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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Über Brüder

Hamburg

Mit Bevor es hell wird legt der Hamburger Autor Jens Eisel sein Romandebüt vor. Es erscheint, wie sein Erzählband Hafenlichter im Piper Verlag. Eisel, Open Mike Gewinner von 2013, erzählt in Bevor es hell wird auf eigene, unaufgeregte Weise von dem Schicksal zweier Brüder, die Kindheit, Jugend und frühes Erwachsenenalter eng aneinander gebunden erleben. Das Besondere an Eisels Art zu erzählen ist, dass er seine Sprache vollkommen in den Dienst der Narration stellt. Es gibt keine einzige Kapriole, keine Manierismen, sozusagen no-nonsense. Letzteres, wie auch die genaue Milieu-Schilderung (Autowerkstätten, Rummelplätze, Kneipen) könnten ihn in einer gewissen hard-boiled Tradition verorten (es geht aber nicht um Noir), vielleicht auch Beth Nugent, Raymond Carver, wobei Eisel fast alles auserzählt und nichts ostentativ weglässt, Richard Yates ist auch präsent. Auch gewisse sozialkritische Stimmungen des Neuen Deutschen Films der 70er von Roland Klick bis Hark Bohm kommen in den Sinn. Eisel jedenfalls erzählt, will erzählen, in Ich-Perspektive, und scheut sich interessanterweise nicht, Gefühle beim Namen zu nennen, auf einfachste Essenzen reduziert, und es geht stellenweise so weit, dass einige Dialoge oder Reflektionen des Erzählers als sentimental, möglicherweise sogar als melodramatisch/ kitschig wahrgenommen werden können. Aber das ist nicht als Manko zu verstehen, sondern eher als Emanzipation. Eisels Protagonisten sind einfach so, sie haben diese und jene Gefühle und sie äußern sich genau so und nicht anders. Dies hebt Eisel von den meisten der anderen Gegenwartserzähler ab. Im Mittelpunkt steht eine Form der Liebe zu den Menschen und ihren Tätigkeiten, dem Haushund und der Geselligkeit an einem Kneipentresen. Es geht nicht um Sprache und ihre Grenzaustestung, es geht nicht um Intellektualisierung oder Parodie, keine Genrereiterei oder ironisierende, akademische Intertextualität. Es geht um Alex und Dennis, die erst die Mutter und dann sich selbst verlieren. Es geht um das Weiterleben und Konsequenzenertragen, das Streben nach einem schlicht beglückenden Leben. Letzteres, wie es hier schon zwischen den Zeilen schwebt, ist quasi nicht möglich oder nur schwer und nicht einfach so in einer Welt, die ihren eigenen großen Gang geht und Dennis mit sich nimmt. Alex, der übrig bleibt und versucht Fuß zu fassen. Das ganze wird aus zwei Zeitebenen erzählt, die in den einzelnen Kapiteln klar voneinander abgesetzt sind und sich konsequent einander annähern, und dabei die Fabel des Ex-Knasties Alex auf den Spuren der Vergangenheit erzählen. Die, einander abwechselnd, eine Sogwirkung auslösen und erst kurz vor Schluss die entscheidenden Fragen lösen, das heißt, wohlkomponiert, ein gut gemachtes Lesen ermöglichen. Man will wissen, was mit Alex passiert ist, man muss ihn noch nicht einmal mögen, will wissen, wieso er schon früh im Buch das Grab seines Bruders aufsucht und was die Nebenfiguren Norman, Bert und Linda und andere ihm zugetrieben hat. Sie alle bilden eine kleine Welt ab, die sich selbst genügt und dabei doch völlig unvollkommen scheint, denn mit zunehmender Länge verdichten sich die dunklen Vorahnungen in den Handlungssträngen zum angekündigten Drama. Die harte Katastrophe tritt ein, ganz in neorealistischem Habitus und doch gibt es Hoffnung. Eisels Buch strahlt Ruhe von der ersten Zeile aus, geprägt von Sympathie für das Erzählte und seine Beteiligten, kein Ausstellen oder Mit-dem-Finger-drauf-zeigen. Vielleicht mag für manche Literaturgourmets die Sprachhöhepunktslosigkeit beziehungsweise Effektlosigkeit von Eisels Sprache Ungeduld auslösen, aber so etwas hat selbstverständlich auch mit Geschmack zu tun und es ist wie gesagt eine ausdrücklich eigene Position von Jens Eisel, sich dem Sprachfetischismus vieler heutiger Strömungen nicht zu unterwerfen, sondern sein eigenes Ding zu machen, und einfach zu erzählen. Bevor es hell wird ist ein starkes Buch, das spät, aber dafür tief, unter die Haut geht.

Aus dem mittleren Teil:

Gegen Nachmittag ging ich zu einem Park in der Nähe der Elbe. Ich saß auf der Wiese neben meinem Rucksack, und nach einer Weile kam ein Typ auf mich zu. Sein Alter war schwer zu schätzen, und obwohl es sehr warm war, trug er einen dicken Mantel.
  "Hallo, Junge", sagte er und setzte sich neben mich.
  "Hallo", sagte ich.
  "Sag mal, hast du zufällig eine Orange für mich?"
  "Nein."
  "Scheiße", sagte er. "Ich muss jeden Tag eine Orange essen. Das ist wichtig, haben die mir gesagt."
  "Wer?"
  "Darüber darf ich nicht sprechen."
  Er wirkte verzweifelt, und eigentlich sah er harmlos aus. Aber irgendwie hatte ich Angst vor ihm.
  "Ich wollte gerade los", sagte ich und stand auf.
  "Okay", sagte er. "Denk immer daran, dass Orangen wichtig sind. Aber erzähl es nicht weiter."
  "Mach ich", sagte ich.
  "Ich esse jeden Tag eine Orange."
  "Also bis dann", sagte ich, "ich drücke dir die Daumen."
  "Danke, Junge."
  Als ich ging, drehte ich mich noch einmal um, um zu sehen, ob er mir folgte. Aber er saß schon bei einer Frau und beachtete mich nicht mehr.

Jens Eisel
Bevor es hell wird
Piper Verlag
2017 · 208 Seiten · 18,00 Euro
ISBN:
978-3-492-05768-4

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