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Kritik

Ein Weg zu den Texten Valzhyna Morts

Hamburg

Nach Tränenfabrik im Jahre 2009 erschien im vergangenen Jahr der zweite Gedichtband der weißrussischen Autorin Valzhyna Mort im Suhrkamp  Verlag.

Die 1981 in Minsk geborene Autorin lebt seit einigen Jahren in den USA und unterrichtet an der Cornell University. Im letzten Jahr unterrichtete sie auch am Slawistischen Seminar an der Berliner Humboldtuniversität.

Mit dem Land hat die Autorin auch die Sprache gewechselt. Während Tränenfabrik noch vollständig aus dem Weißrussischen übersetzt war, nehmen nun Texte aus dem Englischen den größten Raum ein. So tritt neben die Übersetzerin des ersten Bandes Katharina Narbutovic nun noch die Autorin Uljana Wolf, die in den letzten Jahren bereits als Übersetzerin hervortrat. Die Texte wurden zwischen den Übersetzerinnen allerdings nicht, wie zu vermuten wäre, nach Herkunftssprache, sondern nach Genre aufgeteilt. Während Narbutovic sich um die prosaartigen Texte kümmerte, übersetzte Wolf die Gedichte.

Ich muss zugeben, dass ich eine Zeit brauchte, um mich in den Texten zurechtzufinden, ich hatte einige innere Widerstände zu überwinden, und auch jetzt bin ich in ihnen noch nicht ganz heimisch. Wahrscheinlich wird da immer ein Befremden bleiben, und das mag daran liegen, dass ich mit ihrer vorgeblichen Unmittelbarkeit nicht zurecht komme. Es mag sein, dass die Autorin nach ihrem Sprachwechsel um eine neue zweite Unmittelbarkeit ringt. Streckenweise bedienen sich die Gedichte eines Slangs, dem ich in dieser Form misstraue.

Ich meine damit nicht das Benutzen von Slangausdrücken oder „starken Worten“ wie meine Mutter sagen würde, aber ich habe das Gefühl, diese Verse zielen an mir vorbei, auf einen gewissermaßen Wehrlosen, den ich in Schutz nehmen möchte. Ich gebe zu, diese Vorstellung ist nicht gerade literaturwissenschaftlicher Natur, aber ein Reflex auf den illustrativen Charakter der Mortschen Verwendung von Umgangssprache in ihren Texten: Dabei sind sie um Form bemüht, und an einigen Stellen gerinnt ihnen das  Geformte auch zu eindrücklicher Lyrik, zum Beispiel in dem Gedicht Liebe:

Die Spucke, die ins Becken schießt –
auch das zählt sie zu seinem Körper.
Die Speichelschlinge über ihrer Scham –
auch das zählt sie zu seinem Körper.

So lautet die zweite Strophe.

Durchaus beeindruckend sind die Prosaatücke in diesem Band. Sie widmen sich mehr oder weniger der Vergegenwärtigung einer Szenerie der weißrussischen Herkunft und entwickeln eine in ihrer Nüchternheit sehr eindringliche Sprache. Und in dem Stück Shenja kommt diese Sprache vollends zu sich, vielleicht, weil es ihr hier gelingt, poetologische Reflexionen geschickt mit der Handlung zu verweben: Es sei mir erlaubt, hier eine längere Passage zu zitieren, die mich dazu brachte, das Buch noch einmal von vorn zu lesen und mich mit ihm zu versöhnen, wenn auch nicht vollständig.

Morgens um neun, wenn wir zum Grammatikkurs kommen, sind wir schon erschöpft. Vom Moment des Erwachens an spiegelt diese Stadt unsere Geschichte in den Scheiben ihrer Läden, Türen und Busse, es regnet ohne Ende, denn die Stadt will uns mit ihrer ganzen Fläche spiegeln, komplett zu einem Zerrspiegel werden, am liebsten aber will sie uns in den Gesichtern anderer Menschen spiegeln, um uns erkennen zu lassen, dass uns allen ein gewisser Makel, ein Druckfehler, eine kaum sichtbare Unzulänglichkeit eigen ist.

Nachdem ich also mit der Lektüre von Tränenfabrik fast komplett gescheitert bin, entfachte Kreuzwort also mein Interesse, und ich erwarte gespannt das nächste Buch der Autorin.

 

Valzhyna Mort
Kreuzwort
Aus dem Weißrussischen und aus dem Englischen von Uljana Wolf und Katharina Narbutovic
Suhrkamp
2013 · 109 Seiten · 12,00 Euro
ISBN:
978-3-518-12663-9

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