Per definitionem Nicht-Wahnsinn
Das Werk sei, so schrieb Foucault einmal, „per definitionem Nicht-Wahnsinn“ – was die Frage aufwirft, was Wahnsinn sei, ob er nämlich mit einer Unfähigkeit der Werksetzung gleichzusetzen sei oder sich momentan im Werk nobilitiere; oder nur normalisiere, was schließlich das Gegenteil der Nobilitierung sein könnte.
Den Fragen, wie wahnsinnig also das Normale sei, was Literatur vermöge und wie sie sich dem Wahnsinn verdanke oder diesen als etwas jenseits von Wahnsinn lesbar mache, aber auch, wie Kritik womöglich das Werk kenntlich und den Wahnsinn eines Textes verbindlich mache, dabei dem Literarischen mehr latent-immanent denn ein Gegenüber – bestrebt, „die Möglichkeit der Kritik auszulöschen“ –, ihnen allen geht Foucault im vorliegenden Band nach, der allerdings aus nicht Ausgearbeitetem besteht, eher liest man Improvisationen, die sich gesprächsweise oder noch als Vorbereitung und Skizze ergaben. Ediert von Philippe Artières, Jean-François Bert, Mathieu Potte-Bonneville und Judith Revel ergänzen diese Texte das theoretische Werk Foucaults in zentralen Fragestellungen.
Dieses Vorläufige entspricht freilich dem Gegenstand, alles hebt ja mit Unge- und Unerhörtem an, mit dem „Schweigen der Verrückten“ – das wäre hörbar zu machen durch die Literatur oder lesbar zu machen in der Literatur, so ließe es sich vereinfacht sagen. Wäre Literatur das „Flimmern“, das „blasse Flackern, das es […] ermöglicht, ein Licht auf den Wahnsinn zu werfen“, der vielleicht gerade auch dem Normalen eignet..? Ist es denn nicht verrückt, das Verrückte auszugrenzen, etwa mittels an Deportation grenzender Fürsorge, als im April 1567 ein Hundertstel der Pariser Bevölkerung vom Exzentriker und Libertin bis zum Verrückten ins Hôpital général verbrachte, das ein Krankenhaus am allerwenigsten war … und zwar auf Lebenszeit und ohne rechtliche Mittel gegen den Beschluß.
Eine Vernunft, die „lakonisch und gebieterisch“ das Wünschbare definiert, hat dies verbrochen – wie vernünftig ist sie, ist in aller Vernunft etwas von jener Art..?1
Vielleicht ist eine andere Vernunft indes die Literatur, eine der Sehnsucht, die sich oder jedenfalls jenes Transzendieren auch in dem vernimmt, was eine gebieterische Vernunft als Wahn denunzierte? – „Die Literatur und der Wahnsinn haben […] einen gemeinsamen Horizont, eine Art Verbindungslinie, und zwar die der Zeichen“, sagt Foucault, (quasi-)methodisch wären dabei das Zeichen und dann der Text als ein stetes „Schreiben-Lesen-Neuschreiben”, worin Werk ist, was als Wahn verkannt sein könnte. Es ist ein Spiel mit Wörtern und Worten, wovon „heimgesucht“ zu sein plurivalent ist, ein Unglück aber nur, wo die Vernunft sich, den Logos ihrer Logokratie dem Herrschen (kratein) opfert. Plurivalenz meint dabei vielleicht auch die sich diversifizierende Vernunft selbst, „Literatur“ als „ein unendliches Sprechen“ drängt sich aus dem Sinn, der Antipode und Epizentrum des Wahns zugleich sein mag, fragt, „wie sich ein Sinn durch verschiedene Wörter hindurch wiederholen kann“, oder: ob. Dieser (Wahn-)Sinn wäre also eine Imagination oder Wahrheit „der Trennung und Wiedervereinigung“, was „in Gott kulminiert.“
So kann man Foucault nachtasten, vielleicht auch anders, gerade darum – doch schwerlich wird man bestreiten, daß Foucault Wahres berührt, Wahres dessen nämlich, was wir sind, was die Vernunft ist, auch, was wir vernünftig oder von der Vernunft träumen… Wenn man lesen muß, lesen soll, vernünftigerweise, dann: Bücher wie dieses.
Fixpoetry 2014
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben