Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, und ich werde mich von diesem Projekt heute verabschieden. Begonnen habe ich vor einem Monat, Keine Zeit wie diese im Urlaub zu lesen; inzwischen hat mich der Arbeitsalltag wieder eingeholt und die Zeit ist wieder eine knappere und wertvollere Ressource geworden. Gleichzeitig hat meine Unzufriedenheit und besonders auch meine Ungeduld mit dem Text nicht wirklich nachgelassen; es gibt nur temporäre Schwankungen.
Nun habe ich mich an den letzten Abenden hingesetzt und etwa 90 Seiten des Romans einfach nur gelesen, in meinem normalen Lesetempo und ohne etwas im Text zu markieren oder mir Notizen zu machen. Ich will nicht sagen, dass ich mich dadurch mit dem Buch angefreundet hätte, aber es ging deutlich besser mit uns beiden als zuvor.
Eine nicht gelingende Lektüre kann recht verschiedene Ursachen haben. Das Buch von Nadine Gordimer scheint mir bei weitem nicht dicht genug gearbeitet, um eine solch langsame und konzentrierte Lektüre zu stützen, wie ich sie hier betrieben habe. Wenn ich mich nicht täusche, ist es auch nicht für eine solche Lektüre geschrieben: Die rasch aufeinanderfolgenden Wiederholungen einzelner Motive und Inhalte, die skizzenhafte Zeichnung der Figuren, das Hopplahopp der Handlung, der ständige thematische Wechsel scheinen auf eine sehr viel raschere und oberflächlichere Rezeption abzuzielen, als ich sie praktiziere, wenn ich 180 Seiten in 30 Tagen lese.
Hinzukommt, dass mir zu vieles im Buch einen zu geringen Widerstand entgegensetzt: Das Zwischenmenschliche bleibt oft zu ungenau, die Äußerungen der Figuren sind trivial, die Schilderungen sozialer und politischer Ereignisse oberflächlich und im besten Fall journalistisch. Wenn mir wenigstens klar geworden wäre, wer das lesen soll, auf welche Gruppe von Lesern Nadine Gordimer mit diesem Buch abzielt, wäre ich wahrscheinlich nicht ganz so unzufrieden. Es mag sein, dass es in Südafrika tatsächlich Leser gibt, die die inhaltliche Ebene dieses Buches nicht schon aus der Zeitung kennen; es mag sogar sehr sein, dass Leser in Südafrika in 20 Jahren dankbar sind, die Zeit nach der Revolution in dieser Weise widergespiegelt zu finden. Mir aber ist das alles zu unpräzise und abstrakt; dies ist das Gerippe eines Romans, aber kein Roman.
Da hilft es auch nicht, dass hier und da einmal etwas gelingt. Gerade auf den zuletzt gelesenen Seiten hat es mir sehr gut gefallen, wie Gordimer Steve zu einem Idioten macht: Alle reden von Aids, Steve selbst stammt sogar aus dem afrikanischen Land mit der höchsten Rate an Erkrankungen, und dann geht er einfach mit einer Zufallsbekanntschaft ins Bett und verschwendet an keiner Stelle auch nur einen einzigen Gedanken an die möglichen Folgen für sich selbst oder seine Frau und seine Kinder. Und das, nachdem ihm die Autorin noch kurz zuvor durch einen Beinahe-Autounfall ein Memento mori mit auf den Weg gegeben hat. Was für ein dumpfes Arschloch!
Das ist hübsch gemacht und hat mir gezeigt, was die Erzählerin kann, wenn sie nur will. Nur leider retten solche Einzelstellen für mich nicht das Buch. Ich werde mich von nun an also wieder anderem zuwenden.
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dann tschüss! ich denke nicht, daß du der letzte bist, der dieses zähe spektakel verläßt… deine begründung könnt´ ich jedenfalls eins zu eins übernehmen…
Ich denke auch, dass du nicht der letzte gewesen sein wirst und ich kann deine Begründung für diese Entscheidung sehr gut nachvollziehen. Ich habe gestern den aktuellen (längsten) Abschnitt gelesen und muss sagen, dass man – je länger die Abschnitte sind – wirklich besser in die Lektüre hineinkommt. Schade, dass wir das Buch so zerstückelt lesen, was unseren Leseeindruck sicherlich beeinflusst.
Auch ich kann deine Argumente verstehen. Mir werden deine treffenden Worte und dein direkter Ton sehr wohl fehlen. Ich werde zukünftig einfach größere Abschnitte lesen und nicht aller 10 Seiten Beiträge schreiben.
Schön von Dir zum Abschied noch einmal auf die Delphine zu verweisen.
Vale!
Noch schöner, dass es auch bemerkt wurde. 🙂