Laure Wyss (1913-2002)

Film, Biografie, Lesebuch

Autoren:
Hrsg: Ernst Buchmüller, Barbara Kopp, Hans Baumann, Elisabeth Kaestli
Besprechung:
Elke Engelhardt
 

Film, Biografie, Lesebuch

Laure Wyss - Kämpferin an der menschlichen Front. Ein Schreibleben, eine Biografie und ein Film.

06.08.2013 | Hamburg

Sie hat ihr Leben lang geschrieben und sie hat sich ihr Leben lang mit der Rolle der Frau auseinander gesetzt. Dieses Jahr wäre Laure Wyss 100 Jahre alt geworden. In dem knapp 60minütigen Fernsehporträt, das Ernst Buchmüller 1999, drei Jahre vor Laure Wyss Tod gedreht hat, wird eine Frau vorgestellt, die sich erst nach der Pensionierung, nach einer erfolgreichen Journalistenlaufbahn, erlaubte, eigene Bücher zu schreiben.

Laure Wyss war bereits 68 Jahre alt, als ihr erstes Buch erschien. „Ich hätte es mir nicht zugetraut“, sagt sie, „vom Bücherschreiben zu leben.“ Das Selbstvertrauen, gibt sie auf Nachfrage zu, habe nicht ausgereicht. Bereits hier ist der Schnittpunkt erkennbar, der Laure Wyss Biografie ausmacht, zwischen einer ungewöhnlich souveränen, selbstbestimmten und mutigen Frau und einer Frau, die nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich mit den Beschränkungen kämpfen muss, die eine unemanzipierte Gesellschaft Frauen auferlegt. Die Emma nennt sie in einem Artikel die „Mutter Courage der Schweizer Literatur“, zum Glück wird sie nicht als „starke Frau“ bezeichnet, denn „das mit der starken Frau“, sagt sie in Buchmüllers Film, „das hasse ich wirklich.“

1932 verließ Laure Wyss Biel, um in Frankreich französische Sprache und Literatur zu studieren. Bevor sie 1936 in die Schweiz zurückkehrt, studiert sie ein Semester in Berlin. 1937 folgt sie ihrem Mann, dem Architekten Ernst Zischmann nach Stockholm. In Schweden registriert sie mit angenehmem Befremden, dass hier die Berufstätigkeit von Frauen selbstverständlich ist. Den Ausbruch des zweiten Weltkrieges erlebt Wyss in Schweden, sie beginnt Flugblätter und Streitschriften des schwedischen Widerstandes zu übersetzen, eine Art „Widerstand durch Schreiben“.

1942, als ihr Mann, Ernst Zischmann, keine weiteren Aufträge in Schweden bekommt, kehrt das Ehepaar in die Schweiz zurück. Laure Wyss begegnet Jules Ferdmann, von dem sie das Zeitung machen von der Pike auf lernt. In der Geschichte „Und Schweigen legte sich auf Platz und Dorf“, schildert sie die Bekanntschaft mit Ferdmann auf eindrückliche Weise. Der Grundstein für Laure Wyss weitere Karriere ist gelegt. 1945 lassen sich Zischmann und Wyss, die sich längst auseinander gelebt haben, scheiden. Laure Wyss tritt eine Stelle als Redakteurin der schweizerisch evangelischen Zeitschrift an.

Jahrelang wünschte sie sich schon ein Kind, 1949 endlich wird ein Sohn geboren, den sie als freie Journalistin allein ernährt. Allerdings nicht ohne sich den Luxus einer Arbeit zu gönnen, die ihr Spaß macht. Ihre Rolle als Ernährerin und Mutter bleibt zwiespältig für Laure Wyss. Einerseits sagt sie: „So lange Frauen Kinderlieder singen, haben sie keine Möglichkeit für ihre Freiheit zu kämpfen“, andererseits hat sie immer wieder ein schlechtes Gewissen, zu wenig Zeit mit ihrem Kind verbringen zu können. Es ist nicht einfach, aber aufgrund ihres Talentes, Widerstand an unauffälligen, alltäglichen Stellen zu leisten, langsam und beharrlich auf ihr Ziel hin zu arbeiten, gelingt Laure Wyss sowohl eine beachtliche journalistische Karriere, als auch die Erziehung ihres Sohnes.

Die Übernahme des Tages- Anzeiger Magazins 1970, beginnt Laure Wyss mit einem mutigen Akt, das von ihr gewählte Titelbild zeigt eine Frau, die einen Helm mit der Aufschrift: „Make war not love“, trägt. Wyss geht es dabei nicht so sehr um Widerstand um des Widerstandes willen, sie legt Wert auf Wahrheit und Qualität, Größen, die sich in ihrer Ethik nicht voneinander trennen lassen. Die besten Schriftsteller und Schreiber, sind für den Tagesanzeiger gerade gut genug. Und sie sollen sich der Wahrheit verpflichten. „Das Kunststück“, sagte sie ironisch im Fernsehporträt von 1999, „ist vollbracht gewesen, wenn der berühmte Schreiber, die berühmte Schreiberin nach ausgiebigem Argumentieren glücklich aus dem Büro marschiert,  mit dem Gefühl, eine tolle Idee verkauft zu haben ¨C und seltsamerweise war das genau die Idee, die mir vorschwebte.“

Erst 1975, nach ihrer Pensionierung, begann Laure Wyss Bücher zu schreiben. Ihr erstes Buch bestand aus 14 Protokollen von Frauen, 1978 folgte eine Selbstbefragung. Immer wieder beschäftigte Wyss die Frage der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Mutterschaft, aber auch das Fehlen des Vaters. In der Tatsache, Kinder zu bekommen, sah Laure Wyss noch kein besonderes Verdienst, sie machte einen großen Unterschied zwischen „gebären“ und „erziehen“.

