unaufhaltsam ihrem zweiten sozialen Tod entgegensteuert. Doch es geht, wie gesagt, nicht um Kausalitäten. Es geht um Hassliebe, Entfremdung, und die Schwierigkeit, zwischen Loyalität und eigenem Gewissen eine Wahl zu treffen. Damit sind die Ertls – und das ist der schreckliche Erkenntnisgewinn bei der Lektüre – im Kern eine Familie wie jede andere. Dass sich der Leser oft genug in diese widersprüchlichen Figuren und ihre so fremde Lebenswelt einfühlen kann, ist Thriller genug.

Rodrigo Hasbún
Die Affekte
Aus dem Spanischen von Christian Hansen
Suhrkamp
2017 · 142 Seiten · 18,00 Euro
ISBN:
978-3-518-42764-4

Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge