DURCHSAGE
Zu Mannheim stand ein Automat
um die Jahrhundertwende,
der jeden an das Schienbein trat,
der dafür zahlte. Ende.
F.W. Bernstein, die Gedichte, München 2003, S. 537
Epitäphchen für FWB
Gibt man „zu Mannheim“ in eine Suchmaschine, finden sich mit als erstes Verweise auf Burschenschaften, die „XY zu Mannheim“ heißen. Wäre ich Verschwörungstheoretiker und also dumm, schlösse ich messerscharf auf eine direkte Verbindung des Dichters zu solchen Kreisen, die ihn womöglich als als agent provocateur der Burschenherrlichkeit in die hedonistische Subkultur der mittleren Sechziger Jahre eingeschleust haben.
Gegen solchen Unsinn spricht allein schon, dass die Komik dieser kleinen Durchsage dem Phantsama des guten Alten, irgendwelcher um jeden Preis zu bewahrenden Werte, zuwiderläuft. Komik ist Abwehr des ideologischen Brimboriums, das immer so aufgeplustert dahergestelzt kommt, um Ernst zu machen, das unter mythensattem Geraune metaphorische Klingen zieht, um andere sehr unmetaphorisch darüber springen zu lassen. Komik dagegen lässt die Ernstmacher*innen sehr metaphorisch über die Klinge springen: Das politische Programm dieser Zeitung scheint somit dürftig; kein tönendes 'Was wir bringen', aber ein ehrliches 'Was wir umbringen' hat sie sich als Leitwort gewählt (Karl Kraus, Die Fackel Nr. 1, Wien 1899, S. 1) ,schreibt Karl Kraus im Editorial der ersten Nummer seiner „Fackel“, um fortan mit allen Mitteln der Komik die wichtigtuerische Ernstmacherei zu parieren. Nun ist F.W. Bernstein kein Karl Kraus, dazu fehlt ihm die Humorlosigkeit. Zur Komik braucht es nämlich keinen Humor. Er kann aber auch nicht schaden. Dies wiederum zeigt, dass Karl Kraus kein F.W. Bernstein ist.
Auch wenn er nicht ihr Parteigänger ist, beschwört Bernstein wie die herrlichen Burschen das Alte, indem er uraltes Liedgut anklingen lässt:
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Das Andreas-Hofer-Lied ist hier wohl nicht bewusst als Reminiszenz gewählt, womöglich hat es sich aber aus den Tiefen des Unbewussten gemeldet, als der komische Einfall poetische Gestalt annahm 1
Es ist nicht das einzige Mal, dass in F.W. Bernsteins Arbeiten bürgerlich-patriotische Sedimente an die Oberfläche drängen: man denke an seine Goethe-Karikaturen. Oder hieran: Es schmeckt ein Hirsch wie Donnerhall.2
Hier sind es der durch Natur- und Männlichkeitsgerappel geheiligte Wildverzehr und die Wacht am Rhein, aus denen Bernsteins Komik Funken schlägt.
Auch der Automat, der um die Jahrhundertwende zu Mannheim aufgestellt war, hat seinen historischen Bezug. Er erinnert an den Stollwerckschen Sparautomaten, der ab 1887 artigen Kindern Schokoladentäfelchen gegen Bares feilbot.
Vwendeler, Stollwerck Sparautomat „Victoria“ von 1905, gemeinfrei
Da Bildlichkeit und Sprachgestus von Durchsage ins 19 Jahrhundert zurückweisen, ist es vielleicht auch gar nicht der Automat, sondern das Automat, denn vor dem unbestimmten Artikel sind beide gleich:
Das Automat, a. d. Griech. ein sich selbst bewegender lebloser Körper oder eine sich selbst bewegende Maschine; mechanische Kunstwerke, welche ihre bewegende Kraft in sich selbst verborgen halten, und sich also von selbst zu bewegen scheinen, wie z. B. eine Sackuhr. […] 3
Und so eine sich selbst bewegende Maschine könnte dem zahlenden Publico ja bei vorschriftsmäßiger Anwendung durchaus vors Schienbein treten, so wie ja auch das Automat dem armen Nathanael in E.T.A. Hoffmanns Sandmann schlimmen Schaden zufügt.
