Auf einmal breitet sich nach dem Entsetzen, nach der Entrüstung die altbekannte Beklemmung aus, wie zur Zeit der infamen Okkupation durch die Nazis und später des Algerienkrieges.
Dann aber, auf einen Schlag, war am 9. und 11. Januar der Aufstand eines ganzen Volkes der Laizität, der absoluten Denkfreiheit für alle, der allgemeine Konsens über die Freiheit eines jeden, so wunderbar zu spüren – das enorme, unheimliche, stille und friedliche Zusammenstehen. Aus der Luft sahen die Avenue Philippe-Auguste, der Boulevard de Charonne und mehrere andere Straßen und Plätze in Paris wie dichtgedrängte schwarze breite Linien aus, die vom Platz der Republik zum Platz der Nation reichten. Millionen und Abermillionen Menschen waren völlig spontan und ohne jegliche Organisation zusammengekommen. Es war wunderbar, mit so vielen anderen, Eltern, Großeltern, Kleinkindern, den unterschiedlichsten Menschen wie zum Sonntagspaziergang durch die Straßen zu gehen und mit jedem Unbekannten Worte des völligen Einverständnisses auszutauschen, abwechselnd unter Sonne und Wolken. Jeder, der da ruhig ging, zeigte, dass man ihm nie verordnen würde können, was er zu glauben hat und dass er selbst seinen Glauben nie jemandem aufdrängen würde. Die scheinbar verbrauchte Republik manifestierte sich in all ihrer friedlichen historischen Größe, wie 1944 bei der Befreiung von Paris, als man wieder an Menschheit glauben konnte. Vive la France!
Paris, 12. Januar 2014
Georges-Arthur Goldschmidt

Georges-Arthur Goldschmidt über die Sehnsucht nach Bestrafung und die Scham, überlebt zu haben
Für den zehnjährigen Georges-Arthur ist es der Albtraum, entdeckt und deportiert zu werden. Der Albtraum endet aber nicht. Denn der Junge schämt sich, überlebt zu haben, deshalb sehnt er sich nach Strafe. Die bekommt er im Internat, das ihn nach der Flucht aus Nazideutschland aufgenommen hat. Aber auch die Scham endet nicht, denn er empfindet Wollust bei der körperlichen Züchtigung. Das ist das unlösbare Dilemma des Georges-Arthur Goldschmidt, und das ist die nicht versiegende Quelle für sein literarisches Schaffen.