Gedichte

Weil ich kalt und warm nicht ohne einander denken kann. »Schneebrand« von Knut Schaflinger.

11.08.2013 | Hamburg

Vorfreude, so sagt man ja, sei die schönste Freude. Ob das im Einzelfall tatsächlich immer stimmt, das sei mal dahingestellt, aber gerade für musik-, film- und literaturinteressierte Menschen, also für Hörer, Zuschauer und Leser, bietet sich ja gottseidank recht häufig die Gelegenheit, Vorfreude zu genießen. Was für den einen die Nachricht, dass Kraftwerk demnächst tatsächlich wieder ins Studio gehen wird, um ein komplettes neues Album aufzunehmen, ist für den anderen der nächste Teil der Hobbit-Trilogie.

Als Lyrikleser freue ich mich stets auf neue Bände von Autoren, die mich mit ihren bisherigen Gedichten – wie immer sie es auch geschafft haben – mitgenommen haben; Autoren, die sich keiner Mode unterwerfen und über Jahre einen markanten, eigenständigen Sound kultiviert und diesen, wenn es ihnen angebracht schien, modifiziert haben. Der in Siegen lebende Crauss ist so einer, von dem ich alles Neue lesen möchte/muss, und zwar möglichst schnell nach Erscheinen (auch hier aktueller Grund zur Vorfreude, denn für den Herbst 2013 ist im Verlagshaus J. Frank, wo auch schon Crauss' erstklassige "Lakritzvergiftung" erschien, ein neuer Band mit Gedichten angekündigt). Gleiches gilt für den bekennenden Essener Urs Böke; auch er ist einer, der sich konsequent an seinem Sujet abarbeitet, dabei aber durchaus darauf achtet, dass er dabei vielschichtig zu Werke geht und mal metaphorische Schwalben, wenn es angebracht ist aber auch Krähen durchs Bild fliegen lässt.
Ich könnte an dieser Stelle noch eine ganze Weile weitermachen, noch so einige Autorinnen und Autoren aufführen, möchte hier jedoch als Dritten im Bunde stellvertretend für viele andere Knut Schaflinger nennen. Unspektakulär und ohne jegliche Medienhype-Ambitionen (als aktuell 59jähriger wahrlich kein Fräuleinwunder, weder Gründer noch Mitglied einer wie auch immer benannten Schule, keine Drogenskandale) veröffentlicht er seit gut zwei Jahrzehnten seine Gedichtbände. Leider – und zu meinem wahren Erstaunen – bewirkt dieser fehlende Medienhype, dass er sogar einigen eingefleischten Lyriklesern noch immer eine unbekannte Größe ist. Sein letzter und damit aktueller Gedichtband "Schneebrand" ist im Herbst 2011 im Verlag Ralf Liebe (in dem u.a. die Reihe der von Axel Kutsch herausgegebenen Versnetze-Anthologien erscheint) und dort in der von Volker Demuth und Swantje Lichtenstein betreuten Edition POEMA erschienen. Rezensionen? Fehlanzeige! Bis heute bei keinem der populären Internetforen mehr als eine bloße Erwähnung oder Auflistung; im Januar 2012 ein Artikel in der Augsburger Allgemeinen, dieser aber eher Porträt der Person als Besprechung der aktuellen Publikation. Und das, obwohl "Schneebrand" alle Vorzüge aufweist, mit denen Schaflinger schon bei seinen früheren Texten punkten konnte, allem voran seine exzessive und nach meinem Empfinden dennoch nicht totgerittene Affinität zum Enjambement, die in nahezu allen seinen Gedichten die Zeilenenden mit doppeltem Sinn und die Gedichte mit neuen Fügungen, Irrungen und Wirrungen versieht.


    Die Unzucht der Tropen

Ein rotes wie heiß geriebenes Blatt an eine Hüfte geschmiegt der Palmen
Finger. Ihm eine feuchte Krümmung geben die Wölbung durstiger Katzen
Zungen. Und die Pause beim Trinken streicht den Milchnapf glatt. Feucht

belegt mit Tau blinken die Tropfen im Dunkeln. Zwitschern aus reißendem
Samt. Wie kleine Messer im Kehlkopf der Vögel schneidet es bellende Blut
Hunde los. Die Flucht auf die Bäume. Aufrecht an die Stämme geklammert

wie auf den Rücken der Pferde die hochsteigen bei Liebe und Angst. Dann
wiegt sich ein Sturm in den Kronen. Grüne Boote im schaukelnden Bett der
Tropen. Ihr Echo aus Gewächshaus. Wolkenzug. Ein Fahrtwind wirft seinen

Schnabel herein unter die flatternden Röcke. Quer über den Leib der Regen
Bogen der uns die Schenkel schneidet. Dort der Papageienhimmel bunt wie
das Geschenkpapier in das wir hüpfend unser Stöhnen packen. Aneinander

geklebt die Stimmen die von Sperrzeiten erzählen und Eintrittskarten. Möbel
aus Teakholz. Ein Tischbein das im Sumpf versinkt. Einmal jäh ein Geräusch
aus Glas. Wenn sich die Kippfenster schließen nachts eine Hand die zupackt.


In einer Rezension zu seinem 2009 erschienenen Band "Flüchtige Substanzen" stellte ich die naheliegende Vermutung auf, dass Schaflingers Wortreichtum in seinem Brotberuf als Redakteur und Chef vom Dienst der ARD-Tagesthemen begründet sei. Ein aus Sitzungen, Protokollen und auf Sekunden festgelegten Zeitfenstern bestehender Alltag – da dürften seine Gedichte eine willkommene Möglichkeit darstellen, der absoluten Sachlichkeit und der Beschränkung auf Fakten, Namen und Zahlen zu entkommen und Subjektivität walten zu lassen. Erfreulicherweise gleitet seine Lyrik nie in einen Plapperton ab, nie in beliebige Plauderei.

Gedichte, die Absurditäten als Realität und Realitäten als Absurdität zeigen.

Gedichte, die Utopien als Gelegenheiten präsentieren und Flora und Fauna mit Geschichte und Geschichten kombinieren.

Stimmungsreiche Bilder, mit sicherer Hand durchgearbeitet und komponiert.




Knut Schaflinger: "Schneebrand"
– Gedichte, 104 Seiten, Broschur, 15,00 € ISBN 978-3-94-1037-80-9  Verlag Ralf Liebe, Edition POEMA, 2011

Stefan Heuer hat zuletzt über »taxi taxi« von Peter Segler auf Fixpoetry geschrieben.