Lange Zeit tat sich Wyss schwer damit „ich“ zu sagen, in ihren Geschichten. „Ich ertrug das ich nicht, weil es immer nur ein Teil von mir war“, sagt sie in Buchmülers Porträt. Dabei hat sie das, was später zum Thema ihrer Geschichten werden soll, nämlich die Schwierigkeiten einer Selbstbestimmung für Frauen, lebenslang schmerzlich selbst erlebt. Nach der Scheidung zum Beispiel, wurde sie im Reisepass als eine Geschiedene gebrandmarkt, für das Sorgerecht für ihr Kind musste sie kämpfen, da sie den Namen des Kindsvaters nicht nennen wollte.

Seit 1958 moderiert Laure Wyss das Fernsehformat „Magazin der Frau“ im deutsch-schweizerischen Fernsehen. Den Kampf um das Frauenwahlrecht hat Wyss beschreibend und beobachtend begleitet. Noch im Februar 1959 stimmten zwei Drittel der Schweizer gegen das Frauenwahlrecht. Laure Wyss versucht ihren Lesern immer wieder begreiflich zu machen, dass sich die Männer dem geänderten Frauenbild anpassen müssen. „Es gibt im Grunde nicht zwei Fronten, sondern nur eine, die menschliche Front.“

Immer ging es Wyss um die Benachteiligten der Gesellschaft. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Strafvollzug zu einem weiteren großen Thema ihres Schreiblebens geworden ist. Auch nach der Pensionierung schrieb sie noch Jahre lang als Gerichtsreporterin für die Züricher Wochenzeitung. Was ihre Berichte auszeichnete, war die Stellungnahme gegen jegliche Selbstgerechtigkeit, die Überzeugung, dass mit etwas weniger Glück jeder von uns dieses Delikt hätte begehen können, die ihren Berichten zugrunde lag.

Das Älterwerden, sagt Laure Wyss, empfinde sie als Befreiung.

Neben zahlreichen Reportagen, Romanen und Erzählungen, sind seit 1994 auch zwei Gedichtbände von Laure Wyss erschienen. Lyrik schreibt sie zuerst mit der Hand und später mit der „leisesten“ ihrer drei Schreibmaschinen.

Buchmüllers Porträt ist angenehm zurückhaltend, Zitate aus Büchern und journalistischen Arbeiten von Laure Wyss werden mit Gesprächen und Archivmaterial ergänzt. Der Film folgt der großen Dame an Orte, die ihr Leben bestimmt haben und so entsteht nach und nach eine distanzierte Lebensskizze, die mit dem „Intimsten“, dem Schreiben von Gedichten, schliesst.

Ganz anders liest sich die Biografie über Laure Wyss „Leidenschaften einer Unangepassten“ von Barbara Kopp. Bereits der Titel macht deutlich, dass hier der Schwerpunkt auf die Inhalte gelegt wird, auf Widerstand und Leidenschaft. Auch hier kommen Zeitgenossen zu Wort, Tagebuchaufzeichnungen von Freunden werden ausgewertet, der Sohn kommt zu Wort. Die Zerrissenheit der Laure Wyss zwischen den eigenen Ansprüchen wird deutlich.

Sehr detailreich zeichnet Kopp den Werdegang von Laure Wyss nach, leider nicht ohne immer wieder und häufig unnötigerweise, interpretierend einzugreifen.

Die „leisesten“ Auskünfte über eine Frau, die sich zeitlebens mehr Freiheit genommen hat, als die Gesellschaft ihr zugestehen wollte, stehen in den eindringlichen Geschichten, über die das Lesebuch einen guten und einladenden Überblick verschafft.

 


Laure Wyss. Ein Schreibleben.
Porträt von Ernst Buchmüller. DVD. ISBN 978 3 85791 698 4. 22 Euro. Limmat Verlag Zürich 1999.Barbara Kopp.

Laure Wyss. Leidenschaften einer Unangepassten.
Biographie. ISBN 978 3 85791 697 7. 39,00 Euro. Limmat Verlag Zürich 2013.Hans

Baumann| Elisabeth Kaestli. Laure Wyss Lesebuch.
ISBN 978 3 85791 699 1. 28,00 Euro. Limmat Verlag Zürich 2013.

Elke Engelhardt hat zuletzt über »Intelligenz. Große Unterschiede und ihre Folgen« von Elsbeth Stern und Aljoscha Neubauer auf Fixpoetry geschrieben.


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