Ein tretender Automat ist im Unterschied zur Puppe Olimpia komisch, er weckt Schadenfreude, die Grundsubstanz aller Komik. Wer freut sich nicht, wenn jemand anders für sein gutes Geld einen Tritt vors Schienbein bekommt und nicht man selbst. Stets aber lauert unter solcher Groteske wie z.B. auch in Ror Wolfs Raoul Tranchirers vielseitigem großer Ratschläger für alle Fälle der Welt die Urangst des Bürgertums, die zu seinem Nutz und Frommen wohlgeordnete Welt könnte den Bach runtergehn, und der Krieg aller gegen alle müsste beginnen. Um diese Angst zu bannen, entstehen Regel- und Sanktionssysteme, unter deren Regime nur der ängstliche Glaube an sie die Wahrnehmung des Chaos verhindert, das sie bemänteln. Die Komik aber lässt das bemäntelte Chaos durch die Ordnungssysteme hervorleuchten. Bei Ror Wolf ist es der Irrsinn der Enzyklopädisierung des Katastrophischen, in F.W. Bernsteins kleinem Gedicht ist es eine irrsinnig gewordene Obrigkeit:
Es hat zunächst einmal alles seine Ordnung. Das Gedicht beginnt mit der Ankündigung Durchsage. Durchsagen beginnen mit „Achtung, Achtung!“, das ist so tief im Deutschen verankert, dass es gar nicht mehr extra gesagt werden muss. Durchsagen informieren über Sachverhalte, die Panik verursachen: Naturkatastrophen, Terrorangriffe, Zugverspätungen, oder dass Kasse 2 jetzt für die Kundschaft geöffnet wird. Diese Information ist zugleich der Befehl, Ruhe zu bewahren und ggf. weitere Durchsagen abzuwarten. Das Gedicht endet mit dem Ende der Durchsage. Das Ende der Durchsage markiert den Punkt, ab dem das Publikum Bescheid weiß und also vor der Panik gerettet ist. Ernst und gefasst wartet es jetzt auf Rettungsmannschaften, Mobile Einsatzkommandos, Züge und darauf, eher an die Reihe zu kommen als die an der anderen Kasse. Durchsagen verschaffen Gewissheit in ungewissen Momenten, die Durchsage ist das A und das Ω in Bernsteins Gedicht, sie bettet den Inhalt ein.
Der Inhalt dieser Durchsage wird aber gerade durch diese Einbettung umso rätselhafter: Zwar warnt sie vor etwas, das den Bürger nebst Gattin in extreme Panik zu versetzen imstande ist, nämlich vor dem Automat, der oder das nicht nur Schmerzen zufügt, sondern auch noch gutes Geld vernichtet. Doch ist diese Warnung nicht, wie es ihrem Wesen entspräche, auf unmittelbar Bevorstehendes gerichtet, sondern auf längst Vergangenes. Eine Obrigkeit aber, die vor Vergangenem warnt, wirft Durchsage und Legende durcheinander, sie ist des Wahnsinns.
So kommt es, dass hier ein Dichter ein Gebilde entwickelt, das formal wie inhaltlich völlig kohärant erscheint. Ein jambischer Vierzeiler, kreuzgereimt, entwirft in einer definierten Sprechhaltung ein gut nachvollziehbares Bild. Doch bei genauerem Hinsehen löst sich die Kohärenz auf, das Gedicht zerlegt sich selbst. Weder passt die obrigkeitliche Sprachhaltung zum destruktiven Inhalt, noch passt der Inhalt zur bewährten, gesicherten Form, noch passt die gereimte, metrische Form zur Sprechhaltung. Und doch bleibt zugleich das Gedicht in seiner Kohärenz bestehen, es zerlegt sich ja nur für diejenigen, die für derartige Widersprüche einen Sinn haben, viele bemerken nur die Kohärenz und zucken mit den Schultern: „Das soll wohl komisch sein.“ Sie merken nur, dass irgendwie der Ernst fehlt, merken aber nicht, was das Gedicht statt des Ernstes hat, und erst recht nicht, welche ernsthafte Spracharbeit nötig ist, um so etwas hinzukriegen.
Jetzt müsste natürlich auch der Zeichner und Bildtextkombinator F.W. Bernstein noch gewürdigt werden. Dann würde der Text aber noch länger. Stattdessen lieber ein einfaches Beispiel. Von ihm höchstpersönlich. An mich. Vor Jahren.
- 1. Eine Spur konsequenter wäre allerdings gewesen:
Zu Mannheim stand ein Auto
um die Jahrhundertwen,
der jeden an das Schienbein,
der dafür zahlte. En.
Aber F.W. Bernstein ist eben nicht nur nicht Karl Kraus, er ist auch nicht Oskar Pastior. - 2. Finde die Stelle nicht mehr. Kann mir jemand helfen?
- 3. Brockhaus Conversations-Lexikon Bd. 1. Amsterdam 1809, S. 101.
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