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Gedichte
Das gewonnene Land: Trost und mehr, Natan Zachs Gedichte von globalem Rang
13.08.2013 | Hamburg
Der Titel des Gedichtbands Verlorener Kontinent (das Buch vereint Liebesgedichte, Gedichte über die Dichtkunst bis hin zu politischen Gedichten aus den Jahren 1955 bis 2008) lässt vermuten, dass der Leser lyrische Spielarten des Verlustes vorfinden wird. Gleich ist das, ganz natürlich, von einem israelischen Dichter anzunehmen, der 1930 in Berlin (als Harry Seitelbach) geboren wurde und 1936 mit seiner Familie nach Haifa ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina auswanderte. Diese Erwartungshaltung wird auch durchaus bedient (s. Gedichttitel wie „Leere Koffer“, „Ich höre etwas fallen“, „Verlorener Kontinent“), doch erweist sich Natan Zach (so sein Name ab Ende der 1940er Jahre, der auf Hebräisch die Bedeutung „rein“ suggeriert) in den 54 vom Autor selber ausgewählten Gedichten, die nun sein erstes Buch auf Deutsch ausmachen, zuvörderst als einer, der poetisches Neuland absteckt. Er ist ein in hohem Maße moderner Dichter, wurde zu „einem Protagonisten der israelischen Moderne“ (Klappentext des Verlags). Als solcher liefert Natan Zach uns deswegen keine letzten Wahrheiten, erinnert uns hier und da, wie schön, in Ton und/oder Mitteilung an die Szymborska, auch Günter Eich, Erich Fried. Sein Hauptstilmittel ist die Paradoxie. Wo von allem auch das Gegenteil zutreffend zu sein scheint (Du bist schuld und er ist schuld,/verkündet der Richter dem Angeklagten (Gedicht “Ich höre etwas fallen“), legt sich Zach allerdings für die Grundvoraussetzung wirklicher Dichtung fest: Sie entsteht nur da, wo den Gefühlen der Laufpass gegeben worden ist: Erlischt das Gefühl, so spricht das wahre Gedicht (Gedicht „Das wahre Gedicht“); oder nach einem weiteren ausdrucksstarken Gedicht in der Sammlung, das in seiner Modernität setzt auf einfachen Sprachduktus, Andeutung, das ist gleichzeitig Aussparung, Magie trotz bzw. durch Evozieren der vermeintlich allgemein bekannten Welt: Wenn Einsamkeit nicht Angst ist/wird Dichtung geboren/wenn die Hand nicht zittert/wenn die Kehle sich nicht zuschnürt/beim Gedanken/Dichtung/wenn Wolken dicht/draußen im furchtbaren Blau/und die Kinder brüllen hörst/bei ihrem Spiel/wie durch Vorhänge, Meer/und du dich nicht krümmst/nicht niederkniest/um deine Fußwurzeln/stärkend/zu umfassen/einem Setzling gleich/(zum Schutz vor dem Wind)/sondern sitzt und blickst/ins Wüste und Leere,/wo keine Spur -/nur/dann (Gedicht „Wenn Einsamkeit nicht Angst ist“).
