Poetik und Hermeneutik im Rückblick – auch ein Ausblick
Poetik und Hermeneutik: Diese Kolloquien, diese Bände, diese Protagonisten klar zu beschreiben, ist kaum möglich. Der Versuch, es zu tun, führte nun zu einem teils grandiosen und jedenfalls lesenswerten Band, den das Thema trotz über 600 Seiten freilich sprengt. Versammelt darin sind Gespräche und Materialien, vor allem die Exposés der Tagungen.
Man kann nur einige Epizentren sowohl der Gruppe als auch ihrer Probleme und der Themen hier wiedergeben: So die Brillanz Hans Robert Jauß’, der aber vorbelastet war und gleichsam blieb, aufgrund dessen, was er sehr jung getan haben mochte, andererseits die Rolle Hans Blumenbergs, der „Jude undercover” (eine aus Späters Kracauer-Biographie schon bekannte Formulierung Fellmanns), gleichwohl manchmal erkennbar geprägt von der Nazizeit.
Blumenbergs Judentum ist im Band immer wieder Thema, er aber nicht dem Glauben zuzuschlagen – und schon gar nicht, wie manche wollten, „zu »katholifizieren«”, selbst „Aufarbeitung” des Erlebten oder allgemeiner des Geschehenen war für ihn kein Thema.
Um Blumenberg kreisen viele Passagen, schied er auch früh aus dem Kreis, er blieb wichtig. Blumenberg – bewundert, aber schwierig, der Literaturwissenschaft gram, wo sie philosophierte, dilettantisch nämlich, wie er es anderen zufolge ja auch tat, er könne „wirklich nicht denken”, so sein Assistent Hossenfelder über ihn, „nur Stellen sammeln und Geschichten erzählen.” Blumenberg, das Orakel und Mirakel, einerseits Kulturmensch, andererseits „Technikfan”, an Kultur interessiert, aber in Verbindung mit Zigarren und Likör. Er „absolut großzügig”, „Jauß [...] deutlich pingeliger”, das habe man noch der Unterschrift je ablesen können. – Haverkamp gar: „Blumenberg war ein Engel.”
Wieviel der „triviale Lebenssinn” wiege, wieviel „Befindlichkeitsrückbindung” der Theorie innewohne, das ist da thematisch nahe. Apropos Praktisches: Jauß war der Gruppe anders als Blumenberg verpflichtet, der auf Widerstand im Institutionellen mit Waldspaziergängen reagierte und sowieso „seine Bücher schreiben” wollte...
Unwichtig ein weiterer Mitdiskutant, nämlich Odo Marquard, wie aber so viele betonen, daß es nicht stimmen kann. Sein Humor erboste manchen, alles „mit Ironie zerkleinert”, da mißfiel mitunter, auch Blumenberg, war dieser auch „eitelkeitsfrei”, wie etwa Lübbe formuliert, der ferner Marquard Ernst attestiert. Und Wolfgang Iser? – Unter anderem brillant und trinkfest.
Dazu immer wieder die Frage, wie man es mit Gadamer und anderen gehalten habe. Gadamer: „in Opposition”, vor allem, was Jauß betraf, so Fellmann, gleichwohl sei er „der große Eingeschlossene” gewesen, nicht ausgeschlossen. Foucault? – Nein, „Ältere, wie z.B. Blumenberg, hielten [...] gar nichts von Foucault”: „Jedes fünfte Zitat von ihm ist frei erfunden”, ein Urteil, das folgenreich war. Einer Einladung kam schließlich vielleicht Foucaults Tod zuvor. Kracauer – trotz Kenntnisnahme von The Last Things Before the Last – war auch kein wesentlicher Bezugspunkt. Adorno und Horkheimer ... auch nicht friktionsfrei, aber Blumenberg sandte Haverkamp eine Postkarte, auf der nur das ihm liebe Wort „Verblendungszusammenhang” stand... Da man in Blumenberg „den deutschen Derrida” hatte, so Frank – mit Haverkamp –, war Derrida selbst auch wenig präsent. Diese Haltung führte dazu, daß jene, die dann doch kamen, Danto, Rorty, verwundert reagierten, das „haben wir alles schon gehabt”, mit den Worten Haverkamps. – Die, die man hervorbrachte, entfremdeten sich zum Teil, wären im Kontext „gewichtiger als die Aura des zur Legende erstarrten Star-Ensembles” gewesen, Seel, Menke & Menke, Habermas, Horn...
Dazu viele Themen, bis Klopstock, die der Band umreißt, dann die Struktur – die „Archonten”, die mit Verläßlichkeit für die Treffen einstanden, verehrt, aber auch (selbst-)ironisch, wie schon das Wort nahelegt –, die Frage der Sprachwahl, aber auch manches, das „ohne ableitbare Folgen” blieb, etwa aus der Feder Blumenbergs, bei andererseits „routinierte(m) Doppelpassspiel zwischen Blumenberg und Preisendanz”...
Und dann? Dann finge alles an, es geht ja weiter, die Vergangenheit wie das Denken jener, die aus diesen Zirkeln hervorgingen. Ein spannender Band also, dem vielleicht noch mancher folgt.
Beteiligte Autor_innen: Aleida und Jan Assmann, Ferdinand Fellmann, Manfred Frank, Hans Ulrich Gumbrecht, Anselm Haverkamp, Dieter Henrich, Helga Jauß-Meyer, Renate Lachmann, Thomas Luckmann, Hermann Lübbe, Christian Meier, Jürgen Schlaeger, Gabriele Schwab, Wolf-Dieter Stempel, Karlheinz Stierle, Rainer Warning und Harald Weinrich.
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