Unterwegs im Jahr der Frauen
»Neujahrsmorgen 1919. … Heut früh am 1. Januar glänzt ein klarer Himmel. Auf Peters Bett fällt ein Streifen Sonne. Los und durch. Hände angefasst und zusammengeblieben und den Blick nach vorn.«
Der Neujahrseintrag aus Käthe Kollwitz Tagebüchern, die die Jahre 1908 bis 1943 umfassen, und nach wie vor ein eindrückliches, sehr lesenswertes Bild dieser politisch und gesellschaftlich virulenten und folgenreichen Zeit abgeben. Die Aufzeichnungen der großen Künstlerin sind geprägt von Unsicherheit, von der Frage, wie sich ein Land weiter in Richtung Frieden entwickeln kann, das gerade einen Weltkrieg hinter sich und eine politisch gespaltene Zukunft vor sich hat; ein Land, in dem Revolutionäre wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg kaltblütig ermordet werden; ein Land, das von Zerrissenheit und wirtschaftlicher Unsicherheit geprägt ist.
Genau an diesem Punkt setzt auch Unda Hörners facettenreiches Buch »1919 Das Jahr der Frauen« ein, das anlässlich des 100jährigen Jubiläums dieses geschichtsträchtigen Jahres im Verlag ebersbach & simon Ende 2018 veröffentlicht worden und an eine breite Leserschaft gerichtet ist. Und das ist auch gut so, insbesondere wenn man bedenkt, dass der Kampf ums Frauenwahlrecht schon mit der unerbittlichen Französin Olympe de Gouges begonnen hat, die im Fortgang der Französischen Revolution ihr Leben für genau jene Forderungen lassen musste. Forderungen, die wir mittlerweile als selbstverständlich nehmen, ihren Wert und ihre Bedeutung in genau dieser Selbstverständlichkeit allzu oft vergessen. Vor diesem Hintergrund ist Unda Hörners Buch zeitlich genau richtig platziert, ganz abgesehen davon, dass die Autorin bereits viele Biografien zum Thema veröffentlicht hat, gut in die Materie eingearbeitet ist und mit dem gut sortierten Quellenapparat zum Weiterlesen animiert.
Der Buch-Aufbau selbst ist klar und stringent: Geordnet nach den Monaten des Jahres 1919 nimmt Unda Hörner ihre Leserschaft mit auf Vergangenheitsreise; jedem Kapitel vorangestellt sind die wichtigsten Ereignisse eines Monats im telegrammartig verknappten Stil, oftmals greifen Privates und Öffentliches direkt ineinander. Auftakt ist der brutale Mord an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, erzählt in einer Rasanz, die manchmal schon ein wenig die »Roaring Twenties« sprachlich aufs Papier bringt, der Autorin aber die Möglichkeit gibt, ihre schnell skizzierten Frauenporträts ineinander zu weben, zahlreiche Begegnungen und parallel stattfindende Ereignisse zu schildern und derart auch der gesellschaftspolitischen Spaltung des Landes Ausdruck zu verleihen:
»Panzer rollen dröhnend durch die Häuserschluchten, auf den Berliner Straßen hallt Kanonendonner. Anfang März haben die revolutionären Arbeiter zum Generalstreik aufgerufen, mit dem sie die Räteregierung und die Sozialisierung der Industrie gegen alle Widerstände durchsetzen wollen. Sie riskieren ihr Leben, denn Reichswehrminister Gustav Noske hat einen Schießbefehl ausgegeben, sodass jeder Aufständische auf der Stelle von Freikorps erschossen werden kann. In diesem Klima der Anarchie werden vor allem in den proletarischen Bezirken im Osten der Stadt Geschäfte geplündert; Käthe Kollwitz steht am Fenster ihrer Wohnung am Weißenburger Platz und beobachtet, wie der Juwelier an der Ecke Opfer der Raubzüge wird, die Diebe flüchten mit fetter Beute. Kollwitz ist keine Kommunistin, nein, aber strikt gegen die brutale Niederschlagung der Spartakisten, die immer noch mehr Gewalt schürt.«
Es ist ein bunter, illustrer Reigen durch das Jahr 1919: Die wichtigsten Frauen sind allesamt versammelt, Unda Hörner bringt Kunstszene, politisch engagierte Frauen und Gesellschaftsikonen von leichter Hand zusammen. Manchmal hat man beim Lesen das Gefühl, als ob das Jahr 1919 ein einzig großes Treffen all dieser Frauen gewesen wäre – egal, ob es sich um die Frauenrechtlerin Anita Augspurg, die Modediva Coco Chanel oder die Dada-Künstlerin Hannah Höch handelt, sie alle stehen hier in Verbindung. Manchmal nur durch indirekte politische Entwicklungen, manchmal durch ganz konkrete Ereignisse. Und spannend, dass hier auch das Kulturgeschehen seinen Eingang findet, wie Kurt Pinthus‘ Anthologie »Menschheitsdämmerung«, in der die umtriebige Lyrikerin Else Lasker-Schüler als eine der wenigen Frauen mit von der Partie ist.
Unda Hörner gelingt es durchweg, die individuellen Lebensläufe der Frauen geschickt einzuflechten, sodass man während des Lesens einen Einblick bekommt, welche Etappen oder Durststrecken all jene Engagierten bereits hinter sich haben, bevor das Jahr 1919 endlich Freiheit und die Möglichkeit einer selbstbestimmten Zukunft für Frauen verspricht, ganz abgesehen vom Recht der politischen Beteiligung. Besonders wichtig ist das für jene Biografien, die im Archiv der Geschichte gerne verschwinden oder von anderen Persönlichkeiten überlagert werden: Etwa die der Sozialistin Clara Zetkin oder von Marie Juchacz, der späteren Gründerin der Arbeiterwohlfahrt, jener Frau also, die als erste vor der Weimarer Nationalversammlung sprechen wird, mit einer markanten Stimme und einer Ernsthaftigkeit, die man sich für die heutige Politik manchmal wünschen würde. Oder auch in Hinblick auf Hannah Höch, die allzu oft im Schatten ihres Künstlergeliebten Raoul Hausmann steht, ungeachtet dessen, wie autark und unerschrocken ihre Lebensweise und ihr künstlerischer Alltag für die damalige Zeit waren; ganz abgesehen davon, dass sie wohl als Erste mit ihrer Collagen-Technik für Furore sorgt:
»Inzwischen machen es ihr alle nach, George Grosz und John Heartfield montieren Fotos aus Zeitungen, selbst Kurt Schwitters in Hannover bastelt wie besessen an eigenen Collagen. Am Ende werden die Herren sich noch untereinander darum streiten, wer von Ihnen als Erster eine Collage geklebt hat, und von ihr wird niemand mehr sprechen, Hannah Höch sieht es schon kommen.«
Lesenswert wird dieses Buch vor allem dadurch, dass Unda Hörner gesellschaftspolitische Ereignisse mit den biografischen Skizzen verbindet, oftmals auch im Panorama der europäischen Entwicklungen. Besonders gut gelingen jene Passagen, die nahezu nebenbei aus dem politischen Tagesgeschäft erzählen, etwa über den 11. August berichten, an dem die erste demokratische Verfassung des Deutschen Reichs in Kraft tritt, ein Meilenstein, der in der damaligen Urlaubszeit untergeht, obwohl dort erstmals die Gleichberechtigung der Geschlechter formuliert wird. Oder jene Stellen über den Zweiten Kongress der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit, darin eingebettet die erstaunlichen Biografien von Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, deren zäher Einsatz für die Einführung des Frauenstimmrechts nicht genug betont werden kann. Und dankenswerter Weise kommen in Unda Hörners Buch auch nochmals Stimmen der Frauenbewegung zu Gehör, wie etwa die der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, die 1919 stirbt, ohne von ihrer langjährigen Forderung nach der Einführung des Frauenwahlrechts noch Gebrauch machen zu können.
Und auch wenn der Erzählstil an manchem Stellen vielleicht zu rasant wird, streckenweise verkürzt, im Schillernden der illustren Figuren verharrt oder hier und da die Männerbiografien allzu sehr in den Vordergrund treten, wie etwa bei Walter Gropius, so vermittelt Unda Hörners Buch über weite Strecken hinaus sehr deutlich und eindringlich, wieviel Wert der Einsatz all dieser Frauen für unser heutiges Leben ist. Auch, wie viele Frauen sich unermüdlich in Gesellschaft und Politik ihrer Zeit eingebracht haben, ohne finanzielle Vergütung, ohne einen sicheren Beruf im Rücken, sondern oftmals einfach nur in dem Bestreben, für ein besseres Frauenleben zu kämpfen; all das, ohne zu wissen, ob sie jemals selbst davon profitieren werden. Oder wie es in Hedwig Dohms Streifschrift »Die Antifeministen« zum Schluss zu lesen ist:
»Revolutionen werden nicht mit Rosenwasser gemacht. Es braucht aber nicht gerade Blut zu sein. Die Zeit ist die größte Revolutionärin; nur schreitet ihr eherner Schritt langsam, langsam aufwärts. Und das ist die tiefe Tragik der Vorausdenkenden, dass sie ihre Zeit nie erleben, das heißt, sie kommt erst, wenn sie gegangen sind.«
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