Solchermaßen ausgeführte Dichtung kann dann tatsächlich zum „Tröster“ taugen, denn Trost, mehrfach taucht die Thematik auf, haben Zach selber, seine Landsleute und wir, seine Zeitgenossen, wir alle in unserer Zeit der Verscheuchung, so nötig: … die Gedichte dieses Dichters mögen ihnen Tröstung sein/auch er hat sich nach Trost gesehnt/sie sollen wissen: abends hat er sie geschrieben mit Liebe hat er sie geschrieben/mögen sie vor ihnen wie vor Meeren stehen (Gedicht „Womit versüßt man Tage“)
Wir können von einem Dichter mit Format erwarten, dass wir auf dieser beruhigenden Reise zwischendrin auch in die Gegenrichtung abgedrängt werden: … Doch der Wind allein, der den Apfel zu Fall brachte,/denkt daran, was die Mutter verbirgt vor dem Knaben://Nie, nie, nie wird er einen Tröster haben. (Gedicht „Ich höre etwas fallen“)
Ja, ist denn Trost überhaupt förderlich? Wird er den Ausdruckswilligen nicht verstummen lassen?: … Jetzt schreit er.//Sich trösten lassen will er nicht. Jemand/ hat seine Leier gestohlen. Orpheus/ schreit in dieser Nacht./…/Wer ist das, der da schreit//und keinen Tröster hat? Wer schreit da, nicht bereit/zu schweigen? (Gedicht „Orpheus schreit“)
Zu den schönsten, weil zartesten, offensten, gerade so viel magische Metaphorik aufbietend, um dem Leser die Chance eines scheinbar konkreten Bildes zu geben, dabei den Schmerz des 20. Jahrhundert so vollständig suggerierenden Gedichten, die uns bekannt wurden, will der Verfasser dieser Besprechung Zachs „Leere Koffer“ aus dem Jahre 1955 zählen:
Ruhig, einsam/ist das Wasser deines Schlafs.//Unsre Zimmer sind jetzt leer./Auch der Wind verschwand, wie die Maus vom Schiff, das sinkt.//Du weißt es nicht,/doch deine Hand/zu berühren wag ich nicht.//Die Uhr singt,/du atmest.//Mit leeren Koffern in der Hand/fahr ich in die Ferne.
Willkommene editorische Hilfen in diesem eleganten, gebundenen Gedichtband aus dem Jüdischen Verlag im Suhrkamp Verlag sind: Erläuterungen (direkt unter dem Gedicht) bei Gedichten mit Bibelbezug, zu Besonderheiten des Hebräischen oder Jiddischen oder auch zur Einbettung des Gedichts im israelischen Gesellschafts-, Alltagskontext; die „Editorische Notiz“, die auch alle Lyrikbände Zachs mit dem hebräischen Originaltitel nennt; die zusätzliche Abbildung des Gedichts „Klingeln an der Tür“ im hebräischen Original in der Handschrift des Autors; eine zweieinhalbseitige „Nachbemerkung“ von Menachem Brinker, Professor emeritus für Hebräische Literaturwissenschaft und Philosophie an der Hebräischen Universität von Chicago und an der Uni von Chicago: Wobei Brinker die Bedeutung Zachs, des Professors für hebräische und vergleichende Literaturwissenschaft (promoviert in England) herausstreicht, des Essayisten, Herausgebers literarischer Zeitschriften, der junge Talente entdeckt und gefördert habe, eines Übersetzers, der „meisterhaft Gedichte, etwa von Else Lasker-Schüler und Paul Celan … und Theaterstücke von Max Frisch, Bertolt Brecht“ übersetzt habe. Zachs herausragenden literarischen Rang aber mache seine „innovative und originelle Lyrik“ aus, die sich u.a. dadurch auszeichne, dass er das „poetische Lexikon erweiterte, indem er erhabene Worte der Heiligen Schrift ebenso aufnahm wie Wörter aus dem Gassenjargon des gesprochenen Hebräisch. Jedes Gedicht seines Werkes nimmt eine einzigartige Form an – so gelingt es Natan Zach, jeglicher Uniformität zu widerstehen“.
Ja, ließe sich beipflichten: Wohl nur ein Dichter von Format kann ein metaphorisch subtiles Gedicht wie „Leere Koffer“ (s.o.) mit einem Text der äußersten ironisch-humorvollen Lakonie einhergehen lassen: Wer braucht denn überhaupt eine Nachtigall zu Hause,/ein Radio tuts doch auch,/sagte der Onkel. (Gedicht „Die Nachtigall wohnt nicht mehr hier“).
Natan Zach beglückt uns in Verlorener Kontinent mit einer Auswahl vielfältiger, moderner, souveräner Gedichte, teils von Weltrang, deren eindrucksvolle Wirkung in der deutschen Übertragung zweifellos auch die sehr feine Übersetzungsleistung von Ehud Alexander Avner begünstigt hat. Hoffentlich erst ein Auftakt!
Natan Zach: Verlorener Kontinent. Gedichte. Aus dem Hebräischen von Ehud Alexander Avner. Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag. 2013. Gebundene Ausgabe. ISBN 978-3-633-54264-2. € 19,95
Rainer Strobelt hat zuletzt über »Der gefesselte Wald, Gedichte aus Buchenwald« auf Fixpoetry geschrieben.
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